Zuwanderungs-Beschränkung: Schweizer Personalberatungen äussern sich besorgt

Die Schweiz gilt vielen als ebenso weltoffen wie wirtschaftlich erfolgreich – entsprechend attraktiv war sie bisher für hochqualifizierte Einwanderer aus den Nachbarländern. Der Erfolg der SVP-Initiative besitzt das Potential, diese – von den Unternehmen ausdrücklich gewünschte – Arbeitsmigration zu stoppen und vor allem das obere Segment des Schweizer Arbeitsmarktes von wichtigen Ressourcen abzuschneiden.

So zumindest äussern sich führende Schweizer Personalberatungen. Nach der Annahme der SVP-Masseneinwanderungsinitiative durch die Schweizer Bürger könnte sich für ausländische Arbeitskräfte, aber auch für die Schweiz einiges verändern. Auch aus der EU kommen hierzu eindeutige politische Signale. Vor diesem Hintergrund schauen die Personalberatungen derzeit eher düster in die Zukunft.

Falls das Personenfreizügigkeitsabkommen aufgekündigt werden sollte, könnten sich daraus erhebliche Schwierigkeiten für die Gewinnung hochqualifizierten Personals ergeben. Die „Neue Zürcher Zeitung“ veröffentlichte aktuelles Stimmungsbild der Branche.

Arbeitsmigration von hochqualifizierten Deutschen geht bereits seit 2008 zurück

Der Zürcher Personalberater Rudolf Schilling hat sich seit langem auf die Beschaffung von Personal für ausgewählte Spitzenpositionen auf Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsebene spezialisiert. Seine Erfahrungen besagen, dass es bereits seit 2008 deutlich schwieriger geworden sei, im benachbarten Ausland und insbesondere in Deutschland qualifiziertes Personal für Schweizer Unternehmen zu finden. Der Schilling-Report 2014 weist nach, dass der Anteil von Ausländern in den Schweizer Chefetagen bereits im vergangenen Jahr gesunken ist. Den Grund dafür sieht Schilling unter anderem darin, dass auch die deutsche Wirtschaft boomt – hochqualifizierte Arbeitnehmer könnten daher auch im eigenen Land oft zwischen mehreren lukrativen Angeboten wählen.

Gerade deutsche Arbeitskräfte seien für die Schweiz angesichts ihres eigenen beschränkten Personalreservoirs durch vergleichbare Bildungsabschlüsse und die gemeinsame Sprache jedoch besonders interessant. Der Personalberater nennt einige Zahlen: 2008 gaben neun von zehn kontaktierten Fach- und Führungskräften auf die Frage, ob ein Interesse an einer Arbeit in der Schweiz bestehe, eine positive Antwort. Heute sind nur noch ein bis zwei Personen zu einem Standortwechsel in die Schweiz bereit. Die Einwanderungsdebatte hierzulande habe bereits in der Vergangenheit viele Kandidaten abgeschreckt, im Ausland wurde sie zum Teil als fremdenfeindlich wahrgenommen. Das Abstimmungsergebnis dürfte künftig die Beschaffung eigentlich dringend benötigten Personals ausserhalb der Landesgrenzen noch weiter erschweren.

Rückkehr bürokratischer Restriktionen und spürbarer Image-Schaden für die Schweiz

Max Schnopp – ebenfalls mit Firmensitz in Zürich – gilt als der Doyen der Schweizer Personalberater. Er gibt zu bedenken, dass nur noch wenige Hochqualifizierte bereit wären, für eine Anstellung in der Schweiz ihr gewohntes familiäres Umfeld aufzugeben, wenn sie sich hier nicht mehr willkommen fühlen, zudem eine solche Entscheidung heute nicht mehr nur durch das Familienoberhaupt, sondern durch die ganze Familie getroffen werde. Aus seiner Sicht haben die Auftritte von SVP-Politikern und – Unterstützern in deutschen Talkshows zudem dem Image der Schweiz als einem weltoffenen und liberalen Land geschadet. Schnopp ist seit über 25 Jahren als Personalberater tätig – dem früher praktizierten Kontingent-System kann er nichts Positives abgewinnen. Im Rahmen des „Inländervorrangs“ habe er den Behörden seinerzeit statistisch beweisen müssen, dass kein Inländer für die offene Stelle in den Geschäftsleitungen Schweizer Unternehmen in Frage kam, bevor der ausländische Mitbewerber von administrativer Seite eine Chance erhielt. Das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU habe die Auswahl später „ungemein erleichtert“.

Einen besonders düsteren Ausblick geben sowohl Rudolf Schilling als auch Max Schnopp für Szenarien, in denen ein Kontingentsystem künftig auch den Familiennachzug einschränkt. Wenn Personalberater in Verhandlungen ihrer hochqualifizierten Klientel nicht garantieren können, dass auch die Familien fraglos ihr Aufenthaltsrecht erhalten, wird diese kaum noch bereit sein, in die Schweiz zu kommen.

Wegfall der Personenfreizügigkeit – inakzeptabel für die Schweizer Wirtschaft

Auch Tobias Lange von der internationalen Personalberatung Hays kennt die negativen Folgen eines Kontingentsystems. Er ist auf die Vermittlung von befristet in der Schweiz beschäftigten Life-Science-Spezialisten spezialisiert, seine Auftraggeber kommen aus der Schweizer Pharmaindustrie. Wenn sich ein Pharmaunternehmen mit einem entsprechenden Personalgesuch bei ihm meldet, kann er mit Kandidaten aus der Schweiz oder der EU innerhalb von 24 Stunden die ersten Angebote präsentieren. Falls das Personenfreizügigkeitsabkommen fällt, sei dieses Tempo in Zukunft kaum noch möglich. Für Bewerber aus Drittstaaten greifen bereits heute Kontingente, die aufgrund bürokratischer Hürden dazu führen, dass Spezialisten aus Nicht-EU-Ländern ihre Stelle frühestens nach drei Monaten antreten können. Lange weiss, dass solche Fristen für die Pharmabranche nicht akzeptabel sind, die allgemeine Implementierung eines Kontingentsystems hätte daher nicht absehbare wirtschaftliche Folgen.


Aus Sicht der EU ist die Personenfreizügigkeit weder verhandelbar noch vom freien Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt ablösbar. (Bild: Schmuttel / pixelio.de)


Die EU-Sicht: Personenfreizügigkeit ist vom freien EU-Binnenmarktzugang nicht abtrennbar

Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, hatte sich Anfang dieser Woche gegenüber Schweizer Journalisten bereits eindeutig geäussert. Aus Sicht der EU ist die Personenfreizügigkeit weder verhandelbar noch vom freien Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt ablösbar. Barroso zeigte sich auch persönlich enttäuscht vom Resultat des Urnengangs, nachdem er die Schweiz – in der er selbst sechs Jahre lang gelebt hat – trotz ihrer speziellen Geschichte und ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit stets als Teil der „europäischen Familie“ betrachtet habe. Die im Vergleich zu allen anderen Nicht-EU-Mitgliedern privilegierte Partnerschaft der Schweiz mit der Europäischen Gemeinschaft trug dieser essentiellen Verbindung über mehr als eine Dekade Rechnung.

Pessimistisch äusserte sich auch Staatssekretär Jaques de Watteville nach Gesprächen in Italien: Ein freier Dienstleistungsverkehr sei nur in Verbindung mit freiem Personenverkehr zu haben. Dem italienischen Beispiel dürften in der Gestaltung des bilateralen Marktzugangs weitere bisherige EU-Partnerländer folgen. Die schrittweise Aufweichung des Schweizer Bankgeheimnisses bezeichnete de Watteville im Übrigen nicht als ein probates Druckmittel gegenüber der EU. Die Schweizer Wirtschaft könnte unter den Folgen der SVP-Initiative in den kommenden Jahren also noch zu leiden haben. Ob und wie stark allerdings – das hängt davon ab, wie das Ergebnis der Volksabstimmung umgesetzt wird.

 

Oberstes Bild: © saschi79 – Fotolia.com

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