Keiner wird als Chef geboren

Lange haben Forscher und Psychologen gebraucht, um zu erkennen, dass gute Chefs nicht als solche geboren werden. Über viele Jahrzehnte hinweg hielt sich besonders in der Wirtschaft der Glauben, dass gute Führungskader von Geburt an mit einem Reservoir an Führungsqualitäten wie Durchsetzungsstärke, Intelligenz und Extrovertiertheit ausgestattet wären und damit grundsätzlich Talent zum Chefsein hätten. Dieser Mythos hält sich bis heute, entbehrt aber jeder Grundlage.

Angeborene Eigenschaften sind nur ein Teil der Persönlichkeit

Wer von Mutter Natur mit den richtigen Genen ausgestattet als intelligenter, durchsetzungsstarker und charismatischer Mensch auf die Welt kommt, hat Glück gehabt. Denn damit bringen diese Individuen persönliche Eigenschaften mit, die den Weg in die Führungsetagen der Wirtschaft deutlich weniger steinig machen. Allerdings reicht es nicht aus, mit den Segnungen der Geburt ausgestattet zu sein, um ein wirklich guter Chef zu werden. Dazu braucht es auch einiger Einwirkungen in den ersten beiden Lebensjahrzehnten, die die charakterlichen Eigenschaften der privilegiert Geborenen untermauern und mit einer Portion Menschlichkeit ergänzen. Angeborene Eigenschaften sind nur ein Teil der Persönlichkeit, längst aber nicht die Quintessenz dessen, was gute Führungskräfte ausmacht. Auch wenn Unternehmen über lange Zeit hinweg eine sehr eingeschränkte Sicht auf die persönliche Ausstattung ihrer Führungskader hatten, wird vor allem an den Ergebnissen offenbar, dass (die erkennbare) Intelligenz, Charisma und Durchsetzungsstärke längst noch keinen guten Chef ausmachen.

Persönlichkeitsentwicklung hängt von vielen Faktoren ab

Zur Führungskraft eignen sich besonders Menschen, die neben vorteilhaften angeborenen Eigenschaften auch ein gewisses Mass an einer gefestigten Persönlichkeit mitbringen. Je breiter der entwicklungspsychologische Schatz eines Menschen angelegt ist, desto eher wird dieser auch in der Lage sein, Führungspositionen adäquat zur Aufgaben- und Zielstellung ausfüllen zu können. Das bedeutet, dass auch die Erziehung und das persönliche Schicksal eine bedeutsame Rolle für die Entwicklung von echten Leitungsqualitäten spielen. Werden angeborene Eigenschaften nicht durch eine passende Erziehung, Bildung und sonstige Persönlichkeitsentwicklung weiterentwickelt, dann verkümmern sie letztlich zu tief im Inneren der Persönlichkeit verborgenen Fragmenten einer möglichen Entwicklung. Die Faktoren Bildung, Erziehung, Stabilität, Umgang mit Verlust und Gewinn und die Form der Ausprägung zwischenmenschlicher Beziehungen spielen also auch eine bedeutsame Rolle im Hinblick darauf, ob sich ein Mensch als Führungskraft eignet oder nicht.

Paradigmenwechsel gefragt

Noch heute wählen viele Unternehmen ihre Führungskräfte nach dem alten Modell aus. Führungskader sollen möglichst intelligent, entsprechend gut gebildet, charismatisch und durchsetzungsstark sein. Das reicht oftmals aus, um vakante Stellen in der mittleren und oberen Hierarchie zu besetzen. Die oftmals mageren Ergebnisse der Leitungstätigkeit derart einseitig ausgestatteter Führungskader zeigt, dass hier etwas nicht stimmt. Moderne Unternehmen besetzen ihre Führungspositionen mittlerweile nach einer Reihe anderer Faktoren, die Intelligenz, Ausstrahlung und Durchsetzungsvermögen komplettieren müssen. Dazu wird oftmals der Lebenslauf der Bewerber zur Hand genommen und durch persönliche Interviews vervollständigt. Interessant ist es zu wissen, welche Erfahrungen zukünftige Leitungskader bereits in der Kindheit mit Führung und Unterordnung, mit Gewinnen und Verlieren gemacht haben. Hier eröffnet sich ein weitaus grösserer Erfahrungsschatz, als landläufig vermutet wird.

Wer beispielsweise schon von Kindesbeinen an gern die Führung bei bestimmten Unternehmungen übernommen hat, eignet sich auch später besser für eine Leitungsposition als Menschen, die in der Kindheit lediglich unter Führung oder Anleitung aktiv waren. Auch der interpersonelle Umgang mit Verlieren und Verlust entscheidet massgeblich darüber, wie spätere Führungskader mit schwierigen Situationen zurechtkommen können. Wer stets nur gewonnen hat und immer ein vorsichtig behütetes Leben erlebt hat, wird als Führungskraft kaum in der Lage sein, zielgerichtet, konsequent und sicher mit Verlusten und schwierigen Situationen umzugehen. Da hilft ein hohes Mass an Intelligenz und Durchsetzungskraft reichlich wenig. Und auch Ausstrahlung reicht nicht aus, um schwierige Entscheidungssituationen zu meistern. Hier ist ein Paradigmenwechsel in der Besetzung vakanter Führungspositionen dringend erforderlich. Zumal häufig zu beobachten ist, dass besonders im höheren Management immer noch Führungspositionen auf der Grundlage einseitiger persönlicher Empfehlungen oder aufgrund der Herkunft besetzt werden. Das bringt Unternehmen nicht weiter.


Empathie als wesentliches Führungsinstrument. (Bild: Pressmaster / Shutterstock.com)
Empathie als wesentliches Führungsinstrument. (Bild: Pressmaster / Shutterstock.com)


Empathie als wesentliches Führungsinstrument

Wer erfolgreich leiten will, muss nicht nur über einen grossen Fundus an charakterlicher Stärke und fachgerechter Bildung verfügen. Mindestens genauso wichtig ist ein grosses Mass an Empathie gegenüber den unterstellten Personen und Personengruppen. Damit meinen wir eine gewisse emotionale Intelligenz, die ein soziales Engagement erst möglich macht. Nur wer sich in die Lage der geführten Personen versetzen kann, weiss was mit diesen in der konkreten Situation tatsächlich passiert. Dieses Mass an Empathie bestimmt damit massgeblich darüber, wie gut Führung entwickelt werden kann und welche nachhaltigen Wirkungen damit erzielt werden. Kalte, unnahbare Leiter mögen vielleicht klar in der Ansprache sein, allerdings sind sie für die Untergebenen wenig authentisch und damit auch kaum ernst zu nehmen. Hier zeigt sich, über welch ein grosses Repertoire an angeborenen, erlernten und geübten Eigenschaften Führungspersönlichkeiten verfügen müssen, wenn sie wirklich erfolgreich sein wollen. Nur ein Ausschnitt daraus reicht in aller Regel kaum aus, um erfolgreich an der Spitze von Wirtschaftseinheiten arbeiten zu können.

 

Oberstes Bild: © Andy Dean Photography – Shutterstock.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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