Der b24-Wochenrückblick: Neues Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

Die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen dieser Woche wurden von einem neuen Flüchtlingsdrama überschattet. Am Sonntagmorgen sind vor der lybischen Küste mehr als 900 Flüchtlinge ertrunken, die auf einem Schlepperboot unterwegs nach Italien waren. 

Damit steht auch zur Debatte, wie sinnvoll die europäische Flüchtlingspolitik tatsächlich ist – kurzfristige Lösungen für die Flüchtlingskrise dürften allerdings eher unwahrscheinlich sein. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, wie privilegiert die Schweiz und ihre Bürger im Hinblick auf ihre Reisefreiheit ist – sein Gegenstück findet er in einer pragmatischen Flüchtlingspolitik und umfangreichen Wirtschaftshilfen für die „Dritte Welt“.

Am Rande der IWF-Frühjahrstagung hat Bundesrat Johann Schneider-Ammann (FDP) soeben ein neues Abkommen hierzu unterzeichnet. Das inoffizielle Hauptthema des Treffens war wieder einmal Griechenland – die Schuldenkrise in Athen ist letztlich ebenfalls ein eindrucksvolles Beispiel dafür, welche Folgen aus einer verfehlten Strukturentwicklung resultieren können.

Bisher grösste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer – mindestens 700 Tote

Am Sonntagmorgen hat sich vor der lybischen Küste durch das Kentern eines Trawlers mit etwa 950 Flüchtlingen an Bord die bislang grösste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer ereignet, überlebt haben sie nur 28 Menschen. Die EU-Kommission hatte für gestern Nachmittag eine Krisensitzung anberaumt, auch auf dem Gipfeltreffen der EU-Aussenminister am heutigen Montag wird die Flüchtlingsproblematik ein zentrales Thema sein. Aus Sicht der EU muss es künftig vor allem darum gehen, mit den Herkunfts- und Transitländern zu kooperieren, um die Flüchtlinge von ihrer gefährlichen Reise abzuhalten. In einem Medienbericht zum Thema hiess es, dass auch rein ökonomisch definierte Immigrationsbestimmungen wie den USA, Australien oder Kanada besser wären als der heutige Zustand, in dem vor allem der Zufall über die Perspektiven von Flüchtlingen in der EU entscheidet – eine Position, von der die europäische Politik bisher weit entfernt ist.

1’500 Tote seit dem Jahreswechsel, 11’000 Flüchtlinge allein in der letzten Woche

Kritiker werfen der EU nicht erst seit heute vor, der Tragödie im Mittelmeer tatenlos zuzusehen. Die italienische Hilfsmission „Mare Nostrum“ ist im Oktober 2014 ausgelaufen – ins Leben gerufen wurde sie, nachdem 2013 vor der italienischen Insel Lampedusa 400 Flüchtlinge ertrunken waren. Während ihres einjährigen Bestehens trug sie dazu bei, über 130.000 Flüchtlinge zu retten. Die EU hatte – unter anderem mit der Begründung, dass „Mare Nostrum“ noch mehr Flüchtlinge zur Überfahrt von Nordafrika nach Italien ermutigen könnte – die weitere Finanzierung des Programms verweigert. Die deutlich kleinere Anschlussmission „Triton“, die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex geleitet wird, zielt vor allem auf die Sicherung der EU-Aussengrenzen. Inklusive der Toten dieses Wochenendes ertranken seit dem Jahreswechsel vermutlich über 1.500 Menschen, bevor sie in Italien sicheres Land erreichen konnten. Nach Angaben der italienischen Behörden sind allein in der letzten Woche dort mehr als 11.000 Flüchtlinge eingetroffen.

Bekommen die Mittelmeer-Staaten künftig Unterstützung in der Flüchtlingskrise?

Zu hoffen bleibt – in der europäischen Dimension der Problematik – dass die Mittelmeer-Staaten der Europäischen Union mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise künftig nicht mehr allein gelassen werden. Zumindest stellte dies die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini in einem Medien-Statement in Aussicht. Das Dublin-Abkommen schreibt vor, dass der europäische Staat, in den ein Flüchtling nachweisbar zuerst eingereist ist, das Asylverfahren durchzuführen hat. Auch wenn Italien und andere südliche EU-Staaten diese Vereinbarung zum Teil unterlaufen, indem sie Flüchtlinge stillschweigend nach Norden weiterreisen lassen, sind sie damit im Vergleich zum „reichen Norden“ deutlich stärker in der Pflicht.


Bisher grösste Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer (Bild: © Lukas Jonaitis – shutterstock.com)

Wird das Mittelmeer zum Massengrab?

Eine Sprecherin von Amnesty International konstatierte mittlerweile, dass das Mittelmeer zum Massengrab werde, wenn Europa seine Flüchtlingspolitik nicht ändere. Weltweit sind derzeit etwa 51 Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten von ihnen in ihren eigenen Staaten – „nur“ 18 Millionen hoffen auf das Überleben oder eine Chance in einem anderen Land. Am Sonntag rief auch Papst Franziskus die internationale Gemeinschaft dazu auf, angesichts der Flüchtlingstragödien auf dem Mittelmeer endlich „entschieden und schnell“ zu handeln. Beim Angelus-Gebet auf dem Petersplatz beschrieb er die Flüchtlinge als „Männer und Frauen wie wir“ – Brüder und Schwestern auf der Suche nach einem besseren Leben.

Schweizer reisen ohne Visaformalitäten in 142 Länder

Wer einen Schweizer Pass besitzt, geniesst ein Privileg – dabei geht es um Lebenschancen ebenso wie um Reisemöglichkeiten. Das US-amerikanische Beratungsunternehmen Arton Capital hat jetzt eine Rangliste erstellt, in der es weltweit um die „mächtigsten“ und die schwächsten Pässe geht. Die Schweizer befinden sich mit ihren Reisedokumenten im absoluten Spitzenfeld, sie können ohne Visaformalitäten in 142 Länder reisen und belegen damit den fünften Platz.  Den vierten Rang teilen sich Luxemburg, Dänemark, Finnland, die Niederlande, Singapur und Japan, deren Bürger in 143 Ländern Einreisevisa direkt an der Grenze und ohne besonderen Antrag erhalten können. Italiener und Schweden reisen auf diese Weise  in 145 Länder und liegen damit auf Platz Drei. Deutschland, Frankreich sowie Südkorea gelangten mit freien Reisemöglichkeiten in 146 Ländern auf den zweiten Platz. Die Spitzenposition erreichen Grossbritannien und die USA mit Freizügigkeit in 147 Ländern. Reisende aus Schwellen- und Entwicklungsländern haben demgegenüber oft nur eingeschränkte Möglichkeiten, sich komplizierte Visa-Prozeduren zu ersparen, auch Russland ist hier auf Platz 35 recht weit abgeschlagen. Die Schlusslichter des Rankings sind die Pässe der palästinensischen Autonomiebehörde, des erst 2011 gegründeten Südsudans sowie Myanmars – früher Burma –  deren Inhabern nur 28 Länder Reisefreiheit gewähren.

Die Schweiz hat ihre Syrienhilfe aufgestockt

An dieser Stelle schliesst sich ein Kreis zur Flüchtlingsproblematik: Die auch unter den Industriestaaten privilegierte Position der Schweiz findet ihr Gegenstück in einer pragmatischen und engagierten Flüchtlingspolitik. Bereits Ende März hat der Bundesrat beschlossen, in den nächsten drei Jahren 3.000 Syrerinnen und Syrer ausserhalb des regulären Asylverfahrens  aufzunehmen. Ihre Einreise erfolgt über humanitäre Visa, falls bereits Familienangehörige vorläufige Aufnahme in der Schweiz gefunden haben oder im Rahmen eines Resettlement-Programms, das in enger Abstimmung mit dem UNHCR realisiert wird. Gleichzeitig hat die Schweiz ihre Soforthilfe für Syrien und die syrischen Flüchtlinge in den Nachbarländern von 30 auf 50 Millionen Franken aufgestockt. Insgesamt hat die Eidgenossenschaft für die Vor-Ort-Hilfe im Syrienkonflikt bisher 128 Millionen Franken ausgegeben.



Schweizer Wirtschaftsförderung für Entwicklungsländer

Neben solchen Nothilfeprogrammen sollen Schweizer Gelder auch die wirtschaftlichen Perspektiven von Entwicklungsländern stützen. Auf der am Samstag zu Ende gegangenen IWF-Frühjahrstagung des IWF hat Bundesrat Johann Schneider-Ammann eine Vereinbarung zur Beteiligung an einem Programm der Weltbank, das die Stärkung der Kapitalmärkte in Entwicklungsländern mit insgesamt 50 Millionen US-Dollar fördern soll. Die Schweiz beteiligt sich mit einer Summe von 15 Millionen Franken, die vor allem der Schaffung von Arbeitsplätzen in kleinen und mittleren Betrieben dienen sollen – ein wesentliches Ziel der Förderung besteht darin, in den betreffenden Ländern einer grösseren Zahl von Jugendlichen eine Perspektive anzubieten.



Griechenland – Top-Thema auf der IWF-Frühjahrstagung

Die IWF-Tagung in Washington war das beherrschende Ereignis in der Wirtschaftswelt – mit dem inoffiziellen Top-Thema Griechenland. Der Druck auf die Regierung in Athen wächst derzeit von allen Seiten – das Credo lautet: Kein Geld ohne sinnvolle Reformen. Der Chef des IWF-Europa-Departements Poul Thomsen warnte vor den unkalkulierbaren Folgen eines „Grexits“ für die gesamte Euro-Zone – ein Szenario, das keiner der Beteiligten wirklich will. Griechenland selbst verhandelt derzeit nicht nur mit „den Institutionen“, sondern auch mit Russland. Falls das anvisierte Energieabkommen in dieser Woche tatsächlich unterzeichnet und Griechenland zum Transitland für russisches Erdgas wird, könnten in die leeren Kassen in Athen kurzfristig bis zu fünf Milliarden Euro fliessen und der Syriza-Regierung in den Verhandlungen mit EU und IWF etwas Zeit verschaffen.

 

Oberstes Bild: © tonympix – shutterstock.com

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