Vertriebs-Recruiting: Den "perfekten Verkaufstypen" gibt es nicht

Um den „perfekten Verkäufer“ ranken sich Legenden. Viele – darunter auch Personalchefs – meinen, dass Verkaufstalent einem Menschen angeboren sein müsse. Dementsprechend fokussiert sich das Recruiting für eine Verkäuferposition oft darauf, ein solches Naturtalent – einen „Verkaufstypen“ – zu finden.

Die beiden Personalexperten Claudia Nelissen und Henrik Turk vom Stein halten diese Vorgehensweise jedoch für überholt; aus ihrer Sicht müssen gute Verkäufer mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen punkten und ihre Auswahl zudem stellen- und branchenspezifisch erfolgen. In einem Gastbeitrag für das Portal humanresourcesmanager.de legen sie dar, worauf es bei der Suche nach den richtigen Verkaufskräften ankommt.

Von „Farmern“ und „Jägern“

Fehlentscheidungen bei der Besetzung von Positionen im Vertrieb können für die Produktivität eines Unternehmens weitreichende Folgen haben. Die Qualität und Expertise von Verkäufern ist nicht nur für die Umsatzzahlen, sondern auch für die Aussenwirkung des Unternehmens sowie die Kundenbeziehungen wichtig. Aus Sicht der beiden Autoren verfolgen viele Personalentscheider bei der Suche nach Vertriebsmitarbeitern eine ganz bestimmte Strategie: Stellen im Key-Account-Management sind demnach mit sogenannten „Farmern“ ideal besetzt, im Business Development respektive der Akquise wünschen sie sich dagegen einen versierten „Hunter“ – also einen Jäger.

Verkaufstypen oder individuelle Persönlichkeitseigenschaften?

Für Erfolg versprechend halten Nelissen und Turk vom Stein solche Recruiting-Strategien jedoch nicht. Typologien können aus ihrer Perspektive die intensive Auseinandersetzung mit den individuellen Kompetenzen und Persönlichkeitseigenschaften der Bewerber nicht ersetzen. Den grössten Erfolg erzielen beispielsweise oft jene Vertriebsmitarbeiter, die ein schnelles Arbeitstempo, Führungsqualitäten und ein stark ausgeprägtes Erfolgsbedürfnis haben. Auch Eigenschaften wie Kontaktfähigkeit, Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit, hohe Frustrationstoleranz sowie emotionale Stabilität und die Fähigkeit zur Selbstmotivation sind für erfolgreiche Verkäufer wichtig.

Erfolgreiches Vertriebs-Recruiting erfordert Zeit für Analyse

Unternehmen sind also gut beraten, wenn sie sich bei der Auswahl ihrer Vertriebsmitarbeiter genügend Zeit lassen, um die persönlichen Qualitäten der Kandidaten zu prüfen. Vorab ist eine ausführliche Beschäftigung mit dem Jobprofil und den konkreten Anforderungen der zu besetzenden Stelle wichtig, um spezifische Erfolgsfaktoren der Position so genau wie möglich zu beschreiben und die Bewerbersuche daran auszurichten. Natürlich ist es auch möglich, dafür ein standardisiertes Recruiting-Modell heranzuziehen und die speziellen Anforderungen und Erfolgsfaktoren auf dieser Grundlage herauszuarbeiten.

Als Massstab dienen in beiden Fällen die intendierten Verkaufsprozesse sowie der Charakter des Unternehmens insgesamt. Bei einem Start-up kommt es beispielsweise vor allem auf die sogenannten Pre-Sales an – im Fokus stehen also die Fähigkeiten des potenziellen Mitarbeiters zu einer überzeugenden Kundenansprache und dem Generieren von Kontakten. Auch die Wahl der optimalen Recruiting-Kanäle richtet sich nach der zu besetzenden Stelle sowie den gewünschten Profilen der Bewerber.


Im Vertriebs-Recruiting geht es um die individuellen Eigenschaften der Bewerber. (Bild: Adam Gregor / Shutterstock.com)
Im Vertriebs-Recruiting geht es um die individuellen Eigenschaften der Bewerber. (Bild: Adam Gregor / Shutterstock.com)


Persönlichkeitsinstrumente zur stellenbezogenen Bewertung von Bewerbern

Zur Identifizierung Erfolg versprechender Kandidaten kommen heute oft Persönlichkeitsfragebögen zum Einsatz, die deutlich ökonomischer als Assessment-Center sind. Der internationale – vor allem angelsächsische – Trend geht schon längst in diese Richtung, inzwischen ist er auch hierzulande angekommen. Wichtig sind eine hohe psychometrische Qualität und eine differenzierte Aussagekraft der eingesetzten Persönlichkeitsinstrumente. Multidimensionale Tools ermöglichen differenzierte Auswertungen und sind „einfachen“ Typologien fast immer überlegen. Mit ihrer Hilfe lassen sich das persönliche Profil – Stärken und Lernfelder des Kandidaten – sowie Verhaltenspräferenzen des Bewerbers mit einem mehrphasigen Verkaufsprozess – den Anforderungen vor, während und nach einem Verkauf – verknüpfen und im Hinblick auf die Anforderungen der Stelle oder eine Normgruppe bewerten.

Strukturierte und aussagefähige Interviews

In den Interviews kommt es auf Objektivität, klare Anforderungsbezüge und Strukturierung an. Falls an den Bewerberinterviews mehrere Personen und verschiedene Abteilungen beteiligt sind, die möglicherweise auch unabhängig voneinander agieren, spielen klar definierte Prozesse und einheitliche Standards eine besonders grosse Rolle. Falls zuvor Persönlichkeitsfragebögen zum Einsatz kamen, lassen sich die Ergebnisse des Tests während des Gesprächs durch die persönlichen Erfahrungen und Arbeitsbeispiele des Kandidaten validieren. Bei Vertriebsmitarbeitern sind hier vor allem vergangene – und belegbare – Erfolge interessant. Welche Erfahrungen weist der Bewerber mit der Akquise neuer Kunden auf? Welche Strategien zur Marktdurchdringung kennt und praktiziert er? Wie sieht sein persönliches Verständnis von Kundenorientierung aus? Im Ergebnis erhalten Personalentscheider ein klares Bild davon, in welchem Masse sich der Kandidat für die offene Stelle eignet und ob er sich in ein vorhandenes Team gut integrieren kann.

Positiver Prozessverlauf – auch für abgelehnte Kandidaten

Im Recruiting-Prozess sollten sich die Entscheidungsträger auf geeignete Personen fokussieren. Es ergibt wenig Sinn, einem introvertierten und eher kontaktscheuen Bewerber nach dem Erstkontakt mehr als ein Mindestmass an Zeit zu widmen, da es auch in Zeiten des wachsenden Fachkräftemangels sehr wahrscheinlich ist, dass sich Kandidaten melden werden, die auf eine Vertriebsposition deutlich besser passen. Der Recruiting-Prozess selbst sollte jedoch von allen Bewerbern positiv bewertet werden können. Respektvolle Kommunikation und Feedback sind hier ein Muss. Wenn abgelehnte Kandidaten eine ehrliche Rückmeldung erhalten, kann das gescheiterte Bewerbungsverfahren zu einer wertvollen Lernerfahrung werden, die vielleicht die persönliche Weiterentwicklung und spätere erfolgreiche Bewerbungen sogar nachhaltig unterstützt.

Gleichzeitig geht es dabei natürlich auch um eine positive Reputation des Unternehmens. Letztlich bemisst sich die Attraktivität einer Firma als Arbeitgeber nicht nur an den Möglichkeiten, die sie ihren bestehenden Mitarbeitern bietet, sondern auch an ihrem Umgang mit Bewerbern.

 

Oberstes Bild: © Konstantin Chagin – Shutterstock.com

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