Das Schweizer Dilemma: Fachkräftemangel versus Zuwanderungsbeschränkung

Am 30. November 2014 stimmen die Schweizer ein weiteres Mal darüber ab, welches Mass an Zuwanderung sie sich leisten wollen – bei einer Annahme der Ecopop-Initiative werden die Vorgaben dafür nochmals deutlich enger. Die Schweizer Wirtschaft ist dagegen bereits jetzt auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen.

Die Initiatoren der Ecopop-Initiative wollen die „natürlichen Lebensgrundlagen“ dauerhaft erhalten und streben in diesem Kontext an, dass die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz pro Jahr um nicht mehr als 0,2 Prozent wachsen soll – Bundesrat und Parlament empfehlen, die Initiative abzulehnen. Die Auswirkungen von Zuwanderungsbeschränkungen auf den Schweizer Arbeitsmarkt werden bereits seit der Annahme der Initiative zur Masseneinwanderung debattiert. Schon durch ihre Umsetzung würden in der Schweiz die Arbeitskräfte knapp.

Der demografische Wandel wirkt sich künftig immer stärker aus

Vertreter von Politik und Wirtschaft loten mit dem Blick auf Frauen und ältere Arbeitnehmer bisher nicht erschlossene inländische Arbeitsmarktreserven aus. Trotzdem ist unübersehbar, dass der demografische Wandel auch die Schweiz erreicht hat. Die Schweizer Geburtenrate befand sich für exakt 50 Jahren auf ihrem Höhepunkt – im Jahr 1964 wurden so viele Schweizer geboren wie nie zuvor und niemals wieder in den folgenden Jahrzehnten. Avenir Suisse hat ausgerechnet, dass im kommenden Jahr in der Schweiz erstmals mehr 65-jährige als 20-jährige leben werden. Im Verlauf der kommenden Dekade erreicht fast eine Million Menschen das Rentenalter.

Zuwanderer in die Schweiz sind mehrheitlich hochqualifizierte Arbeitnehmer

Bisher konnte die Schweizer Wirtschaft die Folgen des demografischen Wandels durch die hohe Zuwanderung kompensieren. Zudem hat die Schweiz geschafft, den Zuzug von Ausländern qualitativ zu steuern. Nachdem im Rahmen des alten Kontingentsystems in den 1970er und 1980er Jahren vor allem Geringqualifizierte ins Land gekommen waren, veränderte sich die Struktur der Zuwanderung allmählich. Spätestens seit der Unterzeichnung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU kamen vor allem hochqualifizierte Arbeitnehmer in die Schweiz.

40 Prozent der Ärzte in der Schweiz besitzen keinen Schweizer Pass

Die Direktorin des Universitätsspitals Zürich, Rita Ziegler, verdeutlichte kürzlich exemplarisch, welchen Stellenwert Zuwanderer für das Schweizer Gesundheitswesen haben. Demnach besitzen 40 Prozent der in der Schweiz praktizierenden Ärzte keinen Schweizer Pass – angesichts der hohen Kosten für ein Medizinstudium unter anderem ein gutes Geschäft für den Schweizer Steuerzahler. Allerdings werde das Recruiting von Ärzten und anderen medizinischen Fachkräften im Ausland immer schwerer. Parallel dazu versuchen die Heimatländer, die von ihnen ausgebildeten Ärzte zu einer Rückkehr in die Heimat zu bewegen.

Zuwanderungsbeschränkungen werden zum Wachstumshemmnis

Conny Wunsch, Professorin für Arbeitsmarktökonomie an der Uni Basel, geht davon aus, dass eine Begrenzung der Zuwanderung für die Schweizer Wirtschaft zum Wachstumshemmnis wird. Falls die Ecopop-Initiative angenommen wird, müssten künftige – heute nicht stimmberechtigte – Generationen zu tragen. Wunschs Fachbereich hat den künftigen Bedarf an Arbeits- und Fachkräften branchenbezogen berechnet – das Fazit: Auch wenn unter dem Mangel an Fachkräften nicht alle Branchen in gleichem Mass zu leiden haben, bleibt die Schweiz auf den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte angewiesen.


Durch den demografischen Wandel werden Zuwanderungsbeschränkungen für die Schweizer Wirtschaft zum Wachstumshemmnis. (Bild: PlusONE / Shutterstock.com)
Durch den demografischen Wandel werden Zuwanderungsbeschränkungen für die Schweizer Wirtschaft zum Wachstumshemmnis. (Bild: PlusONE / Shutterstock.com)


Ältere Schweizer sind mehrheitlich in den Arbeitsmarkt integriert

Unerschlossene Arbeitsmarktpotenziale sind in der Schweiz nur sehr bedingt vorhanden. Die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (Sake) zeigt, dass die Schweiz im Hinblick auf die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer im internationalen Vergleich bereits einen Spitzenplatz belegt. Auch wenn es für Ältere schwierig werden kann, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, sprechen die Statistiken eine klare Sprache: 81,9 Prozent der Schweizer im Alter zwischen 55 und 64 Jahren sind erwerbstätig, von den Schweizerinnen dieser Altersgruppe gehen 65,5 Prozent einer bezahlten Arbeit nach. Älteren Frauen fällt es aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Qualifikation oft schwer, nach langen Jahren der Familienarbeit auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuss zu fassen. Eine Frage ist, inwiefern das Festhalten am Renteneintrittsalter von 65 Jahren angesichts der demografischen Entwicklung ein Anachronismus ist. Von einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit könnte die Wirtschaft nicht nur im Hinblick auf mehr Arbeitskräfte, sondern auch durch das Know-how der Älteren profitieren.

Frauen scheitern an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und an der Steuerpolitik

Auch die Integration von jüngeren Frauen in den Schweizer Arbeitsmarkt hat Grenzen. Zwar ist die Erwerbstätigenquote von Frauen im Alter zwischen 25 und 54 Jahren mit über 80 Prozent im internationalen Vergleich sehr hoch – unübersehbar ist jedoch der Trend zur Teilzeitarbeit. Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS) zeigen, dass im Jahr 1991 noch 50,9 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe auf einer Vollzeitstelle beschäftigt waren, heute sind es 41,4 Prozent. Mehr als 350.000 Personen – Frauen und Männer – würden laut BfS ihr Arbeitspensum gern erhöhen, wenn sie die Betreuung ihrer Kinder oder alten Eltern besser regeln könnten. Jedoch scheitern vor allem Frauen oft an der der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – angesichts ihrer meist hohen Qualifikation ein grosses Manko für die Schweizer Wirtschaft. Der Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen ist dabei nur eine Seite, ebenso problematisch ist in dieser Hinsicht die Steuerpolitik der Schweiz. Solange sich der implizite Grenzsteuersatz für Zweitverdiener auf bis zu 90 Prozent beläuft, fehlt für viele Frauen der ökonomische Anreiz für den Eintritt in den Arbeitsmarkt oder den Wechsel auf eine Vollzeitstelle.

 

Oberstes Bild: © Image Point Fr – Shutterstock.com

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