Work-Life-Balance: Familienfreundlichkeit macht Europas Unternehmen zukunftsfest

Unternehmen im Kampf um die besten Köpfe: Nur wer ideale Bedingungen schafft, gewinnt begehrte Fachkräfte für sich. Teilzeitarbeit für Mütter wie Väter, hochflexible Arbeitszeitmodelle, Home-Office-Option und Karrierechancen gehören genauso dazu wie Vaterschaftsurlaub und Kinderzulagen, die das gesetzliche Minimum als unzureichend erkannt haben.

Firmen, die Familienfreundlichkeit als glänzendes Etikett und blosses Lippenbekenntnis verstehen, laufen Gefahr, auch ökonomisch den Anschluss zu verlieren. Durch das Unternehmen Kimberly Clark beauftragte Studien belegen: Kinder sind gut für Stressmanagement und Sozialkompetenz, was Manager mit Familienleben zu den kompetenteren Führungskräften macht – sie kommen bei Mitarbeitern einfach besser an. Dennoch ist auch in der Schweiz in punkto familienfreundliche Personalpolitik noch ein gutes Stück Pionierarbeit zu leisten. Zum Beispiel dort, wo der Wunsch nach Teilzeit als fehlendes Engagement ausgelegt und entsprechend schlechter bezahlt wird: Nur 13 Prozent der Männer, aber 60 Prozent der Frauen – die gleichzeitig 20 Prozent weniger verdienen – sind teilzeitbeschäftigt. Vielleicht braucht es für den beschleunigten Wandel in Richtung echter Gleichstellung mehr Vorbilder, sprich Chefs in Teilzeit?

Unternehmen: Zukunftsfähig nur bei gelebter Work-Life-Balance

Klappern gehört zum Handwerk: Im Produktmarketing längst selbstverständlich, sichert Werben mit Familienfreundlichkeit entscheidende Wettbewerbsvorteile, weil diese Strategie Fach- und Führungskräfte an sich bindet, wie nicht zuletzt die Personalmarketingstudie 2010 der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag des deutschen Bundesfamilienministeriums belegt. Gute Arbeitsbedingungen sorgen für zufriedene Mitarbeiter mit geringeren Ausfallzeiten. Oft ermöglicht erst ein Betreuungsplatz die Aufnahme von Erwerbstätigkeit, die umso konzentrierter erledigt wird, je mehr Freiraum für die Erledigung privater Verpflichtungen bleibt.

Die zeitgemässe Balance von Familie und Arbeitswelt als Teil einer Unternehmenskultur sichert Arbeitsplätze und sorgt dafür, dass sich Arbeitnehmer mit ihrem Unternehmen identifizieren. Insofern ist Familienfreundlichkeit ein wichtiger Faktor für die Zukunftsfähigkeit europäischer Unternehmen – positive gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Effekte, die inzwischen wissenschaftlich dokumentiert sind. Seit 2003 hat es sich auch die Bertelsmann Stiftung in einem gemeinsamen Projekt mit dem Bundesfamilienministerium zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit für die „Balance von Familie und Arbeitswelt“ zu sensibilisieren. Das Ziel ihrer spezifischen Vorschläge für das Kooperieren von Führung und Mitarbeitern: Eine Unternehmenskultur, die sich an der Work-Life-Balance ausrichtet.

Verbriefte Familienfreundlichkeit: Das muss ein Unternehmen haben

Zauberwort Work-Life-Balance: Für Forscher und Professoren grosser Unternehmen wie IBM oder für die ETH (Eidgenössische Technische Hochschule) sind familienfreundliche Arbeitsmodelle einschliesslich Jobsharing kein Fremdwort mehr. Das Bundesamt für Statistik der Schweiz belegt ausserdem, dass immer mehr Führungskräfte ihr Pensum weiter reduzieren. So hat sich seit 1991 die Zahl der unter 90 Prozent arbeitenden Führungskräfte verdoppelt, wenngleich nur ein Fünftel davon Männer sind. Offiziell geniesst die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Schweiz politische Priorität, aber wie lässt sich glaubwürdiges, authentisches Engagement dafür praktisch umsetzen?

Qualitätssiegel wie die Auszeichnung „Familienfreundlicher Arbeitgeber“ der Bertelsmann Stiftung nehmen vor allem kleinere und mittlere Unternehmen in den Blick: Zentrale Bewertungsdimensionen sind Unternehmens- und Führungskultur sowie Unternehmenskommunikation, ohne die sich passgenaue, flexible Modelle der Arbeitsgestaltung und funktionierende Unterstützungsangebote nur schwer realisieren lassen – Schlüssel für eine interagierende Zahl zahlreicher kleiner Lösungen. Unternehmen, die die strategische Wichtigkeit von Familienfreundlichkeit erkannt haben, müssen in folgenden Bereichen punkten:

  • Unternehmenskultur gelebter Familienfreundlichkeit, für die sich Führungskräfte verbindlich engagieren,
  • von Respekt, Vertrauen und Lösungsorientierung geprägtes Kommunikationsklima,
  • an familiäre Erfordernisse maximal flexibel anpasste Arbeitsorganisation (Home-Office-Option etc.),
  • breit gefächerte, konkrete Unterstützungsangebote von Kinderbetreuung über Pflege von Angehörigen bis Bügelservice
  • transparente Personalmanagement- und Marketingstrategie, die Familienfreundlichkeit als Wettbewerbsfaktor nachhaltig (Stichwort demografischer Wandel) verfolgt


2005 führte auch die Schweiz den Mutterschaftsurlaub ein, während es der Vaterschaftsurlaub noch nicht ins Gesetz geschafft hat. (Bild: Marianne J. / pixelio.de)


Familienparadies Schweiz? Eidgenossen im Europavergleich

Fachkräfte auf Jobsuche in der Schweiz finden familienfreundliche Unternehmen unter anderem auf familienplattform.ch oder auch jobundfamile.ch. Letztere Plattform kann nach Kriterien wie flexible Arbeitszeiten, Home-Office oder Kinderbetreuung im Unternehmen durchforstet werden und bietet die Möglichkeit, die Familienfreundlichkeit von Firmen zu bewerten. Wer den Check macht, stellt fest: Um als Beispiel Schule zu machen, könnten es durchaus mehr sein. Politische Vorstösse, Schweizer Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen, sind bislang gescheitert. Dabei zahlt sich Familienfreundlichkeit – oft lediglich eine Frage besseren Organisierens und Delegierens – laut Erhebungen der Basler Firma Prognos aus, was Unternehmensrenditen angeht.

Doch was gilt in der Schweiz als familienfreundliches Unternehmen? Nähere Betrachtung enthüllt, dass einheitliche Richtlinien fehlen. Allein die Fachstelle UND (Familien und Erwerbsarbeit für Männer und Frauen) analysiert Arbeitsbedingungen von Unternehmen zu Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Gleichstellung – und stellt monatlich ein ausgewähltes Unternehmen auf seiner Website vor. Lobenswert auch die Wettbewerbe regionaler Wirtschaftsförderer und politischer Parteien, deren Resonanz aber durchaus der Steigerung bedarf – im November 2008 fand sich im Kanton Thurgau kein Teilnehmer, der mitmachen wollte.

Und der internationale Vergleich? 2005 führte auch die Schweiz den Mutterschaftsurlaub ein, während es der Vaterschaftsurlaub noch nicht ins Gesetz geschafft hat. Doch Unternehmen, die bezahlten Urlaub für frischgebackene Väter gewähren, gibt es bereits: Väter bei der Alternative Bank Olten oder bei Mobility dürfen vier Wochen zu Hause bleiben, Beschäftigte der Stadt Bern oder bei der IBM drei Wochen, während Swisscom oder Credit Swiss zwei Wochen zugestehen. Deutschland dagegen kennt 14 Monate Urlaub mit Taggeldern für beide Eltern, Schweden 480 Tage bezahlte Elternzeit, davon mindestens 60 für den Vater.

Fakt bleibt: Ein paar Tage Vaterschaftsurlaub sind Augenwischerei, wo es um echte Flexibilität geht, auf die Eltern während des gesamten Vorschul- und Schulalters ihrer Kinder angewiesen sind. Eben ein Komplettprogramm aus flexiblen Arbeitszeiten, Teilzeit, Telearbeit und Jobsharing – das Professor Norbert Thom, Direktor des Instituts für Betriebswirtschaftslehre der Universität Bern, übrigens „als Gebot ökonomischer Klugheit“ betrachtet.

 

Oberstes Bild – @ stockWERK – fotolia.com

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