Berufsmesse Zürich mit viel Zulauf und neuen Berufen
Zürich (ots) –
Die 17. Berufsmesse Zürich in Oerlikon ist eröffnet. Bildungsdirektorin Silvia Steiner und Ökonom Mathias Binswanger zeigten aus unterschiedlicher Warte die Vorteile des dualen Berufsbildungssystems – und waren sich bei Tendenzen zur Akademisierung nicht einig. Zwei SwissSkills-Sieger berichteten aus ihrem Berufsalltag und der Faszination ihrer Tätigkeit.
Bildungsdirektorin Silvia Steiner schwärmte gestern Dienstag, 22. November, an der Eröffnung der 17. Berufsmesse Zürich von ihren Eindrücken. Die Jugendlichen flanierten voller Energie und Tatendrang schon frühmorgens in ihren Klassen oder individuell zwischen den Dutzenden Unternehmen – von A wie Augenoptiker bis Z wie Zahntechnikerin. Darunter auch neue Berufe wie Gebäudeinformatiker oder Entwickler digitales Business. „Das Gewusel, der Lärm, die Diskussionen, die vielen Jugendlichen, die vom Bahnhof hierher strömen – das verursacht bei mir Glücksgefühle“, sagte Steiner. So beeindruckend die Vielfalt sei, so schwierig sei es für die Jugendlichen, sich zu entscheiden. Die Wahl der Berufslehre sei allerdings erst ein Sprungbrett in die Arbeitswelt, den auch 80 Prozent der Jugendlichen beschritten. Ein Besuch der Berufsmesse Zürich könne bei den zentralen Berufswahlfragen Klärung verschaffen: Was will ich? Was kann ich?
Die Welt ändere sich rasant. „Wir bilden Leute in Berufen aus, die es vielleicht in Zukunft gar nicht mehr braucht, oder man braucht nicht dieselben Fähigkeiten“, meinte Steiner. Die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, sei daher Aufgabe der Bildungsdirektion, damit junge Berufsleute an ihrem Werdegang arbeiten könnten. Wie beispielsweise durch den prüfungsfreien Zugang zur Berufsmatur und zu höheren Fachschulen, die sehr praxisorientiert seien. Das sei eine Errungenschaft des dualen Berufssystems.
Denn höher qualifizierte Fachkräfte würden für die Wirtschaft immer wichtiger. Hier nahm Steiner als „Replik“ auf ihren Nachredner, den Ökonom Mathias Binswanger, Bezug: Seine provokative Frage, „machen wir aus potenziell guten Handwerkern gute Akademiker?“ verneinte sie vehement. Die Gymi-Diskussion sei „völlig überhitzt“. Wir hätten in der Deutschschweiz immer noch keine 20 Prozent gymnasiale Quote erreicht.
Der Ökonom und Glücksforscher Matthias Binswanger (60) zählte zunächst Branchen mit dem grössten Fachkräftemangel auf: Pflege, Gastgewerbe und Hotellerie, Detailhandel, Bau- und Informatikbranche. Im gleichen Zug geben die meisten KMU an, dass fachtechnische Kompetenzen fehlten – für 94 Prozent der KMU sind diese von Bedeutung. Gleichzeitig werde in der Schweiz bildungspolitisch vom Ausland übernommen, was sich dort schon nicht bewährt habe: Vor allem die Quoten bei der Berufsmaturität und den Fachmaturitäten nähmen zu.
Die Krux bei der Rekrutierung aus Sicht von KMU sei nicht die Berufsbildung an sich: Gute Leute fehlten vermehrt bereits in der Berufslehre – die Arbeitgeber verlangten entsprechend auch eine höhere Ausbildung, was wiederum mehr in die Berufsmaturität treibe – ein Teufelskreis. „Gute Leute werden zu Akademikern ausgebildet, die gute Praktiker gewesen wären – aber an Universitäten in Massenabfertigung zu mittelmässigen Akademikern ausgebildet werden“, so Binswanger. Das Herausbilden von Eliteuniversitäten und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit in Ländern mit hoher Maturitätsquote über 50 Prozent seien die Folgen.
Bildung sei wichtig – aber nicht Bildung allein. „Erst wenn Bildung und Fähigkeit auf Motivation trifft, kann daraus auch Exzellenz werden.“ Während die Akademisierung heimlich vorangetrieben werde, führe die Zunahme bei Mangelberufen wie Ingenieurstudiengängen nicht zu mehr Studierenden. „Dazu braucht es auch Fähigkeiten und Interesse.“ Daher füllten vermehrt ausländische Studierende diese Lücken. Oft bekämen die Hochschulen Geld – pro Studenten. So entstehe finanzieller Druck, möglichst viele Studenten zu akquirieren.
Es gelte vermehrt, aufzuzeigen, wie man mit einer Lehre Karriere machen könne – etwa in Kaderpositionen. Gerade neue Berufe in Zusammenhang mit Informatik, Digitalisierung oder im Care-Bereich lerne man häufig besser „on the job“ als durchs Studium kennen.“ Wie kann man die Berufslehre aufwerten? „Man muss Lehrlingen ihren Berufsstolz zurückgeben. Die Lehre darf nicht als Ausbildung zweiter Klasse gelten.“
14 SwissSkills-Medaillengewinner
KGV-Präsident Werner Scherrer freute sich über die Energie der jungen Menschen, die er auf den Gängen spüre und die wie ein Jungbrunnen wirke. Zwei von 14 anwesenden jungen Zürcher SwissSkills-Medaillengewinnern fühlte Scherrer dann auf der Bühne auf den Zahn: Motorradmechaniker Andrin Meier (19) und Polymechaniker Thomas Mohr (18). Andrin, der noch „Benzin im Blut“ habe, gerne Motorgeräusche höre und noch wenige Elektrotöffs zu reparieren hat, erzählte vom Einfluss seines Vaters und älteren Bruders auf seine Töffleidenschaft.
Den Polymechaniker mit Fachrichtung CNC-Fräsen Thomas Mohr fasziniert an seinem Beruf, „Werkstücke herzustellen, die etwa in Fahrzeugen Verwendung finden.“ Viele Aufgaben, die er im Alltag lösen und Entscheidungen, die er treffen müsse, könne man nicht im Handbuch nachlesen. „Und nicht alles, was in der Theorie funktioniert, kann in der Realität so gelöst werden.“ KGV-Präsident Scherrer deutete dies auch als Indiz, dass die Vollautomatisierung diesen Beruf kaum heimsuchen wird.
Messeleiterin Encarnación Maria Dellai von der Messe Schweiz nannte die Berufsmesse Zürich eine „krisenresistente Live-Plattform für Berufsbildung“ und fasste sie in Zahlen: Rund 240 Lehrberufe würden vorgestellt, zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten. Und bei 105 Ausstellern und einem attraktiven Rahmenprogramm erhalte man einen einzigartigen, lebendigen Einblick in die Berufswelt. „Es handelt sich um ein wichtiges Instrument im Kampf um die besten Talente, im Kampf gegen den Fachkräftemangel.“
Die Berufsmesse sei da, um Jugendlichen Einblick und Durchblick „auf der riesigen Speisekarte von Ausbildungen“ zu gewähren, meinte Thomas Hess, Geschäftsführer des KGV. Die Organisation der Berufsmesse ermöglichten starke Partner, darunter die Messe Schweiz, welche für die professionelle Organisation stehe. Auch treuen Sponsoren wie der Zürcher Kantonalbank, der Berufsbildungsfonds des Kantons Zürich oder das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Hess dankte aber auch den Berufsverbänden und Berufsschulen für ihr Engagement im Zeichen der Berufsbildung – und den KMU. Diese seien einerseits „Integrationsmotoren“, müssten sich aber anderseits am Markt behaupten. „Bei ihnen geht es um qualifizierten Nachwuchs in der Unternehmung, aber auch darum, den Berufsnachwuchs in der Branche zu sichern.“
Zu den Sponsoren der Berufsmesse Zürich zählen die Zürcher Kantonalbank, der Berufsbildungsfonds des Kantons Zürich sowie das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation. Medienpartner der Berufsmesse Zürich sind Energy Zürich und der Tages-Anzeiger.
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