10 Jahre EU-Osterweiterung - Ein Rückblick
von Ulrich Beck Allgemein
Die Gründe für den Beitritt sind nicht nur in wirtschaftlichen Vorteilen zu suchen. Gerade für die ostmitteleuropäischen Staaten spielten auch die historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten eine grosse Rolle. In Westeuropa, vor allem in Deutschland, sah die Bevölkerung die Erweiterung mit Sorge und gemischten Gefühlen. Es ging die Angst um, zu viele billige osteuropäische Arbeitskräfte würden den Markt überschwemmen oder heimische Firmen wegen Dumping-Preisen der Konkurrenz etwa in Tschechien oder Polen in die Pleite getrieben werden.
Vielleicht würde die Union bei so vielen Mitgliedern auch kaum noch regierbar und finanzierbar sein. Schliesslich hatten die neuen Länder Anspruch auf Agrarsubventionen und Zahlungen aus den Strukturfonds. Manchen ging der ganze Prozess auch deshalb zu schnell, weil die Demokratien in Osteuropa noch auf ziemlich wackeligen Füssen standen. Nach zehn Jahren ist nun deutlich geworden: Allen Befürchtungen zum Trotz ist die Osterweiterung eine Erfolgsgeschichte für die EU.
Es gingen weder Arbeitsplätze verloren, noch sank das allgemeine Lohnniveau. Auch die vermeintlich billige Konkurrenz trifft höchstens jedes zehnte Unternehmen im Westen. Auf der anderen Seite haben sich die Lebensbedingungen in den neuen Mitgliedsländern erheblich verbessert. Bei ihrem Beitritt lag ihre wirtschaftliche Leistung bei rund 50 Prozent des Gesamtdurchschnitts – heute sind es schon etwa 65 Prozent: eine deutliche Steigerung.
Schwieriger geworden sind die Verhandlungen in Brüssel. Es dauert heute länger, bis Kompromisse gefunden werden, die für alle Mitglieder tragbar sind, und die Kämpfe um eine gerechte Verteilung der Finanzen werden mit härteren Bandagen ausgefochten, zumal die EU 2007 und 2013 nochmals drei Staaten (Bulgarien, Rumänien, Kroatien) aufgenommen hat und nunmehr 28 Mitglieder zählt.
Allerdings wurde im letzten Jahrzehnt auch deutlich, dass Länder wie Polen oder die Slowakei öfter zur Lösung eines Problems beitrugen statt selbst eines zu sein. So hat die Slowakei Kreditbürgschaften für das schwächelnde Griechenland auf sich genommen, obwohl die Wirtschaftsleistung pro Einwohner dort geringer ist. Und Polen fordert regelmässig mehr Führungsstärke von Deutschland – angesichts der Nazigräuel vor gerade mal sieben Jahrzehnten eine ungewöhnliche Entwicklung und ein deutliches Signal der Integrationsbereitschaft.
Wenn man sich dann noch die gegenwärtige Krisensituation in der Ukraine vor Augen hält, muss man sich fragen, wie wohl die Lage in den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen jetzt aussähe. Es ist durchaus nicht abwegig zu glauben, dass die EU- und NATO-Mitgliedschaft der drei Länder sie vor einem russischen Zugriff à la Ukraine bewahrt hat und weiterhin bewahren wird.
Natürlich ist nicht alles rosarot und heile Welt. In Rumänien und Bulgarien blüht die Korruption, Ungarn wandelt auf bedenklichen nationalistischen Wegen, die Armut in Osteuropa ist immer noch auf einem erschreckenden Level. Andererseits: Welche Zustände würden dort wohl herrschen, wenn diese Staaten nicht seit zehn Jahren in der EU wären? Und man sollte auch nicht vergessen, welche Vorteile das EU-Recht für den einzelnen Bürger bringt, allen voran das uneingeschränkte Reiserecht durch sämtliche Mitgliedsstaaten.
Die Interessen von 500 Millionen Menschen aus 28 verschiedenen Ländern unter einen Hut zu bekommen, ist keine einfache Sache. Und es bedarf weiterhin eines starken politischen Willens aller Beteiligten, um diesen Weg erfolgreich weiterzugehen. Gefordert sind nachhaltige Lösungen der Euro-Krise, eine gemeinsame Wachstumsstrategie und eine europäische Flüchtlingspolitik, die den Betroffenen wirklich hilft – um nur einige Probleme zu nennen, die auf der Agenda stehen.
Darüber hinaus klopfen weitere Beitrittskandidaten an die Pforten der EU. Mit einigen werden bereits Verhandlungen geführt, darunter Montenegro, Serbien und die Türkei. Island hat seinen Beitrittsantrag kürzlich zurückgezogen, aber das kann sich jederzeit wieder ändern. Die Richtlinien für einen Beitritt wurden übrigens im Juni 1993 in den „Kopenhagener Kriterien“ festgelegt. Der Europäische Rat verlangt damit von einem möglichen Beitrittsland die Erfüllung folgender Voraussetzungen:
- Stabile Institutionen müssen die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte sowie den Minderheitenschutz garantieren.
- Die Marktwirtschaft muss so funktionieren, dass sie den Marktkräften und dem Wettbewerbsdruck standhalten kann.
- Das gesamte Recht der EU muss übernommen werden.
- Das Einverständnis mit den Zielen der Union muss gegeben sein – in der Politik, in der Wirtschaft und in Währungsfragen.
Eines ist nicht zu leugnen: Die EU hat sich für die Sicherheit in Europa als Stabilisator bisher bewährt, trotz aller Unkenrufe.
Oberstes Bild: © Lightspring – Shutterstock.com