Innere Freiheit – Voraussetzung für Führungsfähigkeit?

Michael Bordt ist Jesuitenpater, Management-Trainer und Philosophie-Professor, seit 2011 leitet er das Institut für Philosophie und Leadership an der Hochschule für Philosophie in München. In seinem aktuellen Buch „Die Kunst, sich selbst auszuhalten – ein Weg zur inneren Freiheit“ führt er aus, dass Führungskräfte sich selber kennenlernen und Wege finden müssten, mit sich umzugehen. Im Interview mit der „Wirtschaftswoche“ sprach er über innere Unabhängigkeit im Management und den Zusammenhang von Spiritualität und Führung.

Auf den ersten Blick gehen diese beiden Themen aus Sicht der meisten Menschen nur bedingt zusammen. Manager gelten als Macher, deren Stärken in der Praxis liegen. Kontemplation und Subjektivität scheinen den Anforderungen der Wirtschaft ausgesprochen fern. In der Praxis zeigt sich trotzdem, dass Führungskräfte ohne die Entwicklung solcher Fähigkeiten ihre Potenziale limitieren. Nicht umsonst sind in Führungskräfteseminaren nicht nur „objektive“ Methoden für effektives Selbstmanagement und die produktive Interaktion mit anderen, sondern auch Fragen wie das Aufbrechen innerer Blockaden oder persönliche Entlastungsstrategien in immer stärkerem Masse ein zentrales Thema.

Autorität und Entscheidungsfreiheit durch Selbsterkenntnis

Bordt formuliert durchaus provokant, dass jemand, der führen wolle, auch „sterben können muss“. Dahinter verbirgt sich der Anspruch innerer Freiheit respektive der Abschied von eigenen Motiven, Machtfantasien und Ängsten. Eine gute Führungskraft müsse in der Lage sei, solche Dinge – im Kern den Wunsch nach Ansehen und Macht – auch loszulassen, und könne sich erst dann tatsächlich in den Dienst der Sache stellen. Dabei geht es nicht darum, subjektive Themen aus dem beruflichen oder privaten Leben so weit wie möglich auszublenden, sondern sich die verdrängten „störenden“ Seiten der eigenen Persönlichkeit bewusst zu machen. Was uns bewusst ist, können wir auch kontrollieren. Wenn wir unsere Wünsche, Sehnsüchte, Fantasien und Verletzungen kennen, gewinnen wir an Autorität und persönlicher Entscheidungsfreiheit.

Wechselwirkung zwischen Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und guter Führung

Selbsterkenntnis und Selbstkontrolle sind aus Sicht Michael Bordts wichtige Führungseigenschaften. Mitarbeiter spüren sehr genau, wenn der Chef seine Belastbarkeitsgrenze erreicht und sich eventuell nicht mehr selbst im Griff hat. Seine Aufgabe, den Mitarbeitern Visionen aufzuzeigen, sie zu begeistern und bei der Umsetzung solcher Ziele anzuleiten, kann ein Manager in einer solchen Situation nicht oder nur noch sehr begrenzt erfüllen. Zum anderen bedeutet eine erfolgreiche Karriere auch, dass die Luft allmählich dünner wird.

Vor allem Top-Manager sind oft ganz auf sich allein gestellt – gleichzeitig sind sie, um andere zu überzeugen, mehr denn je auf ihre Persönlichkeit und ihren Charakter angewiesen. Selbsterkenntnis schlägt in diesem Sinne auch einen Bogen zum Verständnis für die Probleme der Mitarbeiter – an dieser Stelle schliesst sich der Kreis zwischen der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und guter Führung.


Positive Führung als ganzheitliche Kultur. (Bild: Narong Jongsirikul / Shutterstock.com)


Positive Führung als ganzheitliche Kultur

Bordt plädiert dafür, dass sich Manager um die Belange ihres Unternehmens kümmern sollten, als ob ihnen die Firma selbst gehörte. Positive Führung ist für ihn eine ganzheitliche Kultur, die sich auf allen Ebenen der Unternehmenshierarchie entfaltet. Aufträge für Workshops und Seminare in Unternehmen akzeptiert er nur, wenn auch die Unternehmensführung teilnimmt. Falls sich der gewünschte Lernprozess auf die mittleren und unteren Ränge beschränkt, gebe es nur wenig Potenzial, die Kultur des Unternehmens nachhaltig zu ändern.

Letztendlich sind das Verhalten und die Kompetenzen von Führungskräften das konstituierende Element für die Strukturen und die Kultur von Unternehmen. Das grundsätzliche Ziel seiner Lehrveranstaltungen besteht laut Bordt darin, Menschen in diesem Kontext widerstandsfähiger zu machen und ihre Persönlichkeit zu stärken. Dabei sieht sich der Jesuit in der 450-jährigen Tradition und Geschichte seines Ordens, der im Lauf der Zeit sehr intensive Ausbildungsprogramme für die eigenen Führungskräfte entwickelt hat.

Veränderung innerer Haltungen – Spiritualität im Management
Um religiöse Fragen geht es Bordt jedoch weder in seinen Schriften noch in seinen Workshop-Angeboten. Seiner Erfahrung nach sind Übungen und Inhalte, die auf die Veränderung innerer Haltungen respektive spiritueller Aspekte zielen, vor allem bei den Top-Entscheidern sehr erfolgreich. Die Gründe dafür sieht er darin, dass sich auf dieser Ebene die Frage nach der Work-Life-Balance oder der Trennung von Arbeit und Privatem nicht mehr stelle – Leben und Arbeit seien ab einem bestimmten Punkt auf dem Karriereweg identisch.

Um diese Belastung durchzustehen, müssten die Betreffenden auch lernen, mit sich selber klarzukommen. In seinen Kursen arbeiten sie dafür mit Achtsamkeitsübungen und Meditationen, die nicht nur aus der jesuitischen, sondern auch aus vielen anderen Lehren kommen. Unter anderem geht es darum, einen Zustand innerer Stille – und in der Folge auch eine bessere Selbstwahrnehmung – zu erreichen und die zutage tretenden Gedanken und Spannungen dann auch auszuhalten. Das Resultat besteht in grösserer innerer Klarheit und Entscheidungsfreiheit.

Rückkehr zur den Grundlagen der eigenen Persönlichkeit

71 % der Teilnehmer an Bordts Workshops meinen, dass ihnen seine Kurse mehr gebracht hätten als alle anderen Führungskräftetrainings, die sie bereits durchlaufen haben. 24 % finden sie gut, und nur 5 % stehen den Inhalten skeptisch gegenüber. Viele Manager bewegen sich dabei in einer ihnen zunächst fremden Welt, die jedoch durch die Abwesenheit von Zwängen sowie durch absolute Diskretion getragen wird. Ihr Fazit nach dem Seminar lautet oft, dass die Inhalte und Übungen an die Substanz gingen – jedoch durchaus in einem positiven Sinn. In den Worten Bordts: Stille und Kontemplation führen die Teilnehmer auf das zurück, was Menschen Energie gibt und sie lebendig macht – anders gesagt: zu den Grundlagen ihrer eigenen Persönlichkeit. Wichtig sei vor allem, dass sie eigene Antworten auf sie bewegende Fragen und Probleme finden.

 

Oberstes Bild: © Dudarev Mikhail – Shutterstock.com

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