Offen für alles oder doch nicht ganz dicht?

Sowohl von Einzelpersonen als auch von Unternehmen ist der Spruch „Ich bin offen für alles!“ oder „Wir sind offen für alles!“ immer wieder zu hören. Gemeint ist hier sicherlich das Interesse für unterschiedlichste Belange oder Anliegen, letztlich verbirgt sich dahinter aber eine ganz andere Botschaft. In Zeiten einer ständig wichtiger werdenden Individualität und Spezialisierung ist die vielgepriesene Offenheit für alles nicht nur kontraproduktiv, sondern nahezu gefährlich.

Individualität ist Trumpf

Sich von anderen Individuen abzugrenzen ist eine wichtige Eigenschaft gereifter Persönlichkeiten, die abseits jeglicher Uniformität oder Nachahmerei eine ganz eigene Stellung im gesellschaftlichen Umfeld einnehmen.

Diese Form der Individualität ist nicht nur modern, sondern geradezu überlebenswichtig. Nur wer sich von anderen abgrenzen kann, ist auch in der Lage, eigene Interessen zu artikulieren und gegebenenfalls durchzusetzen. Dabei verfügt jede Persönlichkeit über ein bestimmtes Repertoire an Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrungen. Dieser persönliche Vorrat macht nicht nur die Individualität von Menschen aus, sondern sorgt auch für Alleinstellungsmerkmale, die im privaten Leben genauso wichtig sind wie beispielsweise im Arbeitsleben. Dabei gehören zur persönlichen Ausstattung auch ganz eigene Interessen und Neigungen, die das Zugehören zu anderen sozialen Gruppen als der Herkunftsfamilie ermöglichen und erleichtern. Eine gewisse Abgrenzung der eigenen Person ist auch für eine gesunde Psyche wichtig. Wer sich als für alles offen präsentiert, verliert schnell ein notwendiges Mass an psychisch wichtiger Abgrenzung, die oftmals auch zu körperlichen Übergriffen und Eingriffen in die persönliche Integrität führt. Aus dieser Sicht heraus kann nicht ganz dicht sein, wer für alles offen ist.

Auch Unternehmen müssen sich abgrenzen

So wie es für eine psychisch gesunde Persönlichkeit wichtig ist, sich mit einem gewissen Mass an Individualität abzugrenzen, bedarf es auch für erfolgreiche Unternehmen einer gewissen Spezialisierung. Besonders unerfahrene Existenzgründer und kleine Unternehmen, die um jeden Kunden ringen, präsentieren sich oftmals als Allrounder. In der Folge entsteht ein Bild von diesen Unternehmen, das sich als recht schwammig und wenig griffig darstellt. Die Vermutung liegt nahe, dass ein Unternehmen das alles kann, nur wenig wirklich richtig kann. Darüber hinaus wirkt die Selbstdarstellung à la „Wir machen alles!“ wenig vertrauenserweckend.

Spezielle Leistungen bedürfen spezieller Fähigkeiten, die ausgebaut, weiter spezialisiert und strukturiert werden müssen. Die Spezialisierung in der Wirtschaft ist letztlich nicht nur ein menschlicher Entwicklungsschritt, sondern auch ein Erfordernis in der modernen Welt. Regelmässig scheitern Unternehmen, denen es nicht gelingt, sich auf ihr spezielles Angebot zu konzentrieren. Die Gründe liegen hier auch darin, dass ein Wettbewerb über mehrere Branchen und Fachbereiche begonnen wird, der ohne entsprechende Spezialisierung kaum zu gewinnen ist. Musterbeispiel für eine zu breit angelegte Unternehmenspolitik ist Thyssen Krupp. Die Vermischung vieler unterschiedlicher Geschäftsbereiche hat letztlich dazu geführt, dass die Leistungen immer weniger nachgefragt waren und nur der Druck der Wirtschaft selbst eine gewisse Regulierung erzwungen hat, die mit teurem Geld bezahlt werden musste. Bis heute hat Thyssen Krupp an solchen Fehlentwicklungen zu knabbern und es wird wohl noch einiger Zeit bedürfen, bis die Folgen einer viel zu breit angelegten Unternehmensphilosophie wieder bereinigt sind.

Das Gesetz der Individualität

Persönlichkeiten und Unternehmen müssen sich voneinander abgrenzen und unterscheiden. Nur so kann es gelingen, einen ganz eigenen Stamm an Interessenten oder Kunden aufzubauen, der punktgenau zum Portfolio der Persönlichkeit oder des Unternehmens passt. Dies ist ein Grundsatz sowohl der gesunden Individualentwicklung als auch einer gelingenden Unternehmensentwicklung.


Allroundwunder sind in einer modernen Wirtschaft nicht gefragt. (Bild: Petra Dirscherl / pixelio.de)


Schon in Rekrutierungsgesprächen begegnen dem einen oder anderen Personalentscheider Menschen, die von sich behaupten, dass sie im Unternehmen alles machen würden. Das wirkt wenig seriös und ist in modernen Unternehmen auch nicht gefragt. Gefragt sind vielmehr Spezialisten ihres Faches, die an genau einem Arbeitsplatz die Erwartungen erfüllen können, die an sie gestellt werden. Schön, wenn ein einzelner Arbeitnehmer mehr als das kann, aber Allroundwunder sind in einer modernen Wirtschaft nicht gefragt und stossen schnell an Ihre Grenzen. Das spüren oftmals auch Einzelunternehmer oder Inhaber kleiner Betriebe, die ein zu hohes Mass an Arbeit und Verantwortung auf die eigenen Schultern laden. Schnell geraten einzelne Belange ins Hintertreffen und schädigen dann nachhaltig das Gesamtergebnis.

Das, was hier auf Einzelpersonen zutrifft, wirkt auch auf grössere Unternehmen. Auch hier ist Individualität gefragt, die sich gezielt von den Mitbewerbern am Markt abgrenzt. Ein guter Weg dahin ist das Schaffen einer eigenständigen Marke, die das Bild eines Unternehmens nach aussen prägt. Auf dieser Grundlage können dann gern auch Erweiterungen geschaffen werden, die letztlich aber niemals den Rahmen der Branche sprengen sollten.

In sich geschlossen und attraktiv durch Spezialisierung

Sowohl Individuen als auch Unternehmen sollten so strukturiert sein, dass sie als in sich geschlossen in Erscheinung treten. Das ist besonders wichtig für Unternehmen mit einem breit angelegten Produktportfolio und vielen Tochterbetrieben oder Aussenstellen. Hier ist das Mutterunternehmen oder der Hauptsitz immer das Mass aller Dinge, wenn es um die Aussendarstellung und um die Bestimmung der Firmen- und Produktphilosophie geht. Dabei ist eine konsequente Spezialisierung das Gebot der Stunde. Bestes Beispiel dafür sind Unternehmen, die erfolgreich Nischen am Markt besetzen. Hier ist eine Spezialisierung gelungen, die solche Unternehmen einzigartig und dadurch auch unverwechselbar macht. Letztlich suchen Menschen und Kunden nach speziellen Produkten und nicht nach einem Mischmasch aus allem, was möglich sein könnte. Dementsprechend ist nicht ganz dicht, wer für alles offen ist.

 

Oberstes Bild: © fotomek – Fotolia.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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