IBM hat einen Computerchip mit Gehirn-Architektur entwickelt

Künstliche Intelligenz bleibt trotz der langen Geschichte des Konzepts in Science-Fiction-Literatur wie Wissenschaft immer noch eine Utopie. Doch nun nähert sich IBM dem Thema aus einer neuen Richtung. Immer auf der Suche nach visionären Entwicklungen, will der Megakonzern einen völlig neuartigen Computer entwickeln, dessen Aufbau gänzlich von der Architektur des menschlichen Gehirns inspiriert sein soll.

Tatsächlich existiert bereits heute der Prototyp eines entsprechenden Computerchips. IBM-Entwickler Dr. Dharmendra S. Modha, zuständig für Cognitive Computing (Rechnerkognition) am IBM Almaden Research Center, berichtet, der Chip habe eine Million Neuronen, 256 Millionen Synapsen und 4096 CPU-Kerne. Im Vergleich: Bis 2005 gab es ausschliesslich Chips mit einem Hauptprozessorkern. Heute gehen Mehrkernprozessoren bis zu etwa acht Kernen, die dann in bis zu 100 und mehr sogenannte Tiles aufgegliedert werden können. Aus dieser Perspektive klingen mehr als 4000 Kerne beeindruckend, wenn sie auch im Vergleich mit dem menschlichen Gehirn immer noch sehr überschaubar sind.

Insofern stellt der neue Chip eine vereinfachte Version des neurologischen Prinzips dar. Jeder seiner Kerne besteht aus 256 Neuronen, den Prozessoren, 256 Gedächtnis- bzw. Speichereinheiten und 64’000 Synapsen, die die Kommunikation zwischen Neuronen und Gedächtnis sicherstellen. Diese Struktur unterscheidet sich radikal von der bisherigen. Darüber hinaus birgt schon dieser erste Chip eine Vielzahl an Vorteilen gegenüber allen derzeit benutzten PCs. Zum einen verbraucht er nur einen Bruchteil des Stroms (nämlich etwa 63 MW), den jede andere momentan genutzte Version benötigt. Zusätzlich ist der Chip skalierbar und kann so zusammen mit potenziell unendlich vielen Weiteren zu einem neuronalen Netzwerk zusammengeschlossen werden.

Das IBM-Projekt ist eine seit 2008 realisierte Kollaboration zwischen verschiedenen Universitäten und dem Konzern und bis jetzt mit 53 Millionen Dollar von der amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) bezuschusst worden. Interessanterweise wird das SyNAPSE benannte neue System nicht entwickelt, um unsere bisherigen Computer zu ersetzen, sondern um sie vielmehr zu ergänzen. Entwickler Modha nutzt hierfür wiederum einen Vergleich aus der Hirnforschung: Während die vorhandenen Prozessoren der linken Hälfte unserer Gehirns entsprechen, sollen die neuen Systeme analog zur rechten Hirnhälfte sein.

Die gegenwärtigen, auf dem Neumann-Prinzip aufbauenden PCs sind schnelle Datenverarbeitungsgeräte – und das sollen sie auch bleiben. Sie werden weiterhin dafür genutzt werden, Big Data zu bewältigen und quantitativ anspruchsvolle Rechenleistungen umzusetzen. SyNAPSE hingegen arbeitet relativ langsam, aber auf einer multi-sensorischen Ebene und ist deshalb wesentlich besser darin, wichtige Daten in Echtzeit zu erkennen und zu verarbeiten. Kognitiv basierte Computer allerdings werden also die Analyse gelieferter Datenströme übernehmen und aus ihnen die relevanten Datenmuster herausfiltern.

Ein Nutzerbeispiel wäre zum Beispiel die visuelle Erkennung von Umgebungsmustern, wie sie bei der Entwicklung nicht menschlich gesteuerter Maschinen oder Fortbewegungsmittel mit Automotor unerlässlich sind. Vor diesem Hintergrund – und mit der immer weiter spezifizierten Entwicklung von Drohnen für den militärischen, aber auch Privatgebrauch einhergehend – wird auch das finanzielle Engagement der DARPA klarer.


Neurochip - Hier verdeutlicht sich auch der Vergleich zum Gehirn. (Bild: Macrovector / Shutterstock.com)
Neurochip – Hier verdeutlicht sich auch der Vergleich zum Gehirn. (Bild: Macrovector / Shutterstock.com)


Hier verdeutlicht sich auch der Vergleich zum Gehirn. Dieses braucht nämlich nur ein minimales Mass an Energie (umgerechnet etwa 20 Watt), um durch neuronal gesteuerte, extrem komplexe Erkennungsvorgänge Muster und Bewegungen einzuordnen und entsprechende Reaktionen auszulösen. Es sind exakt die diesen Vorgängen zugrunde liegenden Algorithmen, die der neue IBM-Supercomputer emulieren soll. Oder, um nochmals Entwickler Modha zu zitieren, Google Maps und Google Street View sind aufgrund der bisherigen Computerleistung durchaus fähig, eine Route zu planen und anzuzeigen, aber nur SyNAPSE kann beim Befahren zuverlässig erkennen, ob sich inzwischen ein Schlagloch aufgetan hat.

Möglich machen dies die parallelen Prozessoren im Chipkern (herkömmliche PCs arbeiten demgegenüber sequenziell, vollziehen also einen Schritt nach dem anderen). Bei der Gesichtserkennung identifiziert etwa ein Kern die Nase, einer die Haarbeschaffenheit, einer die Augenfarbe etc. Zwar ist jeder Kern langsamer als ein herkömmlicher Chip, da aber alle Kerne parallel arbeiten, kann die Operation schnell und extrem präzise ausgeführt werden. Für Trackingsysteme ist diese Fähigkeit von unschätzbarem Wert.

IBM hat nicht nur bereits Workshop- und Unterrichtseinheiten für das IT-Studium und Unternehmensimplementierungen entwickelt. Auch 200 Programme für den Chip existieren bereits, alle auf der Basis von Einsatzsimulationen mit einem Supercomputer der Lawrence Livermore and Lawrence Berkeley National Laboratories geschrieben. Der Chip selbst wird unter Verwendung bereits vorhandener Herstellungsprozesse produziert; lediglich der Workflow muss angepasst werden. Es kann daher nicht mehr lange dauern, bis er tatsächlich in Serie geht. Nun muss nur noch die entsprechende Hardware entwickelt werden. IBMs Plan hierbei ist, einen neurosynaptischen Supercomputer herzustellen, in dem die herkömmlichen und die neuen SyNAPSE-Chips einander parallel zuarbeiten – sozusagen in Analogie zum menschlichen Gehirn mit seinen zwei Hälften.

 

Oberstes Bild: © Tomasz Bidermann – Shutterstock.com

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Mehr zu Caroline Brunner

Caroline Brunner ist freiberufliche Online-Journalistin mit Fokus auf Arbeitspsychologie, Entrepreneurship, Kommunikation, Karriereplanung, Nachhaltigkeit und Verbraucherthemen.

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