US-Konjunktur – Schwächezeichen mehren sich
Noch zum Jahreswechsel galt die US-Wirtschaft als Hoffnungsträger für die globale Konjunktur. Während China weiter mit sinkenden Wachstumsraten zu kämpfen hatte, dümpelte die wirtschaftliche Entwicklung im Euro-Raum dahin. Einzig in den USA schien die Konjunktur Fahrt aufzunehmen.
Heute, wenige Monate später, hat sich das Bild stark gewandelt. Nach dem Start des Anleihe-Aufkaufprogramms der EZB gibt es erstmals seit längerer Zeit positive Wirtschaftsnachrichten aus dem Euro-Raum. Dafür häufen sich Negativ-Meldungen aus den Vereinigten Staaten. Dies ist umso beunruhigender, da hiervon auch wichtige Impulse für die Weltwirtschaft ausgehen.
Schlechte Nachrichten überwiegen zuletzt
In den letzten Wochen bot die US-Wirtschaft ein vielschichtiges, manchmal verwirrendes Bild. Schlechte Nachrichten überwogen, als erstmals offizielle Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung im ersten Quartal 2015 präsentiert wurden. Das Wachstum der US-Wirtschaft hat sich in den ersten drei Monaten auf nur noch 0,2 Prozent abgeschwächt. Das kommt einem Stillstand gleich. Noch im letzten Quartal des vergangenen Jahres hatte das Wirtschaftswachstum der grössten Volkswirtschaft der Erde bei 2,2 Prozent gelegen, im Quartal davor waren es sogar 5 Prozent gewesen.
Der Rückgang des Wachstums ging gleichzeitig mit einem überraschend hohen Handelsbilanzdefizit einher. Die Handelsbilanz der USA ist zwar chronisch defizitär. Mit 51,4 Milliarden US-Dollar schloss sie im März aber noch deutlich schlechter ab, als von Experten erwartet worden war. Sie hatten lediglich mit gut 41 Milliarden US-Dollar Defizit gerechnet. Alleine beim grössten Handelspartner China übertrafen die US-Importe die Exporte im März um 37,8 Milliarden Dollar. Im Februar waren es noch 23,7 Milliarden Dollar gewesen. Diese gravierende Verschlechterung der US-Handelsbilanz war auf den hohen Anstieg der Einfuhr von Investitions- und Konsumgütern zurückzuführen. Insbesondere Autos und Autoteile wurden verstärkt importiert.
Vorübergehender Dämpfer oder Trend?
Auch vom Arbeitsmarkt kamen zunächst schlechte Meldungen. Im März waren nur 85.000 neue Jobs geschaffen worden, viel weniger als man erwartet hatte. Dafür gab es jetzt eine positive Nachricht. Im April hat sich die Zahl neuer Stellen um 223.000 erhöht, was immerhin den Prognosen entsprach. Positiv vermerkt wurde auch eine gewisse Erholung beim Ölpreis, der sein Tief zur Jahreswende überwunden zu haben scheint. Der Wiederanstieg verschafft der US-Frackingindustrie Aufwind, die zuletzt stark unter dem Preisverfall zu leiden hatte und etliche ihrer Förderanlagen stilllegen musste. Dies nährt die Hoffnung, dass die Wirtschaft wieder Fahrt aufnehmen und auf ihren Wachstumskurs zurückkehren könnte. Der Dow Jones-Index als wichtigster US-Aktienindex vollzog vor diesem Hintergrund in den letzten Wochen eine Achterbahn.
Vorübergehender Einbruch oder grundlegende Trendwende? Das ist die Frage, die sich viele Beobachter der US-Wirtschaftsentwicklung derzeit stellen. Tatsächlich gibt es für die unerwartet schlechte Entwicklung sowohl kurzfristige als auch längerfristig orientierte Erklärungsansätze. Kurzfristig haben vor allem zwei Sonderfaktoren die US-Ökonomie belastet – der harte Winter und der Streik der Hafenarbeiter.
Sonderfaktoren Winter und Hafenstreik
Die extreme Kälteperiode und die harten Winterstürme im Februar und März haben die Wirtschaft – wie schon im Jahr zuvor – spürbar beeinträchtigt. Vor allem die Baubranche und der Einzelhandel litten unter dem Winter. Insgesamt wurden im März durch die Kälte 40.000 weniger neue Stellen geschaffen als prognostiziert. Der lange, erst Ende Februar zu Ende gegangene Streik der Hafenarbeiter an der Westküste ist eine Erklärung für das überraschend hohe Handelsdefizit im März. Durch den Streik konnte in den Vormonaten deutlich weniger importiert und exportiert werden als sonst üblich. Die Ein- und Ausfuhren der USA sanken daher im ersten Quartal um jeweils 8 Prozent – ein Rückgang, der üblicherweise nur in ausgeprägten Rezessionsphasen zu beobachten ist. Im März wurde dann ein erheblicher Teil der zuvor aufgeschobenen Im- und Exporte nachgeholt. Dadurch wurde auch das Handelsbilanzdefizit grösser. Vieles spricht dafür, dass sich die Ein- und Ausfuhren demnächst wieder normalisieren und die Vereinigten Staaten zu ihrem „normalen“ Defizit zurückkehren werden.
Der starke Dollar belastet
Der anhaltend hohe Überschuss der Importe über die Exporte stellt der US-Industrie allerdings kein gutes Zeugnis aus. Denn er ist ein Indikator dafür, dass US-Produkte auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig sind. Dies hängt allerdings nicht nur mit fehlender Leistungsstärke der Industrie zusammen, sondern ist auch der Wechselkursentwicklung geschuldet. Der US-Dollar war in den letzten Monaten keine Hilfe für die Konjunktur der Vereinigten Staaten.
Spätestens seit Mitte letzten Jahres hat die amerikanische Währung gegenüber anderen wichtigen Währungen der Welt deutlich an Wert gewonnen. Diese Aufwertung war vor allem durch die Erwartung einer wieder restriktiveren US-Geldpolitik und steigender Zinsen in den USA getrieben. Unter der neuen US-Notenbank-Chefin Janet Yellen gab es vorsichtige Signale in diese Richtung, die auch durch konkrete Handlungen wie das Zurückfahren des Anleihekaufprogramms der Fed unterstützt wurden. Das trieb Anleger in den US-Dollar, die woanders durch die anhaltende Niedrigzinspolitik ihrer jeweiligen Notenbanken abgeschreckt wurden. Durch den starken Dollar verteuerten sich die US-Exporte zwangsläufig, während Importe billiger wurden. Das hat zu einer deutlichen Wachstumsabschwächung geführt. Es ist kein Zufall, dass die Wachstumsraten sich praktisch genau gegenläufig zum Dollar-Wechselkurs entwickelt haben.
Aufschwung noch möglich, aber fragil
Inzwischen sind die Finanzmärkte deutlich vorsichtiger geworden, was die Hoffnung auf höhere US-Zinsen betrifft. Mit einer schnellen und spürbaren Erhöhung der Leitzinsen rechnet kaum noch jemand, obwohl die US-Notenbank bisher keinen offiziellen Kurswechsel angekündigt hat. Prompt zeigt sich der Dollar schwächer. Wie wird es weitergehen? Mit dem Frühjahr, dem Streikende und der Konsolidierung des Ölpreises sind die Chancen grösser geworden, dass die US-Wirtschaft auf den Wachstumspfad zurückfindet. Allerdings zeigt die Entwicklung auch, wie fragil die US-Konjunktur ist. Bei einer weiteren Häufung schlechter Nachrichten wächst die Wahrscheinlichkeit, dass diese nicht als vorübergehender Dämpfer, sondern als längerfristiger Trend interpretiert werden. Dann wäre der wirtschaftliche Aufschwung ernsthaft in Gefahr – mit negativen Konsequenzen für die Weltwirtschaft insgesamt.
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