Wie der Mindestlohn und die Einwanderungsinitiative zusammenhängen

Zu dem möglicherweise kommenden Mindestlohn, über den im kommenden Mai entschieden wird, haben wir in einem früheren Beitrag bereits berichtet.

Nicht darin enthalten waren jedoch die Auswirkungen, welche die Lohngrenze möglicherweise auch auf die Einwanderungsinitiative und damit alle Unternehmen in der Schweiz haben könnte – denn die potenziellen Folgen betreffen auch dieses heikle Thema.

Wie der Mindestlohn und die Einwanderungsinitiative verknüpft sind

Beide Punkte werden derzeit kontrovers diskutiert: Beispielsweise behaupten Gegner des Mindestlohns, dass ein zu hohes Lohnniveau dafür sorgen würde, dass noch mehr ausländische Fachkräfte in das Land gelockt werden könnten. Man befürchte eine gewisse Sogwirkung, die durch einen deutlich zu hoch angesetzten Mindestlohn entstehen könnte.

Die Befürworter der Lohnschwelle halten das für falsch: Stattdessen würde ein grosszügig bemessenes Entgelt dafür sorgen, dass es sich die Arbeitgeber in der Schweiz nicht mehr erlauben könnten, „billige Arbeitskräfte“ aus dem Ausland einzustellen. Das würde direkt zu Lasten der Fachkräfte im Inland gehen – und das würde wohl kein Arbeitgeber in der Schweiz riskieren. Beide Parteien liegen in ihren Ansichten wohl nicht komplett falsch. Faktisch untermauern lässt sich jedoch, dass Ausländer in der Schweiz zu den grossen Profiteuren des Mindestlohns zählen würden.

Niedriges Lohnniveau unter Ausländern

Ausländer verdienen in der Schweiz unterdurchschnittlich wenig Geld. Dies dürfte zwar in so gut wie jedem Land in Europa und im Rest der Welt der Fall sein, aber diese Tatsache rückt diese Ungerechtigkeit natürlich nicht in ein besseres Licht: Die dafür zuständigen Behörden berufen sich auf die Lohnstrukturerhebung, nach welcher fast 50 % der Ausländer in der Schweiz weniger als 22 Franken pro Stunde verdienen. Jene 22 Franken sind genau die Grenze, welche die Mindestlohninitiative im Visier hat. Gleichzeitig stellen Ausländer jedoch nur 29 % der Beschäftigten im gesamten Land dar – eine offensichtliche Ungerechtigkeit, welche durch den Mindestlohn ausgeglichen werden soll.

Aber welche Seite hat Recht?

Die geforderten 22 Franken pro Stunde würden die Schweiz in dieser Disziplin zu einem neuen Weltrekord verhelfen: Nirgendwo sonst auf der Welt – auch nicht in den traditionell gutbezahlten Ländern in Skandinavien – wird ein derartig hohes Lohnniveau angestrebt. Es ist daher offensichtlich, dass der Mindestlohn ein gewisses Interesse bei Arbeitnehmern aus dem Ausland auf den Plan rufen wird. Gleichzeitig soll die Einwanderungsinitiative dafür sorgen, dass genau das nicht passieren wird – aber gibt es überhaupt einen direkten Zusammenhang?

Arbeitsmarktexperten wie George Sheldon aus Basel etwa behaupten, dass die hohe Zahl an Einwanderern aus den letzten Jahren nicht auf die Löhne, die Lebensqualität oder andere, Schweiz-exklusive Eigenschaften zurückzuführen war. Stattdessen ist die Lösung wesentlich einfacher: Die Unternehmen haben die Arbeitskräfte schlichtweg gebraucht, um international konkurrieren zu können. Wenn es in der Schweiz zu wenige Fachkräfte für bestimmte Tätigkeiten gibt, wird eben im Ausland gesucht – und daran wird auch der Mindestlohn nichts ändern.


Der Mindestlohn könnte auch dafür sorgen, dass die Zuwanderung eben nicht weiter steigt. (Bild: anawat sudchanham / Shutterstock.com)


Die zwei Szenarien des Mindestlohns

Der Mindestlohn könnte auch dafür sorgen, dass die Zuwanderung eben nicht weiter steigt: Wie im letzten Artikel zu diesem Thema bereits erwähnt wurde, könnte die Lohngrenze dafür verantwortlich sein, dass Arbeitsplätze auch vernichtet werden – etwa dann, wenn es sich kleinere Unternehmen schlichtweg nicht mehr leisten können, bestimmte Stellen zu bezahlen.

Diese potenzielle Vernichtung von Arbeitsplätzen in Unternehmen hat dann natürlich auch Auswirkungen auf Zuwanderer: Wer über das Arbeitsklima informiert ist und weiss, dass in der Schweiz immer weniger Stellen in einer bestimmten Branche zur Verfügung stehen, wird das auch ausländische Arbeitskräfte abschrecken. Die Einwanderung könnte also durch den Mindestlohn sogar gehemmt werden – womit die Gegner der Initiative Mindestlohn paradoxerweise ihren Willen bekommen könnten. Auch George Sheldon sieht das ähnlich: Am „Antrieb Mindestlohn“ hegt er grosse Zweifel.

Verdrängung im eigenen Land?

Eine weitere These besagt, dass Unternehmen in Zukunft vielleicht fast schon gezwungen werden, ausländische Fachkräfte einzustellen – aufgrund besserer Qualifikationen. Hohe Löhne locken qualifizierte Arbeitnehmer aus dem Ausland an. Diese könnten sogar in einem solchen Masse qualifiziert sein, dass „schlechtere“ Arbeitnehmer aus der Schweiz unter einem Risiko der Verdrängung leiden könnten. Die Folge wäre eine höhere Arbeitslosigkeit für Schweizer Fachkräfte.

Ein solches Fazit zieht beispielsweise der Tieflohnbericht des Staatssekretariats für Wirtschaft: Danach würde ein erhebliches Risiko bestehen, dass ansässige Fachkräfte durch gleichzeitig besser qualifizierte und produktiv wertvollere Ausländer verdrängt werden könnten. Gleichwohl bestehen Zweifel an dieser These. In den letzten 15 Jahren beispielsweise haben Einwanderer die Einwohner der Schweiz nicht verdrängt – sondern ergänzt. Ob ein Mindestlohn in Zeiten der Einwanderungsinitiative daran etwas ändern wird, ist fragwürdig.

Unberechenbare Wechselwirkungen

Wie aus diesem Artikel hervorgeht, sind die Auswirkungen des Mindestlohns und der Einwanderungsinitiative und die Wechselwirkungen, welchen sie zweifelsfrei unterliegen, kaum vorhersehbar. Klar ist jedoch, dass die Wirtschaft diese Fragen für uns beantworten wird: Unternehmen werden letztendlich dafür verantwortlich sein, einen Einfluss beispielsweise auf die Höhe der „Ausländerkontingente“ pro Jahr zu nehmen.

Dass sich die beiden Initiativen gegenseitig beeinflussen werden, dürfte jedoch klar sein. Aber: Unter all jenen Gründen, welche für eine Ablehnung der Mindestlohninitiative sprechen, zählt die Angst vor einer neuen Einwanderungswelle sicherlich nicht zu den dringendsten Angelegenheiten, denn dieses Szenario ist zumindest vor dem 18. Mai noch nicht vollständig absehbar und daher reine Spekulation.

 

Oberstes Bild: © Leroy Harvey / Shutterstock.com

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