Das Internet der Dinge und die Arbeitswelt der Zukunft

Der Begriff Internet der Dinge („Internet of Things“) stammt aus dem Jahr 1999 und wurde vom britischen IT-Pionier Kevin Ashton in die Debatte eingeführt; das Prinzip dieser Vision hatte der US-amerikanische IT-Spezialist bereits 1991 in seinem Aufsatz „The Computer for the 21st Century“ beschrieben.

Im Kern geht es beim Internet der Dinge darum, dass klassische Personal Computer aus der Alltags- und Arbeitsrealität verschwinden – ihre Funktion wird durch „intelligente Gegenstände“ übernommen, die virtuell – direkt im Internet oder in internetähnlichen Strukturen – funktionieren. Der habilitierte Physiker und ehemalige SAP-Vorstand Henning Kagermann ist überzeugt, dass durch das Internet der Dinge der individuelle Mitarbeiter anders als heute wieder eine zentrale Rolle spielen wird. Formuliert hat er diese These unter anderem in einem Interview mit dem Arbeitsmarktexperten Sven Rahner, das jetzt in dessen Buch „Architekten der Arbeit, Positionen, Entwürfe, Kontroversen“ erschienen ist.

Mehr Autonomie, Verantwortung und Individualität für Arbeitnehmer

In den vergangenen Jahrzehnten ging es in den meisten Unternehmen um immer umfassendere Prozessoptimierung und Standardisierung. Individualisierung spielte im Zeitalter der Massenproduktion nur am Rande eine Rolle. Die grossen Themen der Zukunft sind jedoch individuelle Dienstleistungen und Produkte, die auch der individuellen Gestaltungsfähigkeit der Mitarbeiter einen neuen Stellenwert verleihen. Gleichzeitig wird es für Arbeitnehmer mehr Autonomie und Gestaltungsspielräume geben – was allerdings auch mehr Verantwortung und die Anforderung kontinuierlicher Weiterbildung nach sich zieht.

„Industrie 4.0“ als neues Paradigma

Kagermann spricht in diesem Kontext von „Industrie 4.0“ als einem neuen Paradigma. Bisher bildeten weitgehend standardisierte Arbeitsabläufe die Grundlage für die Automatisierung von Prozessen – ein Modell, bei dessen Realisierung zumindest die Industrieländer recht erfolgreich waren. Heute geht es um die nächsten Schritte: die Reduktion vorgeschriebener Arbeitsinhalte, grössere individuelle Flexibilität und eine noch grössere Bedeutung von Teamarbeit. In der Arbeitswelt von morgen wird Kollaboration sehr stark im Fokus stehen – zwischen Menschen, aber auch zwischen Menschen und Maschinen. Hierdurch werden auch die sogenannten „Soft Skills“ – kommunikative und soziale Kompetenzen – wichtiger werden. Parallel dazu werden Arbeitnehmer ein höheres Mass an räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Flexibilität geniessen.

Herausforderungen ergeben sich aus der neuen Flexibilität sowohl für die Unternehmen als auch ihre Mitarbeiter – wenn sie richtig angegangen werden, könnten daraus jedoch auch Antworten auf den demografischen Wandel und den drohenden Fachkräftemangel resultieren.

Intelligente Produkte und „Smart Factories“

Zu den prägenden Momenten der nächsten Jahrzehnte gehört eine Vernetzung über das Internet, die es in diesem Ausmass bisher nicht gegeben hat. Experten schätzen, dass im Jahr 2020 6,5 Milliarden Menschen und 18 Milliarden Dinge digital verbunden sein werden. Realität und virtueller Raum verschmelzen tendenziell – Kagermann spricht in diesem Kontext von sogenannten „Cyber Physical Systems“. Diese Entwicklung wird eine vierte industrielle Revolution zur Folge haben, in deren Rahmen intelligente Produkte immer mehr zu aktiven und teilweise autonomen Komponenten in Produktionsprozessen führen. In einer solchen „Smart Factory“ kollaborieren Menschen, Maschinen und Ressourcen analog zu einem sozialen Netzwerk.

Die Informationsverarbeitung erfolgt in solchen Systemen immer stärker dezentral, die Integration von Informationen und ihrer Verwaltung erfolgt über das Internet. Gleichzeitig werden intelligente Produkte zum Ausgangspunkt neuer innovativer Angebote. Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und auch Volkswirtschaften wird künftig unter anderem an ihrer Fähigkeit gemessen werden, solche Innovations-, Wachstums- und Wertschöpfungsimpulse zu kreieren oder aufzugreifen.



Kollaboration zwischen Mensch und Maschine sowie in virtuellen Teams

Eine Bedrohung hochwertiger Arbeitsplätze sieht Kagermann im Internet der Dinge nicht, im Gegenteil würden in der „Industrie 4.0“ neue Arbeitsfelder und damit Jobs entstehen. Entscheidend ist aus seiner Sicht, dass die Verbindung zwischen Mensch und Maschine optimal genutzt wird, zumal die Auswahl zwischen den verschiedenen „technologiegetriebenen betrieblichen Handlungsoptionen“ bei den einzelnen Mitarbeitern liegen wird. Räumliche Präsenz an einem gemeinsamen Arbeitsort ist dafür nicht erforderlich. Bereits heute gibt es einen Trend zur Kollaboration in virtuellen Teams.

Die Arbeitswelt der Zukunft wird hierdurch allerdings noch schnelllebiger werden als bisher. Gleichzeitig wird – in einem Positiv-Szenario – die heute noch in vielen Unternehmen vorherrschende Präsenzkultur endgültig obsolet. Idealerweise entscheiden die Mitarbeiter selbst darüber, wann sie an ihrem Arbeitsplatz verfügbar sind. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance ist nicht nur zur Kompensation der Flexibilisierungsanforderungen erforderlich, sondern auch eine Voraussetzung dafür, dass Arbeit „demografiefest“ wird.

Das Internet der Dinge verändert den gesamten Alltag

Das Internet der Dinge wird perspektivisch auch unseren Alltag stark verändern. Im Interview entwirft Kagermann beispielsweise Szenarien einer stark personalisierten, digital gestützten Medizin, einer dezentralen und volatilen Energieversorgung oder „intelligenter Autos“ mit Eye-Tracking-Funktionen und autonomen Navigations- und Sicherheitssystemen. Auch im Bildungsbereich werden sich – beispielsweise durch neue E-Learning-Formen, Augmented Reality respektive die digitale Erweiterung der Realitätswahrnehmung sowie über soziale Netzwerke vermittelte Feedback-Systeme – zahlreiche Veränderungen ergeben. Auch die Anforderungen an die Bildungssysteme ändern sich: Zwar benötigen die Unternehmen der Zukunft hoch qualifizierte Mitarbeiter mit breit angelegten Kenntnissen, viele heute noch relevante Spezialisierungen werden künftig jedoch von Maschinen übernommen. Die grössten Herausforderungen des Internets der Dinge sieht Kagermann im Schutz der Privatsphäre sowie im Datenschutz.

 

Oberstes Bild: © Gajus – Shutterstock.com

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