Staatsaufsicht und Aufsicht gegenüber dem Staat

Wir haben das Gefühl, in einer freiheitlichen Ordnung zu leben. Die Zunahme der wirtschaftlichen Intensität hat aber zu einer sehr starken Regulierung des Lebens geführt. Es gibt keine Sekunde, bei der wir nicht der staatlichen Aufsicht begegnen.

Die Staatsaufsicht
Als beispielhafte unvollständige Aufzählung sind folgende Bereiche reguliert:

  • Unsere Nahrung vom Leitungswasser (und Abwasser) über die Milch, das Brot und alle verarbeiteten und unverarbeiteten Produkte
  • Unsere Krankheit und Gesundheit, Ärzte, Medikamente, Krankenversicherung, Tabak und Alkohol, der Weg von der Heilung zur obligatorischen Gesundheitsvorsorge, BMI und DNS
  • Der Schweizer Franken als synthetischer Nominalwert
  • Der Preisüberwacher als Regulator des Marktes
  • Unsere Fortbewegung als Fussgänger auf der Allmend
  • Die mechanisierte Fortbewegung, Auto, Motorfahrzeugkontrolle, Tram, Zug, Luftseilbahn, Schiff, etc.
  • Die Arbeit, Arbeitszeit, Pausen, Vertrag, Entlöhnung, Bewilligungen
  • Unser Glaube, mit staatlichen und nichtstaatlichen Kirchen
  • Die Steuern, Sozialversicherungen, Gebühren, Zwangsgebühren

In jüngerer Zeit sind neue Regulierungen dazu gekommen:

  • Die FINMA als Gebotsmaschine für Banken, Finanzen und Börse
  • Die ELCOM als Aufsicht über die Stromwirtschaft
  • Die Revisionsaufsichtsbehörde RAB

Das Vertrauensprinzip weicht dem Misstrauensprinzip und die Eigenverantwortung des Bürgers weicht der Vollkaskomentalität des Staates.

Die Aufsicht über den Staat
Während die Aufsicht des Staates über den Bürger wächst und wächst, fehlen bei dieser starken Staatsentwicklung adäquate Überwachungsmittel gegenüber dem Staat. Erstes Rechtsmittel sind Beschwerden und Rekurse des Bürgers gegenüber staatlichen Entscheide, welche jedoch seit rund hundert Jahren gleich aufgebaut sind. Auf der einen Seite der Bürger das Rechtssubjekt, welches Einwände erhebt, auf der anderen Seite die Beschwerdeinstanzen, welche von Staatsangestellten ausgefüllt werden oder im besten Fall durch das Volk gewählt und vom Staat bezahlt. 90-99 % aller Rechtsmittel werden so abgewiesen.

Wesentliche Mängel der staatlichen Tätigkeit
In der Privatwirtschaft ist die Kollektivunterschrift zu zweit üblich. In den meisten Staatsbetrieben und Staatsverwaltungen ist es hingegen die Einzelunterschrift.
In der Privatwirtschaft ist berufliche Weiterbildung nötig, teilweise gefordert und überwacht; der Staat kennt keine adäquaten Vorschriften.

In der Privatwirtschaft sind Umstrukturierungen und Personalveränderungen ein permanenter Prozess; in der Staatswirtschaft besteht der ungeschriebene Anspruch auf eine lebenslange Staatsanstellung. Personalabbau im Staat ist Tabu und ein Frevel.
In der Privatwirtschaft sind Qualitätssicherungssysteme, interne Kontrollsysteme und interne Revisionen etc. üblich und teilweise gesetzlich gefordert. Der Staat kennt vergleichbare Systemkontrollen nicht. 


Staat schützt Staat: Das erfahren viele Bürger, wenn es um gerichtliche Klagen gegen Vater Staat geht. (Bild: sergign – shutterstock.com)


Erstes Beispiel: Steuerrekurskommission
Als konkretes Beispiel soll hier die Steuerrekurskommission Basel-Stadt angeführt werden. Sie ist als erste „unabhängige Instanz“ verantwortlich für die Rechtsprechung über jährliche Staatseinnahmen von CHF 2.5 Mrd. des Kantons Basel-Stadt und damit für rund 120‘000 Steuerpflichtige. Wahlorgan ist der Regierungsrat, welcher seit Jahrzehnten zugelassene Advokaten in diese Kommission wählt. Anwälte decken alle Rechtsgebiete ab und es gibt nur sehr wenige, welche sich schwergewichtig mit Steuerrecht befassen. Bei den meisten bewegt sich der Anteil bei 1–10% ihrer Berufstätigkeit.

Für manchen frisch Gewählten ist es das erste Mal, dass er sich materiell mit dem Steuerrecht befassen muss. Somit liegt die Ausgangssituation vor, dass die Steuerrekurskommission ein Steuerspezialgericht ist, welches sich nicht aus Steuerspezialisten zusammensetzt. Weitere Beteiligte sind der Steuerpflichtige, der sich einmal pro Jahr mit seinen Steuern befassen muss und als Schwergewicht die Steuerverwaltung mit 200 Personen, welche sich zur Hauptsache mit dem Thema Steuerrecht befassen. Dann die Steuerrekurskommission, welche als Teilzeitsteuerspezialisten den Steuersachverhalt beurteilen muss.

Dramatisch ist diese Ausgangslage deshalb, weil eine Korrektur durch das Appellationsgericht, dem höchsten Gericht in Basel, nicht zu erwarten ist. Es geht davon aus, dass die Steuerverwaltung und die Steuerrekurskommission das Ermessen ordentlich ausgeübt haben. Das Bundesgericht in Lausanne ist schon gar nicht zu bewegen, es beschränkt die Analyse auf Willkür, welche gerichtsnotorisch in 99 % der Fälle inexistent ist.

Zweites Beispiel: Staatsanwaltschaft
Nach Gesetz untersteht die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt der uneingeschränkten Aufsicht des Regierungsrates (§ 50 Gerichtsorganisationsgesetz). Die Regierung beschränkt sich aber auf die administrative Aufsicht, welche die Entgegennahme eines jährlichen Berichtes zum Inhalt hat. Die Justizkommission unterstützt dabei die Regierung, welche periodische Informationen von der Staatsanwaltschaft erhält, an deren „Richtigkeit kein Zweifel Anlass bietet“, so eine Antwort auf meine Anfrage.

Während für die Bundesanwaltschaft aufgrund von Mängeln ein Aufsichtsorgan geschaffen wurde, kann die Staatsanwaltschaft BS tun und lassen was sie will und unterliegt keiner Kontrolle, die diesen Namen verdient. Beschwerden an das Appellationsgericht nützen nichts, da diese zu 95 % abgewiesen werden.

Grenzen des Staatswachstums?
Die Beispiele zeigen, dass der Staat und die Regierung an die Grenzen des Staatswachstums stossen. In Basel-Stadt zeigen sich die Defizite bei der Kantonalbank, den Basler Verkehrsbetrieben BVB, beim Theater, bei der Staatsanwaltschaft und infolge von unkontrollierten Bezügen bei der Regierung selbst. Im Kanton Basel-Landschaft haben wir ähnliche Probleme: Pensionskasse, Bezüge der Regierung, Staatsanwaltschaft, etc. Beim Bund zeigen sich erhebliche Mängel im Beschaffungswesen, beim Militär, in der Finanzierung der Sozialausgaben etc.

Staat schützt Staat
Die jüngsten Staatsdefizite zeigen ein inhärentes Problem. Bis die Misswirtschaft zutage tritt, braucht es unheimlich viel. Mängel werden kaschiert und Staatsangestellte schützen andere Staatsangestellte. Bis reagiert wird, bedarf es einer wiederholten Willkür und zugleich bedarf es mehrerer Staatsangestellten, die ebenfalls bereit sind, das Defizit zu klären. Ansonsten geht solches Verhalten unter.

Parlamentarische Oberaufsicht
Letzte Instanz in Staatsprozessen ist die in den Verfassungen vorgesehene parlamentarische Oberaufsicht. Das hört sich gut an, ist aber nur theoretischer Ballast. Es gibt höchstens alle paar Jahre einen Fall, bei dem dieses Rechtsinstitut angerufen wird. Ansonsten ist es unbenützte Theorie zur Lehre der Gewaltentrennung von Montesquieu.

Beseitigung der Mängel
De lege ferenda sollte unsere Rechtsprechung gegenüber staatlichen Stellen neu organisiert werden. Erster einfacher und pragmatischer Ansatz wäre, dass die Rechtsprechung nicht mehr als 80 % der Rechtsmittel abweisen darf. Das hat zwar wenig mit einer gepflegten Rechtsprechung zu tun, das jetzige System aber genau so wenig.

 

Oberstes Bild: nui7711 / Shutterstock.com

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