Estland: Digitale Citizenship für globale Unternehmer
VON Janine El-Saghir Organisation
Die frühere Sowjetrepublik Estland ist seit 2004 Mitglied der EU und gilt heute als einer der Vorreiter digitaler Technologien und eines digitalen Lifestyles. Jetzt erweitert das nördlichste Land des Baltikums sein digitales Angebot im globalen Massstab: Seine digitale Staatsbürgerschaft soll weltweit allen Menschen offenstehen.
Die digitale Staatsbürgerschaft der Esten ist keineswegs eine Vision, deren Realisierung noch in weiter Ferne liegt. Die virtuelle Identität soll bereits ab Ende dieses Jahres allen Menschen, die sie wünschen, zur Verfügung stehen. Im Blick hat Estland damit vor allem globale Unternehmer, die eine digitale Firmenbasis brauchen. Kommentatoren fragen sich, ob mit dem estnischen Modell der Anfang vom Ende des Nationalstaats eingeleitet wird.
Gibt es bis 2025 rund zehn Millionen digitale Esten?
Das Ministerium für Wirtschaft und Information in der estnischen Hauptstadt Tallinn teilte in offiziellen Statements mit, wie das Konzept der digitalen Citizenship funktionieren soll. Demnach können Menschen rund um den Globus mit einer digitalen ID aus Estland künftig binnen einer Stunde eine Firma gründen, Banküberweisungen in wenigen Minuten tätigen und Dokumente fast in Echtzeit unterzeichnen. Ihr in Estland registriertes Unternehmen können sie so an jedem Ort der Welt aktiv und sicher führen. Estnische Prognosen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2025 rund zehn Millionen Menschen die estnische E-Identität erwerben werden.
Starke digitale Identität ohne nationale Schranken
Die Verantwortung für illegale Aktivitäten sollen die digitalen Bürger grundsätzlich selber übernehmen. Zur sicheren Identifikation und zum Ausschluss von Betrug muss jeder digitale Citizen bei den estnischen Behörden seine Fingerabdrücke sowie verschiedene biometrische Daten hinterlegen. Wirtschafts- und Informationsminister Taavi Kotka betont, dass sein Land Ausländern damit eine starke digitale Identität anzubieten habe.
Wissenschaftler sehen in diesem Schritt der estnischen Regierung bereits den Anfang eines Trends, der die Welt verändern werde. Der Forscher John Clippinger vom renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) äusserte gegenüber dem US-amerikanischen Wissenschaftsmagazin „New Scientist“, dass damit die „Hegemonie des klassischen Nationalstaats“ perspektivisch erodieren werde. Welche Bedeutung die digitale Staatsbürgerschaft Estlands für Entrepreneure in vielen Ländern der Welt hat, illustriert die Aussage eines ukrainischen Unternehmers auf der Internetseite des „New Scientist“, die darauf abzielt, wie schwierig internationale Geschäfte an seinem Standort bisher seien, nachdem von der Ukraine aus nicht einmal mehr eine PayPal-Zahlung möglich sei.
Estland – ernst zu nehmender Wettbewerber für „traditionelle“ Hightech-Länder
In Sachen Technologie ist Estland ein ernst zu nehmender Wettbewerber für die Schweiz und andere Länder. Die Hightech-Industrie erwirtschaftet inzwischen rund 15 % des estnischen Bruttoinlandsproduktes. Estland erklärte bereits im Jahr 2000 einen Internetzugang zum allgemeinen Menschenrecht – zu diesem Zeitpunkt waren bereits alle Schulen des Landes online. Die Breitbandverbindungen Estlands gehören heute – nach der Schweiz, aber vor Ländern wie Frankreich, Grossbritannien und den USA – weltweit zu den leistungsfähigsten und schnellsten.
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