Nestlé: Vom Food-Konzern zum Pharmaunternehmen

Nestlé – der weltgrösste Lebensmittelkonzern und der grösste Industriebetrieb der Schweiz – geht neue Wege. Durch Zukäufe will sich das Unternehmen als Pharmakonzern von Weltrang positionieren. Nach Ansicht von Experten hat der neue Geschäftsbereich Nestlé Skin Health das Potenzial, die Erfolgsgeschichte von Nespresso im Dermatologie- und Pharma-Markt zu wiederholen.

Im April 2014 hat Nestlé den Pharmahersteller Galderma für 2,6 Milliarden Euro übernommen. Das Unternehmen mit 5000 Mitarbeitern und dem Firmensitz Lausanne war zuvor 33 Jahre lang als Joint Venture von Nestlé und L’Oréal betrieben worden. Mit dem Erwerb der weltweiten Vertriebsrechte für verschiedene Anti-Falten-Wirkstoffe steigt der Konzern nun endgültig in ein boomendes Segment des globalen Beauty-Marktes ein.

Milliardenmarkt für Schönheitsspritzen

Der Markt für innovative Anti-Falten-Mittel – Botox und Hyaluronsäure – wächst im zweistelligen Bereich. Laut einem Bericht der American Society für Plastic Surgery liessen sich im Jahr 2012 allein die US-Amerikanerinnen – und zu einem kleineren Teil sicher auch ihre Männer – rund vier Millionen Botox- sowie etwa zwei Millionen Hyaluronsäure-Spritzen setzen. Im selben Zeitraum wurden in der Schweiz etwa 200’000 entsprechende Behandlungen vorgenommen. Das Geschäft mit diesen Präparaten befand sich bisher fest in der Hand des US-amerikanischen Unternehmens Allergan, das für die Schönheitsspritzen in den vergangenen zehn Jahren einen Milliardenmarkt geschaffen hat.

Nestlé wird in diesem Markt zur globalen Nummer zwei

Mit dem Erwerb der Rechte an den Anti-Falten-Wirkstoffen des Allergan-Konkurrenten Valeant Pharmaceuticals positioniert sich Nestlé auf einen Schlag als die globale Nummer zwei in diesem Markt. Für den Deal hat der Konzern 1,6 Milliarden US-Dollar ausgegeben. Inzwischen wurde ausserdem die Nestlé Skin Health AG als separate Pharma-Division geschaffen. Der neue Geschäftsbereich wird zunächst das Galderma-Portfolio – unter anderem mit Medikamenten gegen Schuppenflechte, Akne und Hautkrebs –, die Produktlinien des Schweizer Sonnenpflege-Spezialisten Galderma-Spirig sowie die Pflegelinie Bübchen integrieren. Beobachter rechnen damit, dass weitere Akquisitionen folgen werden.

Der Markt für Health-Produkte wächst im Gegensatz zu Food dynamisch

Auch unter Einrechnung der Schwellenländer büsst das Food-Geschäft weltweit immer stärker an Dynamik ein, die Pharmaindustrie agiert dagegen in einem – zudem margenstarken – Wachstumsmarkt. Vor diesem Hintergrund hat Nestlé sein Gesundheitsportfolio bereits in den vergangenen Jahren recht systematisch ausgebaut. Die Übernahme der Medical-Nutrition-Sparte von Novartis im Jahr 2006 markierte hier einen wichtigen Meilenstein. Daneben gab es mehrere Teilübernahmen sowie kleinere Akquisitionen.

Nicht alle davon erwiesen sich als profitabel, manche wurden inzwischen wieder abgestossen. Seine Kernkompetenz „Food“ verlässt der Konzern mit seinem Dermatologie-Engagement jedoch jetzt zum ersten Mal. Im Galderma-Joint-Venture hatte Nestlé bisher ausschliesslich Vertriebsfunktionen übernommen.

Botox – auch medizinisch relevant

Präparate zur Faltenunterspritzung machen aktuell etwa ein Viertel der Galderma-Umsätze von zwei Milliarden Franken jährlich aus. Laut Schätzungen des Nestlé-Wettbewerbers Allergan kontrolliert Nestlé derzeit rund 15 % des globalen Marktes für Botox und Hyaluronsäure-Spritzen. Allergan prognostiziert, dass die Umsätze in diesem Marktsegment bis 2017 um jährlich 10 % auf insgesamt fünf Milliarden US-Dollar wachsen.

Auch das medizinische Potenzial von Botox dürfte für Nestlé kommerziell höchst spannend sein: Rund 50 % der Botox-Umsätze von Allergan entfallen auf medizinische Produkte, die beispielsweise bei der Behandlung von Migräne oder Harninkontinenz Verwendung finden. Die medizinische Anwendung von Botox bei Arthrose, Depressionen oder vorzeitiger Ejakulation befindet sich derzeit in der Forschungsphase.


Nestlé Health Science – in den USA bereits heute Wachstumstreiber. (Bild: YanLev / Shutterstock.com)
Nestlé Health Science – in den USA bereits heute Wachstumstreiber. (Bild: YanLev / Shutterstock.com)


Nestlé Health Science – in den USA bereits heute Wachstumstreiber

Für Nahrungsmittel zur Krankheitsprophylaxe hat Nestlé bereits früher den Geschäftsbereich Nestlé Health Science geschaffen. Vor Finanzanalysten in Boston erklärte Nestlé-Chef Paul Bulcke erst vor wenigen Tagen, dass der Konzern in diesem gerade erst entstehenden Markt riesige Potenziale sehe und Pionierarbeit leisten wolle. Engagieren will sich Nestlé vor allem bei der Entwicklung und Vermarktung von Produkten, welche die Gesundheit des Gehirns, des Magen-Darm-Traktes und des Stoffwechsels sowie die allgemeine Vitalität erhalten sollen.

In Lausanne hat Nestlé inzwischen ein eigenes Uni-Institut gegründet, an dem Nahrungsmittel entwickelt werden, die bei der Vermeidung von Volkskrankheiten helfen sollen. In den USA ist der Verkauf der ersten Nestlé-Health-Science-Produkte bereits angelaufen – das dortige Umsatzpotenzial beläuft sich nach hausinternen Schätzungen auf elf Milliarden US-Dollar. Die Gewinne von Nestlé Health Science USA sind zwischen 2010 und 2013 um 9,5 % pro Jahr gestiegen.

Langer Atem und hohe Investitionen für die neuen Nestlé-Divisionen

Gleichzeitig machte Paul Bulcke in Boston klar, dass sich der Konzern für Nestlé Health Science und Nestlé Skin Health einen langen Atem leisten wird. Allein in den Aufbau einer wissenschaftlichen Basis für Nestlé Health Science werden Investitionen von 500 Milliarden US-Dollar fliessen. Als Analogie führte der Nestlé-Chef die Geschichte von Nespresso an: Das Kaffee-System ist heute auch kommerziell erfolgreich, habe in den ersten 20 Jahren seiner insgesamt 25-jährigen Geschichte jedoch Verluste eingefahren. Die wissenschaftsintensiven neuen Geschäftsbereiche geben den Weg zum „Nestlé von morgen“ vor – Produkte mit Mehrwert statt Massenware als Voraussetzung für weiteres Wachstum.

Risiken durch die Galderma-Übernahme

Im Hinblick auf die Galderma-Übernahme waren sich die Analysten anfangs einig, dass sie die Nestlé-Gesundheitsstrategie perfekt ergänzen dürfte. Insbesondere hoben sie in diesem Zusammenhang das Wachstumspotenzial von Dermatologie-Produkten in den Schwellenländern hervor, wo Nestlé seit einigen Jahren seine Marktposition sehr dynamisch ausbaut. Allerdings zeigen sich in der Gesundheits-Sparte des Konzerns bisher nicht nur positive Trends. Beispielsweise ist der Ophthalmologie-Hersteller Alcon durch Nestlé langfristig und mit Erfolg entwickelt worden, verschiedene Akquisitionen in den Bereichen Diät und Sporternährung haben sich jedoch als Flop erwiesen.

In einer Fallstudie der „Neuen Zürcher Zeitung“ zum neuen Kurs von Nestlé heisst es, dass der Konzern seine Kompetenz im Bereich Dermatologie erst noch entwickeln müsse, was umso schwerer wiegen könnte, da die Performance von Galderma seit einigen Jahren schwächelt. Laut einer Analyse von Morgan Stanley habe das Lausanner Unternehmen trotz hoher Forschungs- und Entwicklungsetats nur schleppend auf diverse Marktveränderungen sowie den wachsenden Druck durch Generika reagiert. Nestlé müsse – zusammen mit dem eigenständigen Auftritt in einem völlig neuen Marktsegment – hier auch einen möglichst raschen Turnaround bewirken. Ob der Konzern aus Vevey diese Aufgabe kurzfristig stemmen kann, bleibt vorerst eine offene Frage.

 

Oberstes Bild: © Taina Sohlman – Shutterstock.com

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