WEF: Sieben Herausforderungen für die Globalisierung

Das Genfer World Economic Forum (WEF) hat eine neue Studie mit dem Titel „Geo-Economics, Seven Challenges to Globalization“ vorgelegt, die sich damit beschäftigt, welchen Einfluss die wachsenden internationalen Konflikte auf die Weltwirtschaft und auf die Globalisierung haben.

Die globale Ökonomie ist demzufolge mit sieben zentralen Herausforderungen konfrontiert.

In der Einleitung zur Studie heisst es, dass bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise geopolitische Faktoren vor allem im regionalen Massstab eine Rolle spielten, heute stehen sich dagegen wieder Grossmächte als Konfliktparteien gegenüber. Die Ukraine wurde zum Epizentrum einer Krise, in der es um die künftige politische und wirtschaftliche Rolle Russlands und des Westens geht. In Asien, aber auch in anderen Weltregionen wirft der Einfluss Chinas Fragen auf. Im Nahen Osten müssen Syrien und der Irak als „gescheiterte Staaten“ angesehen werden – im Hintergrund kommt hier ein übergreifender Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran zum Tragen. Aus Sicht des WEF werden diese Auseinandersetzungen auch künftig nicht vorrangig militärisch, sondern im Wirtschaftsleben ausgetragen.

Das Streben nach Macht ist ebenso wichtig wie das Streben nach Profit

Die Genfer Konflikt- und Wirtschaftsforscher schreiben, dass die neuen Geo-Economics die “grösste Antithese zur Globalisierung“ sind, die darin jedoch gleichzeitig ihre „grössten Triumphe“ feiert. Ausnahmslos alle Länder sind heute abhängig von der Weltwirtschaft. Die vergangenen Jahrzehnte waren durch Integration geprägt – heute verfolgen die Grossmächte und auch viele Regionalmächte wieder zunehmend ihre eigenen Interessen. Oft werden sie über ökonomische Sanktionen und Wirtschaftskriege ausgetragen. Die WEF-Studie stellt die These in den Raum, dass das Streben nach Macht in der Weltwirtschaft heute ebenso wichtig ist wie das Streben nach Profit. Neu ist, dass es dabei weniger um die Kontrolle von natürlichen Ressourcen, sondern um das Beherrschen von Märkten geht. Daraus ergeben sich die sieben grundlegenden „Challenges“ für die Weltwirtschaft.

Herausforderung Nr. 1 – Wirtschaftskriege

Die Sanktionen der westlichen Länder gegenüber Russland signalisieren laut der Studie den ersten Konflikt zwischen Grossmächten seit dem Kalten Krieg. Entwickelte Volkswirtschaften sind immer weniger bereit, ihre Interessen im Rahmen militärischer Konfrontationen durchzusetzen – hier spielen sowohl der finanzielle Aufwand als auch die fehlende Unterstützung bei der eigenen Bevölkerung eine Rolle. Zudem erweisen sich Wirtschafts- und auch Währungskriege oft als wirkungsvoller. Auch von multinational tätigen Konzernen werden entsprechende Sanktionen in der Regel mitgetragen, was für Staaten und Unternehmen ein Element der „De-Globalisierung“ mit sich bringt. Die Profiteure von Sanktionen sind durch ihre Kontrolle über die Weltwirtschaft bis auf weiteres die USA, Westeuropa – und China, dessen Unternehmen in derart abgestraften Ländern oft in die Bresche springen. In Russland haben die westlichen Sanktionen allerdings auch zum Wachstum des russischen Patriotismus beigetragen und könnten sich trotz der wirtschaftlichen Folgen als ein Machtgarant für Präsident Putin und das russische politische System erweisen.

Herausforderung Nr. 2 – Gefährdung internationaler Freihandelsabkommen

Das WEF erwartet, dass internationale Freihandelsabkommen, die auf Vorteile für möglichst alle Länder zielen, künftig einen noch schwereren Stand haben als bisher, da Gross- und Regionalmächte im Welthandel ihre eigenen Positionen stärken wollen. Beispielsweise sind Russland und China bereits dabei, eigene regionale Wirtschafts- und Handelspartnerschaften zu etablieren und sich damit vom geplanten Transatlantischen Abkommen (TTIP) zwischen den USA und der EU zu separieren. Eine solche Regionalisierung könnte theoretisch zwar zu einem freieren Welthandel und der besseren Berücksichtigung der Interessen einzelner Länder führen – allerdings wird sie nicht abgekoppelt von den strategischen Interessen der Grossmächte in einer multipolaren Welt vor sich gehen. Auf der Verliererseite werden die globalen Konsumenten, viele Branchen und vor allem die Peripheriestaaten der regionalen Mächte stehen.

Herausforderung Nr. 3 – Staatskapitalismus 2.0

Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise spielt der Staatskapitalismus auch in den westlichen Ländern wieder eine deutlich grössere Rolle und treibt den Wettbewerb zwischen den Staaten um ökonomische Macht und Einflusssphären an. Beispielsweise nehmen die Notenbanken in zunehmendem Masse Einfluss auf die Wirtschaftspolitik – das Risiko, dass sie die Grenzen ihrer Mandate überschreiten, ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Das Resultat besteht im schlimmsten Fall in offenen Währungskriegen. Gleichzeitig ist der Protektionismus wieder auf dem Vormarsch: Staaten fördern bestimmte Bereiche ihrer Wirtschaft und schaffen gute Wettbewerbsbedingungen für ihre „nationalen Champions“ – inklusive einer strategischen Positionierung in internationalen Märkten. Auf der Gewinnerseite sind in beiden Dimensionen die USA, aber auch China und die Europäische Union. Russland profitiert vor allem von der strategischen Vermarktung seiner Energieressourcen.


Das Streben nach Macht ist ebenso wichtig wie das Streben nach Profit (Bild: © iceink – shutterstock.com)

Herausforderung Nr. 4 – Wettbewerb um Märkte statt um natürliche Ressourcen

Die Studie geht davon aus, dass die natürlichen Ressourcen eines Landes und die Kontrolle darüber eine geringere Bedeutung haben werden – dies gilt auch für das Erdöl, das seit dem Ende des Kalten Krieges den Wettbewerb zwischen Staaten bis zum direkten militärischen Eingreifen der USA im mittleren Osten vorangetrieben hat. Wettbewerbsentscheidend wird künftig sein, in welchem Mass ein Land die entsprechenden Märkte kontrollieren kann – die Interessen von Staaten und multinationalen Unternehmen sind in dieser Hinsicht deckungsgleich. Voraussetzungen dafür sind unter anderem moderne Technologien, Kommunikationsmittel und Transport-Optionen. Die Akkumulation von Wissen und hochqualifizierte Arbeitskräfte werden vor diesem Hintergrund zur wichtigsten Ressource. Gleichzeitig geht es für den Westen, aber auch China und andere Schwellenländer um den erfolgreichen Eintritt in neue Märkte mit einer möglichst jungen Bevölkerung, wachsender Kaufkraft und einer aufsteigenden Mittelschicht.

Herausforderung Nr. 5 – Das „Überleben der Grössten“ und der Verfall der Peripherie

Das Entstehen regionaler Machtzentren hat im Kern eine Neuaufteilung der Welt zur Folge. Die Länder an ihrer Peripherie verlieren an Bedeutung und müssen sich zunehmend den Interessen der regionalen Zentren unterordnen. Als Beispiele führt die Studie China, Russland oder Deutschland an, die auf der internationalen Bühne zunehmend nicht nur ihren diplomatischen, sondern auch ihren ökonomischen Einfluss geltend machen. Mit der Asiatischen Infrastrukturbank und anderen Organisationen fordert China im asiatisch-pazifischen Raum beispielsweise die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds heraus – de facto dienen die neuen Institutionen vor allem der Durchsetzung chinesischer Interessen. Peripheriestaaten können vor allem dann ihre Eigenständigkeit behaupten, wenn sie in der Lage sind, sich in Wirtschaftsbereichen zu behaupten, die für die gesamte Region inklusive der jeweiligen Grossmacht von Interesse sind. In Asien ist unter anderem Singapur durch seine Bedeutung als internationaler Handels- und Finanzplatz in einer solchen unabhängigen Position. Innerhalb der Europäischen Union sind Griechenland – und der deutsche Druck bei der Ausarbeitung des Reform- und Hilfsprogramms – ein eindrucksvolles Gegenbeispiel.

Herausforderung Nr. 6 – Chinas „Infrastruktur-Allianzen“

China steht vor der Aufgabe, seine Infrastruktur durch immense Investitionen zu entwickeln. Die materiellen Ressourcen dafür sichert sich das Land unter anderem, indem es sich in Schlüsselmärkten in Anlagen zur Rohstoffförderung sowie in produzierende Unternehmen einkauft und diese Länder gleichzeitig für seine Exportwirtschaft als Absatzmarkt erschliesst. Die chinesischen „Infrastruktur-Allianzen“ sind inzwischen weltumspannend und betreffen die chinesische Periphere ebenso wie Länder in Afrika oder Lateinamerika. Für Chinas Partnerländer sind diese Deals oft vorteilhaft. Gefahren sehen die Studienautoren vor allem im politisch-militärischen Bereich: Mögliche Szenarien sind Nationalisierungen der chinesischen Investitionen oder Spannungen in den betreffenden Regionen. Bereits heute habe China privates Militärpersonal im Sudan, in Algerien und einigen anderen Ländern stationiert.

Herausforderung Nr. 7 – Der Ölpreisverfall, Russland und Iran

Seit Mitte letzten Jahres befindet sich der Ölpreis im freien Fall, zwischen Juni und Dezember 2014 ist der Barrel-Preis von 115 auf 60 US-Dollar gesunken. Das WEF erwartet, dass die Entwicklung des Ölpreises auch künftig von hoher Volatilität geprägt sein wird. Die grossen Erdölproduzenten wie Saudi-Arabien, Russland und Iran geraten damit unter Druck. Die beiden letzteren stehen derzeit ohnehin im Kreuzfeuer der Geopolitik – als politisches Druckmittel dürfte der Ölpreis jedoch, wenn überhaupt, nur eine geringe Rolle spielen. Beide Länder verfügen über ausreichende Geldreserven sowie ausreichende Flexibilität in ihren Staatshaushalten und bei den Wechselkursen. Möglicherweise werden Russland und Iran versuchen, wirtschaftliche Ungleichgewichte in anderen Bereichen zu beheben und auch in den schwelenden Konflikten zu taktischen Zugeständnissen bereit sein, ohne jedoch ihre strategischen Interessen grundsätzlich zu ändern.



Fazit: Auch für die Schweiz geht es um die Erhaltung ihrer Eigenständigkeit

In der WEF-Studie wird die Schweiz zwar mit keinem Wort erwähnt – trotzdem geht es angesichts dieser Szenarien auch für die Eidgenossenschaft um die Erhaltung ihrer Eigenständigkeit. Die Studienautoren stellen fest, dass die Verlierer in der globalen Welt jene Länder, Unternehmen und Institutionen sind, die nicht auf die Unterstützung einer Grossmacht zählen und deren Machtansprüchen nichts entgegensetzen können. Die Schweiz schützt bis auf weiteres ihre Wirtschaftskraft. Politisch sind die Schweizer also gut beraten, die bisher optimalen Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erhalten.

 

Oberstes Bild: © SSokolov – shutterstock.com

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