Studierte Hausfrauen – freie Wahl oder ökonomisch erzwungen?

Mehr als 50.000 Frauen, die in der Schweiz zu Hause bleiben, haben ein Studium absolviert. Die Anzahl hat sich in den letzten Jahren beinahe verdoppelt. Auf diese gesellschaftliche Misere weisen experten seit einiger zeit verstärkt hin. Der Trend, dass gut ausgebildete Frauen nach der Geburt ihres ersten Kindes zum Teil dauerhaft nicht wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren, ist volkswirtschaftlich gesehen ein Verlust.

Darunter gibt zweifellos studierte Frauen, die sich sehr bewusst für die klassische Rolle als Hausfrau entscheiden, um tagsüber ihre Kinder besser betreuen zu können. Der grössere Anteil sind jedoch Frauen, die aus ökonomischen Gründen diese Rolle übernehmen, weil sie die Entscheidungsfreiheit gar nicht haben.

Defizit an Betreuungsplätzen und Mangel an Jobs

Zu den wichtigsten Gründen gehören überwiegend die zu hohen Kosten der Betreuungsangebote und die geringen Möglichkeiten in Teilzeit zu arbeiten, einmal weil sie zu schlecht bezahlt wird oder im jeweiligen Fachgebiet keine Stellen da sind. Der berufliche Wiedereinstieg nach der Kinderpause lohnt sich kaum oder ist dadurch gar nicht mehr möglich. Experten fordern daher bessere Rahmenbedingungen, damit finanzielle Gründe nicht dem beruflichen Wiedereinstieg im Wege stehen. Die Forderung ist, dass Frauen sich entweder für Beruf und eine Vollzeit- Kinderbetreuung oder eine Kombination aus Teilzeitarbeit und Familie entscheiden können.

Nicht zuletzt ist in der Schweiz die aktuelle Diskussion zum drohenden Fachkräftemangel ein Indiz dafür, welche schwerwiegenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Verlust gut ausgebildeter Fachkräfte bewirken kann. Anschaulich zeigen das die Zahlen: In die Ausbildung von Frauen, die gegenwärtig nicht im erlernten Beruf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wurden mehr als 5,5 Milliarden Franken investiert. Investitionen in eine bessere Kinderbetreuung und bessere Arbeitsmarktpolitik würden sich für Staat und Bürger schnell auszahlen. Wichtig wären eine bezahlbare Kinderbetreuung und mehr geeignete Teilzeitarbeitsplätze, damit Frauen trotz Familie wieder in ihren Beruf zurückkehren können.

Staat und Wirtschaft dürfen in dieser Situation nicht nur auf qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland setzen. Ihre Aufgabe ist es, Schweizer Firmen dabei zu unterstützen, ausreichend Teilzeitstellen für gut ausgebildete Frauen zu schaffen. Kommunen und Gemeinden müssen erkennen, dass die öffentliche Hand bezahlbare Kinderbetreuungsplätze anbieten muss, wenn sie eine nachhaltige Wirtschaftsförderung betreiben will.

SVP befeuert den Konflikt

Die Diskussion wurde ironischerweise von der SVP im Zusammenhang mit der Masseneinwanderungsinitiative angefacht. Die SVP steht nicht unbedingt für politisch progressiven Debatten. Inhaltlich war der unliebsame Nebeneffekt in der Debatte sicher nicht in ihrem Sinn.

Die Gesellschaft der Schweiz befindet sich an einem entscheidenden Punkt. Will sie weiterhin auf gut ausgebildete Frauen und Akademikerinnen im Arbeitsmarkt verzichten und sie im Sinne konservativer Kreise ihrer wie auch immer verstandenen „evolutionsbedingten Wesensbestimmung“ zu übergeben? Oder will sie von der bereits vorhanden Qualifikation der Frauen profitieren und ihnen ein echtes Wahlrecht geben, sich für Berufstätigkeit und Familie entscheiden zu können.


Die Anzahl der studierten Hausfrauen steigt stetig. Oft gibt es dafür ökonomische Gründe. (Bild: Photographee.eu / Shutterstock.com)
Die Anzahl der studierten Hausfrauen steigt stetig. Oft gibt es dafür ökonomische Gründe. (Bild: Photographee.eu / Shutterstock.com)


Bisher sind kaum wirkungsvolle Anstösse in dieser Richtung von der Politik gekommen. Im Parlament werden zwar Forderungen nach Beratungsangeboten, Bildungsgutscheinen oder Praktikumsangeboten vorgetragen, damit Müttern der Wiedereinstieg in den Beruf erleichtert wird. Damit allein wird das Problem nicht gelöst. Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch als politisches Ziel hoher Priorität vom Bundesrat formuliert worden. Sobald konkrete Schritte erforderlich sind, geschieht nichts, die Lohndiskriminierung von Frauen besteht weiter, die Gesetze bleiben auf dem Stand der Dinge. Ein ganzheitliches Konzept von Wirtschaft und Staat zur Verbesserung der Bedingungen für Frauen bleibt dabei auf der Strecke.

Die Schweizer Gesellschaft muss etwas ändern

Grundsätzliches zu ändern, ist in der Schweiz von jeher nicht leicht. Stattdessen werden bestehende gesetzliche Regelungen kosmetisch verändert und ein gesetzlicher Flickenteppich geschaffen, der die Situation nicht grundlegend ändert. Noch immer sind Rollenmuster vom arbeitenden Vater, der als Vollzeiternährer der Familie vorsteht in den Köpfen der Menschen laut Expertenmeinung zu tief verwurzelt. Hausmänner, gelten als feinfühlige Exoten und nicht als Väter, die an der Entwicklung ihrer Kinder Anteil nehmen. Ähnliches gilt, wenn Mütter noch immer gern als verantwortungsvolle Hausfrauen betrachtet werden, während Frauen mit Kindern und mit guten beruflichen Aussichten als Egoisten und verantwortungslos bezeichnet werden.

Das Thema ist noch immer von hoher politischer Brisanz. Diskussionen darüber erlangen schnell grundsätzlichen Charakter und bringen kaum Lösungen in der Sache. Interessanterweise kommen die schlimmsten Anfeindungen nicht selten aus den eigenen Reihen und bestehen nicht zwischen den Geschlechtern, wie man vermuten könnte. Bei Fragen um individuelle Entscheidungen in Bezug auf die Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und Kindererziehung kritisieren gerade Frauen ihre Geschlechtsgenossinnen besonders heftig. Nicht zuletzt dadurch manifestieren sich die Stereotypen der Geschlechterrollen immer von neuem. Eine für alle zufriedenstellende Lösung wird dadurch eher verzögert. Letztlich wird die Gesellschaft schon aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus nach einer Änderung streben müssen.

 

Oberstes Bild: © Africa Studio – Shutterstock.com

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