Digitale Revolution: Und was wird aus den Arbeitskräften?

Deutschland arbeitet an seiner „Digitalen Agenda“ – und greift dabei mit seinem Fokus auf der Schaffung der infrastrukturellen Basis für schnelle Datenleitungen vermutlich ohnehin zu kurz. Die Frage ist, welche Folgen die konsequente Umsetzung solcher Programme für Gesellschaften und ihre wirtschaftliche Basis tatsächlich hätte.

Der stellvertretende Chefredakteur des „manager magazins“, Henrik Müller, formuliert auf „Spiegel Online“ dazu einige provokante Thesen, die nicht nur für Deutschland gültig sind, sondern sich auch auf die Schweiz und viele andere Länder übertragen lassen. Was wäre also, wenn die Maschinenstürmer doch recht behalten würden?

Die digitale Revolution bedroht die Jobs der Mittelschicht

Namhafte Ökonomen prognostizieren, dass die Digitalisierung weltweit und gerade in den industrialisierten Ländern massiv Arbeitsplätze vernichten wird – diesmal vor allem die Jobs der Mittelschicht. Von den Politikern wird diese Tatsache bisher weitgehend ausgeblendet. Der „Jobkiller Computer“ interessierte bisher, wenn überhaupt, vor allem gewerkschaftsnahe Kreise. Schliesslich entstehen Arbeitsplätze, die verloren gehen, bekanntlich an anderen Stellen neu. Die Arbeitsmarktentwicklung in vielen Ländern scheint diesem Optimismus recht zu geben. Trotz fortschreitendender Digitalisierung und den Auswirkungen der Wirtschaftskrise boomt derzeit der Arbeitsmarkt vieler Länder, nicht zuletzt in der Schweiz, Deutschland oder den USA.

Wertschöpfungsprozesse verlagern sich in den digitalen Raum

Dass es keine Kleinigkeit ist, wenn immer grössere Teile der Wertschöpfung im digitalen Raum vonstattengehen, spielt bei diesen Überlegungen bisher keine Rolle. Eine Studie der University of Oxford warnt, dass durch die digitale Revolution knapp die Hälfte aller heute existierenden Arbeitsplätze verloren gehen könnte. Betroffen seien in den kommenden Jahrzehnten vor allem Jobs im Transport- und Logistiksektor. Auch ein Grossteil der Angestellten in Büros und Verwaltungen werde durch die digitale Technik perspektivisch überflüssig. Zwar werden gering qualifizierte Arbeitnehmer von diesem Trend besonders hart getroffen, das digitale Einsparpotenzial menschlicher Arbeitskraft sei im 21. Jahrhundert jedoch durchaus nach oben offen.

Späte Bestätigung für die Maschinenstürmer?

In einer anderen Untersuchung prophezeien auch die renommierten US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs und Laurence Kotlikoff, dass der bisher noch gut situierten Mittelschicht durch die digitale Revolution eine „lange Misere“ drohe. Ihre These lautet, dass die Welt in einem „verarmenden Produktivitätswachstum“ gefangen ist: Zwar werde die Technik immer leistungsfähiger und klüger, für die Masse der Menschen springe dabei jedoch nicht viel heraus. Möglicherweise würden die Maschinenstürmer des frühen 19. Jahrhunderts gerade durch die digitale Revolution eine späte Bestätigung erleben. Auch aus Sicht der MIT-Forscher Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee steigt in der digitalen Ära die Verfügbarkeit von digitalisierbaren Produkten und Dienstleistungen bei sinkenden Preise immer stärker an – die Erträge der neuen Produktionsweisen kommen jedoch nur wenigen zugute. Langfristig resultiere daraus eine potenziell extreme Polarisierung von Einkommen und Entwicklungsmöglichkeiten.


Taxi-App Uber: Exemplarisch für digitale Verdrängungsprozesse. (Bild: Denys Prykhodov / Shutterstock.com)
Taxi-App Uber: Exemplarisch für digitale Verdrängungsprozesse. (Bild: Denys Prykhodov / Shutterstock.com)


Taxi-App Uber: Exemplarisch für digitale Verdrängungsprozesse

In der öffentlichen Debatte ist bisher nur die positive Seite der Digitalisierung angekommen: Für Verbraucher und Unternehmen schafft sie viele neue Möglichkeiten. Der Blick auf die Folgen für den Arbeitsmarkt wird jedoch ausgespart. Worin sie bestehen könnten, zeigt derzeit exemplarisch der Streit um die Taxi-App Uber, welche die klassischen Fähigkeiten von Taxifahrern und Taxizentralen – Ortskenntnis und effizienter Kundenservice – durch die Verlagerung dieser Leistungen sowohl in den digitalen als auch den privaten Raum radikal entwertet. Das Beispiel illustriert, wie schnell digitale Konkurrenten ein etabliertes Gewerbe in existenzielle Bedrängnis bringen können.

Antworten auf soziale und strukturelle Fragen der digitalen Ära stehen aus

Politik und Industrie bewerten die digitale Revolution bislang vor allem anhand von Effizienzkriterien für die Produktion – und vergessen dabei, dass die Anzahl der Industriearbeitsplätze in den entwickelten Ländern nach einer Abbauphase in den 1980er- und 1990er-Jahren bereits heute bestenfalls stagniert. Die relevanten Fragen angesichts der technologischen Entwicklung müssten jedoch in eine ganz andere Richtung zielen: Welche Qualifikationen, welches Wissen und welche Fähigkeiten brauchen Menschen, um sich unter den Bedingungen der digitalen Revolution auf den Arbeitsmärkten zu behaupten? Welche bildungspolitischen und sozialstaatlichen Massnahmen sind dafür nötig? Was muss mit den Steuersystemen passieren, um die sozialen und strukturellen Folgen der digitalen Herausforderungen abzufedern? Die Antworten darauf stehen bisher weltweit aus.

 

Oberstes Bild: © GrandeDuc – Shutterstock.com

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