Was stationäre Einzelhändler von ihren Kunden lernen können

Die Handelslandschaft in der Schweiz und in ganz Europa hat sich in den vergangenen zehn Jahren nachhaltig verändert. Der Trend geht eindeutig zum E-Commerce. Für viele Online-Händler ist weiteres Wachstum rentabilitäts- und damit existenzentscheidend. Aktuelle Marktprognosen gehen davon aus, dass der Schweizer Online-Sektor auch im kommenden Jahr stärker wachsen wird als der stationäre Handel.

Für den konventionellen Einzelhandel ergibt sich aus der Online-Konkurrenz die Notwendigkeit, den eigenen USP zu sichern und gegebenenfalls auch neu zu definieren. Die deutsche Unternehmensberatung Thorsten Bosch AG hat zu diesem Thema jetzt eine Mikrostudie vorgelegt, in der es darum geht, den „Wirkungsgrad“ von Einzelhandels-Outlets aus Kundensicht sowie die wichtigsten Faktoren für eine effektive Kundenbindung zu identifizieren. Für die über 24 Monate laufende Erhebung wurden die Stimmen von mehreren tausend Kunden ausgewertet, die bei einem Einzelhändler ihres Vertrauens bereits Einkäufe getätigt hatten. Der Outlet-Fokus lag dabei auf Geschäften in Innenstädten sowie Centerlagen.

Moderne Kunden verweigern sich der „prozessualen Effizienz“ des Handels

Wer in der Branche tätig ist, kennt zwangsläufig die üblichen Optimierungs-Schemata: Kunden-Leitsysteme definieren beispielsweise, wie sich der Kunde im Geschäft bewegen soll. In derart vordefinierten Bewegungsräumen sollten entsprechende Marken- und Produktplatzierungen die Kaufbereitschaft fördern. Klassische Werbung, POS-Kampagnen und oft auch attraktive Multimedia-Installationen sollen dafür sorgen, dass sich der Kunde dem Kaufanreiz nicht entziehen kann. Fatal ist allerdings, dass der moderne Kunde die „prozessuale Effizienz“ im Einzelhandel oft weder nachvollziehen kann noch will – vielmehr möchte er in seinen Wünschen und Bedürfnissen ernst genommen werden. Die Frage ist, ob die mit den diversen Prozessoptimierungen verbundene „Self-Service“-Fokussierung diesem Aspekt entgegenkommt.

Drei Research-Thesen, die für den Handel wichtig sind

An dieser Stelle setzt die Bosch-Erhebung an. Als „Wirkungsgrad“ der Outlets wurde dafür definiert, ob und in welcher Form ein Kunde zwischen dem Betreten und Verlassen des Geschäftes einen „Transformationsprozess“ erfährt – oder einfacher gesagt, ob er das Outlet zufrieden oder enttäuscht verlassen hat. Verbunden ist damit selbstverständlich auch die These, dass ein zufriedener Kunde zum Empfehlen oder Wiederkommen neigen wird, ein unzufriedener dagegen wegbleibt und sich künftig vielleicht auch stärker als Online-Shopper profiliert.


© Tony Hegewald / pixelio.de


Die Researcher formulieren auf Basis ihrer Daten drei grundsätzliche Thesen:

1. Shopping ist für den Kunden nicht nur Entertainment

Viele Verkäufer sind der Ansicht, dass vor allem Laufkundschaft hauptsächlich aus Entertainment-Gründen in den Laden kommt. Der Kunde, der angeblich „nur schauen will“, ist eine feste Grösse, heute will er sich vielleicht auch noch offline informieren, um für den eigentlichen Einkauf dann doch das Internet zu präferieren. Die Studie zeigt, dass dies ein Mythos ist: 63 Prozent aller Kunden kommen bereits mit einer festen Kaufabsicht in ein Einzelhandels-Outlet, 21 Prozent wollen sich zuvor beraten lassen. Drei Prozent der Kunden haben in dem betreffenden Geschäft bereits einkauft und nun eine Frage oder Reklamation zu ihrer Ware. Vorwiegend zum Schauen sind dagegen nur 13 Prozent der Kunden im Einzelhandel unterwegs.

2. Kunden wünschen sich Service und Beratung

Die Mehrheit der Kunden wünscht sich von ihrem Einzelhändler eine kompetente Fachberatung sowie individuellen Service. Für jeweils knapp die Hälfte der Befragten sind diese beiden Punkte von sehr grosser Wichtigkeit. Auch in diesem Bereich sitzen viele Verkäufer einem Irrtum auf: Sie fürchten, dass sich ihre Kunden durch eine direkte Ansprache nach dem Betreten des Geschäfts „bedrängt“ oder „verunsichert“ fühlen könnten und stellen dabei vor allem auf eigene Präferenzen als Kunde ab. In der Praxis geht es von Verkäuferseite jedoch um analytisches Agieren, gute kommunikative Fähigkeiten und etwas Menschenkenntnis. Viele Kunden nehmen Beratungs- und Serviceangebote dankbar an und fühlen sich erst dann wirklich gut bedient. Andere, die sich eigentlich zunächst lieber allein auf die Suche nach dem passenden Produkt begeben wollten, freuen sich – sofern der Verkäufer den „richtigen Ton“ bei ihnen trifft – oft ebenso sehr über die Experten-Unterstützung.

3. Kunden lassen sich gern über weitere Angebote informieren

Ob Verkäufer ihre Kunden neben dem sogenannten Primärkauf auch von Zusatzkäufen oder der Inanspruchnahme weiterführender Serviceleistungen überzeugen sollen, ist in der Branche stark umstritten. Die Manager vieler Handelshäuser betrachten Zusatzkäufe als wichtigen Teil der Umsatzplanung, viele operative Mitarbeiter meinen: Nein, auf keinen Fall. Dabei spielen Befürchtungen im Hinblick auf eine „Belästigung“ des Kunden – und damit eine Gefährdung des Primärkaufs – ebenso eine Rolle wie zeitlich eng getaktete Prozesse, deren Rahmen durch das Anbieten von Zusatzkäufen oder -Leistungen überschritten wird. Die Studie belegt, dass nur eine kleine Kundengruppe solchen Angeboten ablehnend bis skeptisch gegenübersteht. Viele Kunden sind in diesem Bereich sehr offen, rund 25 Prozent erwarten sogar explizit Informationen über zusätzliche Produkte sogar.

Das Fazit der Researcher: Der Einzelhandel steht an einem Scheideweg. Das Management der grossen Handelsketten arbeitet bisher vorwiegend prozess- und warenorientiert. Der entscheidende USP des stationären Handels liegt jedoch in einer effektiven und qualitativ hochwertigen Kundenbindung. Wenn Manager sowie Verkäufer in der Lage sind, entsprechend umzudenken und sich als Fachhändler stärker auf ihre Kunden statt auf Prozesse zu fokussieren, braucht der stationäre Einzelhandel die Online-Konkurrenz auch langfristig nicht zu fürchten. Die Ergebnisse der Studie definieren sie in diesem Kontext nicht nur als Informationen über Verkaufs- sondern ebenso über Führungsperformance. Ein Handelsunternehmen, das sich nachhaltig auf die individuellen Wünsche seiner Kunden einlässt, wird daraus auch im Hinblick auf Zieldefinitionen sowie die Schulung und Bewertung seiner Mitarbeiter Konsequenzen ziehen müssen.

 

Oberstes Bild: © ldprod – Fotolia.com

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