Volkswirtschaftlicher Schaden durch PowerPoint?
VON Janine El-Saghir Kommunikation Organisation
Bei einem Leser-Voting der „Handelszeitung“ fanden immerhin 24 Prozent der Abstimmenden, dass PowerPoint-Präsentationen vor allem eine Plage sind, da sich die Vortragenden dank des Programms nicht mehr auf Inhalte, sondern auf schöne Effekte fokussieren. Der Autor und Rhetorik-Trainer Matthias Pöhm brachte an gleicher Stelle sein Unbehagen an PowerPoint auf provokantere Weise auf den Punkt. Aus seiner Sicht vernichtet die Flut von Präsentationen die Motivation des Publikums und richtet damit volkswirtschaftlichen Schaden an.
Die Bilanzmeetings der Konzerne beschreibt der Kommunikations-Experte als ein eindrucksvolles Beispiel für den Unsinn von PowerPoint-Präsentationen. Auditorien, die aus hunderten von Mitarbeitern bestehen, werden dank der grassierenden Präsentationswut nahezu lückenlos eingeschläfert. Nach spätestens zehn Minuten sind die Zuhörer angesichts der Flut von Unternehmensdaten mit ihren Gedanken anderswo. Mit den etablierten Präsentationstechniken wird weder Aufmerksamkeit erzeugt noch Motivation gefördert. Im Gegenteil: Die Motivation der Beteiligten sinkt bei solchen Veranstaltungen in der Regel gegen Null.
PowerPoint-Langeweile zum Preis von 200 Millionen Franken
Pöhm hat anhand der Stundenlöhne der „Zwangsanwesenden“ für die Gesamtschweiz hochgerechnet, welche ökonomischen Konsequenzen sich aus der Omnipräsenz von PowerPoint ergeben. Er kam auf einen volkswirtschaftlichen Schaden von jährlich 200 Millionen Franken; schon aus diesem Grund müsse die Software eigentlich verboten werden. Hinzu kommen die Faktoren, welche PowerPoint für die Zuhörer lästig werden lassen.
An erster Stelle steht der Lesezwang, der immer dann einsetzt, sobald auf den Folien Text erscheint. Die Präsentationen werden so zu einer Art „betreuten Lesens“ – der eigentliche Vortrag hat nur geringe Relevanz und Wirkung. Zudem ist die Sprache auf den Slides vor allem bürokratisch, PowerPoint-Texte bestehen oft aus holprigen Substantivierungen und abgehackten Sätzen. Auch Alternativprogramme – beispielsweise die Apple-Software Keynote, die von Steve Jobs und seinen Fans als grundsätzliche PowerPoint-Alternative gefeiert wurde – bringen trotz zum Teil eindrucksvollerer optischer Effekte hier kaum Verbesserungen mit sich.
Die Crux dabei: Kein noch so exzellentes digitales Programm kann bei einem Vortrag die menschliche Aktion ersetzen. Beispielsweise findet Pöhm, dass Flipchart – nicht die Papierversion, sondern ein Synonym für die Präsentationssoftware Activestudio – eine PowerPoint-Präsentation im Hinblick auf Aufmerksamkeitseffekte und Wirksamkeit um Längen schlägt. Ausschlaggebend hierfür sind die interaktiven Features des Programms, die es ermöglichen, diverse Charts während des Vortrags zusammen mit dem Publikum zu entwickeln. Der „Frontalunterricht“ wird auf diese Weise immer wieder durch ein kollektives Brainstorming aufgebrochen.
Schlechte Redner oder schlechtes Instrument?
Die Monopolstellung von PowerPoint im Business-Leben dürfte auch mit der Marktmacht von Microsoft zusammenhängen. Gleichzeitig verbinden sich mit der „richtigen“ Präsentationstechnik Glaubenssätze. Das Mantra der „PowerPoint-Adventisten“ lautet, dass schlechte Präsentationen nicht aus der Software, sondern aus fehlender rhetorischer Brillanz der Redner resultieren. Kaum jemand überprüft jedoch, ob dies wirklich stimmt.
Wer sich auf eine Flipchart-Präsentation einlässt, könnte jedoch ebenso wie Matthias Pöhm die Erfahrung machen, dass mit dem Instrument PowerPoint so einiges im Argen liegt. Viele Präsentatoren müssten hier jedoch auch ihre Angst vor Neuem und möglichen Reaktionen darauf überwinden. PowerPoint ist ein eingeführtes Tool, Flipchart-Activestudio so gut wie unbekannt. Flipchart erfordert ausserdem eine grundsätzlich andere Konzeption des Vortrags.
In vielen Fällen hat der Vortragende ohnehin keine Auswahlmöglichkeit. In Schulen, bei der Berufsausbildung und teilweise auch an Universitäten gibt es laut Pöhm Punkteabzug, wenn jemand ein anderes Präsentationsprogramm als PowerPoint verwendet. Auch in vielen Unternehmen ist PowerPoint ein ebenso unangefochtenes wie „unersetzbares“ Pflichtprogramm.
Unsere Präsentationskultur: Übervisualisierung, Distanz, abstrakte Ratio
So weit, so gut – an dieser Fundamentalkritik ist sicher vieles richtig. PowerPoint-Präsentationen erwecken nur allzu oft den Eindruck, als seien sie geklont. Trotzdem kann wohl nicht alle Schuld der Software zugeschoben werden. Einer der wesentlichen Punkte ist, dass die Unternehmen glaubten, zusammen mit PowerPoint die Macht der Bilder für ihre Zwecke zu entdecken – und die Umsetzung nicht schaffen.
Dass Inhalte nur zusammen mit einer eindrucksvollen Visualisierung wirken können, gehört heute zu den Grundbotschaften jedes Präsentations- und Rhetorikseminars. In der Praxis hat sich daraus vor allem eine Reihe von Formalien ergeben. Die meisten Präsentatoren setzen zuallererst auf „schöne Charts“, oft gibt es als Zugabe auch noch ein hochwertig produziertes Handout mit dem gleichen Inhalt. Wer darauf verzichtet, meint Gefahr zu laufen, dass ihn sein Publikum trotz allgemeiner Langeweile nicht wirklich ernst nimmt. Persönlich nehmen sich die meisten Redner fast absolut zurück – in Schweizer Business-Auditorien regiert die abstrakte Ratio.
Das Ergebnis besteht in strikter Distanz zum Publikum und einer Übervisualisierung ohne echten inhaltlichen Bezug. De facto arbeitet der Redner zwar mit Charts, vermittelt seine Botschaft jedoch vor allem textbasiert. Raum für Kreativität und Spontaneität – für echte Diskussionen, neue Ideen und interaktive Kommunikation – kann daraus nicht entstehen. Dem Publikum dürfte zudem sehr oft die Augenhöhe mit dem Redner fehlen.
Statt Abschied von PowerPoint: Rhetorischer Paradigmenwechsel
Die Alternative zu dieser Präsentationskultur besteht nicht in einer neuen Software, die „idealerweise“ interaktive Elemente unterstützt – die übrigens auch nicht zu jedem Anlass passen – sondern in einem Paradigmenwechsel. In einer guten Präsentation steht der Redner ebenso im Fokus wie die Thematik, die er vermitteln will. Seine Persönlichkeit und gutes Storytelling sind komplementär zu einer durchdachten und klar strukturierten Dramaturgie des Vortrags.
Auch Emotionen – eine der Grundvoraussetzungen jeder wirkungsvollen Story – sind ausdrücklich erwünscht. Bei einem solchen Ansatz treten die „schönen Charts“ automatisch in den Hintergrund. Prägnante Visualisierungen helfen, die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Kernaussagen der Präsentation zu lenken, der Rest der Folien ist bei Bedarf vor allem als Back-up relevant. Präsentationssoftware wird dabei wieder zu dem, was sie eigentlich ist – zu digitalem Handwerkszeug unter der Regie von Menschen.
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