Motivation 3.0 = wirklich weniger Kontrolle und mehr Vertrauen wagen?

Der Wissenschaftsjournalist Daniel Pink beschreibt in seinem Buch „Drive“ drei Kategorien von Motivation:

  • Motivation 1.0 bedeutet für ihn die Ausrichtung unseres Verhaltens auf die Befriedigung biologischer Bedürfnisse (Essen, Liebe, atmen, schlafen), die uns ein Überleben ermöglichen.
  • Nach dem Begriff Motivation 2.0 bewegen externe Anreize zum Arbeiten – belohnen und bestrafen.
  • In der dritten Kategorie, Motivation 3.0, beschreibt Pink, dass in der heutigen Wissensgesellschaft externe Anreize nicht mehr den gewünschten Erfolg bringen, wie noch in der reinen Industriegesellschaft. Das Ermöglichen intrinsischer Motivation, wie Selbstbestimmtheit und die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit, bestimmen das Verhalten vieler Menschen.

Was bedeutet diese Entwicklung für das aktuelle Führungsverhalten?

Während Vorgesetzte auf der Stufe von Motivation 2.0 über Belohnung und Bestrafung (Wenn-Dann-Belohnungen) führen, erfordert Motivation 3.0 ein Umdenken der Sichtweise auf die Sachverhalte der Mitarbeiter. Pink fordert, dass Vorgesetzte ihren Mitarbeitern mehr freie Hand lassen sollten bzgl. der Vorgehensweise in der Erledigung ihrer Arbeit.

Einen Grund bildet die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt, in der sich immer mehr Jobs herausbilden, die von Selbstbestimmtheit und Eigeninitiative geprägt sind. Nach einer Studie von McKinsey entstehen 30 % neuer Jobs als Routinearbeit, bei denen äussere Anreize bei Mitarbeitern einen positiven Effekt erzielen. Bereits 70 % neuer Jobs sind Nicht-Routinearbeit, deren Ausübung geprägt ist von intrinsischer Motivation, die die Kreativität fördert. Arbeit ist nicht nur Routine, anspruchslos und fremdbestimmt, sondern für viele Menschen vielschichtiger, interessant und selbstbestimmt. Eine Kontrolle der Mitarbeitenden durch ihre Vorgesetzten würde der Kreativität und Selbstbestimmtheit nur schaden. Nach Meinung von Pink benötigen uninteressante Routinejobs Führung; interessante Nicht-Routinejobs sind von Selbstbestimmung abhängig. Kontrolle durch die Vorgesetzten wirkt sich negativ auf die Motivation aus, denn Kontrolle führt zu Pflichterfüllung, während Selbstbestimmung Engagement erreicht.



Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass Vorgesetzte die Arbeit ihrer Mitarbeiter weniger oder gar nicht mehr kontrollieren sollten?

Deutsche Vorgesetzte gelten allgemein als Kontrollfreaks. Gegenüber ihren Mitarbeitern zeigen sie wenig Vertrauen und kontrollieren jeden Arbeitsschritt. Die meisten von ihnen motivieren über Gehaltserhöhungen. Diese Art von Wenn-Dann-Motivatoren bedingen, dass man einen Teil seiner Eigenständigkeit aufgibt und die Motivation an der Arbeit verliert. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass dieses Vorgehen oft das eigenständige Denken unterdrückt statt es anzuregen. Zielsetzungen können effizient sein, können aber gleichzeitig bei komplexen, kreativen Aufgaben den „Blick über den Tellerrand“ einschränken, um innovative Lösungen zu erarbeiten.

Aus diesen Untersuchungsergebnissen heraus könnte man den Schluss ziehen, dass Kontrolle durch Vorgesetzte negative Auswirkungen auf das Erreichen von betrieblichen Ergebnissen hat. Doch ist Kontrolle nicht für jede Position eine wesentliche Aufgabe von Führungskräften? Diese Meinung vertritt u.a. Prof. Fredmund Malik. In seinem Managementklassiker „Führen Leisten Leben“ definiert Malik das Kontrollieren der Mitarbeiter als eine Managementaufgabe von Vorgesetzten. Er beschreibt sie auch als die unbeliebteste und umstrittenste Aufgabe, da Menschen es im Allgemeinen nicht mögen, kontrolliert zu werden. Vielmehr enge Kontrolle die heute so wichtigen Freiräume ein und schade der Motivation. Und doch steht die Kontrolle als Aufgabe der Führungskräfte nicht zur Diskussion. Vielmehr muss das „Wie“ thematisiert werden.


Übermäßige Kontrolle ist bei intrinsisch motivierten Mitarbeitern kontraproduktiv.
Zu viel Kontrolle ist bei intrinsisch motivierten Mitarbeitern kontraproduktiv. (Bild: © Vasin Lee – shutterstock.com)

Kontrolle ja, aber das „Wie“ ist entscheidend!

Für mich stellt sich an dieser Stelle also nicht die Frage, ob man Menschen kontrolliert – denn dies muss sein – sondern vielmehr, wie man sie kontrolliert und führt. Intrinsisch motivierte Menschen benötigen Raum zum Arbeiten und Handeln, um so zu neuen Ideen und deren erfolgreicher Umsetzung zu gelangen. Wesentlich für diese Menschen ist die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit – Sinn als Motivator (Motivation 3.0) und damit verbunden Selbstbestimmung und Perfektionierung. Kreativ arbeitende Menschen empfinden ihre Arbeit als angenehm. Von daher benötigen sie mehr Freiräume als Menschen mit mechanischen Tätigkeiten. Auch für diese Personen ist Kontrolle erforderlich. Doch bedeutet Kontrolle hier nicht, dass man keine Freiräume zulässt, sondern vielmehr, dass auch Freiräume kontrolliert werden müssen: Werden sie genutzt, werden sie richtig genutzt oder werden sie missbraucht? Das beinhaltet gleichzeitig ein gewisses Mass an Vertrauen in die Mitarbeiter.

Auch Malik sieht als Grundlage von Kontrolle das Vertrauen der Führungskraft in das, was die Mitarbeiter fähig und bereit sind zu leisten. Hat man dieses Vertrauen nicht, ist Kontrolle nicht erforderlich, sondern eher ein Überdenken der Stellenbesetzung. Aus Motivations- und Kontrollgründen muss das Vertrauen darin bestehen, dass beides (Fähigkeit und Bereitschaft zur Arbeit) vorhanden ist. Allerdings sei vor einem blinden Vertrauen gewarnt. Vertrauen ja, aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Man muss als Führungskraft sicherstellen, dass man immer weiss, wann das eigene Vertrauen missbraucht wird und, dass die beteiligten Personen wissen, dass die Führungskraft es erfahren wird. Weiterhin muss jedem Mitarbeiter bewusst sein, dass jeder Vertrauensmissbrauch nachhaltige Folgen haben wird. Eine nicht allzu leichte Aufgabe für einen Vorgesetzten in Zeiten von Tätigkeiten mit wenig Routine und viel Selbstbestimmtheit durch die Mitarbeitenden.



Fazit

Es ist festzustellen, dass Pinks Ideen zum Thema Motivation 3.0 interessant sind und zum Nachdenken anregen. Jedoch sieht er seine Ideen zu unkritisch; mit ihrer Umsetzung soll alles gut werden. Doch von einer 100%-igen Übernahme der amerikanischen Ideen in die europäische Unternehmenskultur ist in jedem Fall abzuraten. Dafür bedarf es weiterer Überlegungen, die sich auf die aktuellen Unternehmensstrukturen und auf die vorherrschende Unternehmenskultur beziehen. Auch spielen die Mentalitätsunterschiede eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Doch müssen Führungskräfte ihr Verhalten den sich verändernden Bedingen der Arbeitswelt anpassen. Sie müssen erkennen, dass nicht mehr nur materielle Anreize eine gesteigerte Wirkung auf die eigentliche Motivation haben, sondern auch Lob, positives und aufschlussreiches Feedback, das Geben von sinnvollen, relevanten Informationen, die Beachtung von Details in der Aufgabenlösung (Design, Lösungswege, …) und die Ermutigung zu eigenen neuen Projekten. Für kreativ arbeitende Menschen, Wissensarbeiter, ist die Anerkennung durch ihre Vorgesetzten kein Ziel an sich, trotzdem wirkt sie sich positiv auf deren Motivation aus.

Dabei ist die klassische Führungsaufgabe Kontrolle – mit einem gewissen Grad an Vertrauen als Grundlage – noch immer von wesentlicher Bedeutung. Ihre Wirkung in der Praxis darf nicht unterschätzt werden. Jeder bedarf einer gewissen Führung – egal ob Wissensarbeiter oder nicht. Pauschal mehr Vertrauen in die Mitarbeitenden und weniger Kontrolle in ihre Tätigkeiten zu setzen, halte ich für gefährlich. Vielmehr sollten Führungskräfte Anregungen zum richtigen Verhalten gegenüber kreativ arbeitenden Mitarbeitenden erhalten. Entscheidend ist und bleibt das „wie“ der Kontrolle und ihre Wirkung auf Motivation und Unternehmenskultur in der Arbeitswelt von morgen. Die Aussagen von Pink zur Motivation 3.0 sind ein guter Ansatz. Für mich sind sie jedoch lediglich als Anregungen zu verstehen, über neue interessante Ideen nachzudenken, diese jedoch kritisch auf ihre Umsetzbarkeit im eigenen Unternehmen zu prüfen.

 

Oberstes Bild: PHOTOCREO Michal Bednarek – shutterstock.com

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Mehr zu Claudia Fuhrmann

Claudia Fuhrmann verfügt über langjährige berufliche Erfahrungen in den Bereichen Personalentwicklung und Weiterbildung, welche sie in unterschiedlichen Unternehmen in Deutschland und der Schweiz sammelte. Dabei entwickelte sie schwerpunktmässig Entwicklungskonzepte für Führungskräfte des mittleren und des Topmanagements. Seit Februar 2015 ist sie für die TowerConsult GmbH in Jena tätig. Hier beschäftigt sie sich mit der Rekrutierung von IT-Spezialisten, der Organisation und Abwicklung von IT-Projekten sowie der Entwicklung von individuellen Weiterbildungen für Unternehmen. Basierend auf ihrer vielfältigen Berufserfahrung berichtet sie ausserdem regelmässig in den Bereichen Personalmanagement und Bildung im unternehmenseigenen Blog (bewerberblog.de).

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