Kommt der Börsen-Crash in China?

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich China von der „Fabrik der Welt“ zu einem Schwellenland mit grossem Potenzial entwickelt. Inzwischen warnen Beobachter jedoch vor einem Börsen-Crash im

Reich der Mitte. Die Aktienkurse an den chinesischen Börsen boomen, während die chinesische Volkswirtschaft Krisensymptome zeigt.

Getrieben wird der Aktienboom in China vor allem durch die lockere Geldpolitik des Landes. Die chinesische Zentralbank folgt damit dem Beispiel Europas und der USA, wo „Quantitative Easing“-Strategien und extrem niedrige Zinsen ebenfalls eine Aktien-Hausse nach sich ziehen. Auch in den westlichen Industrienationen ist dieser Trend oft nur bedingt realwirtschaftlich unterlegt. Besonders stark überbewertet sind Aktien derzeit jedoch in China – Experten halten hier einen Wert von etwa 20 % für realistisch. Damit wächst die Gefahr einer gewaltigen Finanzmarktblase und eines darauffolgenden Börsen-Crashs.

Kursexplosionen in Hongkong und Schanghai

In den vergangenen zwölf Monaten sind die Kurse an den beiden wichtigsten chinesischen Börsen geradezu explodiert: Der Hauptindex Shanghai Composite ist um mehr als das Doppelte auf derzeit rund 4500 Zähler angestiegen, an der Hongkonger Börse betrug der Kurszuwachs immerhin ein Drittel. Begehrt bei den Anlegern sind vor allem neue Emissionen. Seit dem Frühjahr 2014 haben in China insgesamt 147 Unternehmen den Börsengang gewagt, am ersten Handelstag konnten sie ausnahmslos Kursgewinne im Rahmen des erlaubten Maximums von 44 % für sich verbuchen.

Lockere Geldpolitik und Öffnung für internationale Investoren treiben Börsenkurse

Als Wachstumstreiber an den Börsen wirken verschiedene Faktoren. Zum einen hat die chinesische Regierung im Herbst 2014 damit begonnen, den bis dahin weitgehend abgeschotteten Aktienmarkt des Landes für ausländische Investoren zu öffnen. Anleger in Hongkong und Chinas grösster Festlandbörse Schanghai können seitdem Papiere beider Börsen handeln, das tägliche Gesamtvolumen beläuft sich schätzungsweise auf umgerechnet knapp vier Milliarden Franken. Perspektivisch soll sich Schanghai zu einem internationalen Finanzzentrum entwickeln.

Zum anderen reagiert die Pekinger Regierung mit finanzpolitischen Massnahmen auf schlechte Wirtschaftsdaten. Im Gesamtjahr 2014 ist die chinesische Wirtschaft „nur“ noch um 7,4 % gewachsen, von den zum Teil zweistelligen Wachstumsraten vergangener Jahre ist sie damit weit entfernt. Im ersten Quartal 2015 betrug der BIP-Zuwachs im Reich der Mitte 7 %. Das chinesische Wirtschaftswachstum ist damit so schwach wie zuletzt zu Beginn der 1990er-Jahre.

Absenkung der Mindestkapitalreserven bei den Banken

Auf die konjunkturelle Schwäche reagiert die chinesische Zentralbank unter anderem mit erleichterten Konditionen für Kreditvergaben. Allein in diesem Jahr wurden die Vorgaben für die Mindestreserven der Banken zwei Mal abgesenkt, seit April 2015 müssen die Institute nur noch 18,5 % – statt vorher 19,5 – ihres Stammkapitals als Kapitalreserve halten. Seit November 2014 hat die chinesische Notenbank ausserdem ihren Leitzins zwei Mal abgesenkt. Im Vergleich zu den Zinssätzen in Europa oder Nordamerika lesen sich die chinesischen Daten zwar auch heute „traumhaft“: Der Einlagensatz liegt derzeit bei 2,50 %, für Notenbank-Kredite werden 5,32 % an Zinsen fällig. Trotzdem konstatieren chinesische Politiker einen „grossen Abwärtsdruck“, auch die Konjunkturprognosen für 2015 wurden regierungsseitig bereits nach unten korrigiert; erwartet wird jetzt ein Wirtschaftswachstum von rund 7 %. 

Die Mindestreservesätze der Banken wurden zuletzt im Jahr 2008 – auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise – derart stark verringert. Der aktuelle Schritt soll zusätzliche finanzielle Mittel im Umfang von umgerechnet 155 Milliarden Franken in die Wirtschaft pumpen, die nicht zuletzt die wachsenden Kapitalabflüsse kompensieren sollen. Regierung und Zentralbank wollen mit dieser Strategie erreichen, dass die chinesische Wirtschaft durch Investitionen stabilisiert und die Gefahr von Überhitzungen geringer wird.


Chinesische Zentralbank in Peking (Bild: © Gang Liu – shutterstock.com)

Schwache Inlandsnachfrage und Exporteinbruch durch Dollar-Bindung

Ob und in welchem Zeitraum dieses Ziel erreicht wird, ist jedoch fraglich. Ein Negativindikator ist unter anderem in der chinesischen Handelsbilanz zu finden: Im ersten Quartal 2015 gingen die Importe nach China aufgrund der schwachen Inlandsnachfrage im Vergleich zum Vorjahr um 17,3 % zurück. Im gesamten ersten Quartal sind die chinesischen Exporte zwar noch um 4,9 % gewachsen, im März 2015 jedoch um knapp 13 % eingebrochen. Für das Gesamtjahr 2015 kalkuliert die Regierung bisher mit einem Export-Plus von 6 %. Die Bindung der chinesischen Währung an den US-Dollar und folglich auch an dessen Höhenflug wirkt sich als deutlich wachstumshemmend aus. Ökonomen erwarten, dass auf das Export-Tief in absehbarer Zeit weitere geldpolitische Stimulationen folgen.

Wertpapierkredite für Kleinanleger könnten zu einer Bankenkrise führen

Der Aktienboom in China ist eine direkte Folge der schwachen Konjunktur. Nach dem Platzen der Immobilienblase suchen nicht zuletzt auch Kleinanleger ihr Heil in börsennotierten Wertpapieren. An der Schanghaier Börse sollen bis zu 80 % der gehandelten Aktien im Besitz von Kleinanlegern sein. Die meisten von ihnen sind absolute Börsen-Laien, die sich bei ihren Geldanlagen ausschliesslich  nach dem „Gesetz der Masse“ richten und kaufen, wenn auch „alle anderen“ kaufen. Zudem werden diese Investitionen meist auf Pump getätigt, was durch grosszügige „Vermögensbildungskredite“ der Banken unterstützt wird. Anfang April 2015 belief sich das Volumen solcher Wertpapierkredite auf umgerechnet etwa 243 Milliarden Franken, seit dem Jahresbeginn ist es um rund die Hälfte angewachsen. Bei stagnierenden Börsenkursen oder einem manifesten Abwärtstrend könnten viele dieser Anleger ihre Kredite nicht mehr bedienen – die Konsequenz daraus wäre eine Bankenkrise.

Der Aufwärtstrend der Börsen könnte vor diesem Hintergrund schnell einen Flächenbrand erzeugen, der auch für die Weltwirtschaft nicht ohne Folgen bleiben würde.

Kann die Regierung Rückschlage auf den Aktienmärkten kompensieren?

Ausländische Investoren gehen inzwischen von einer Blasenbildung aus, die derzeit vor allem bei Technologiepapieren augenfällig ist, aber auch andere Aktien betreffen dürfte. Die Liquiditätsflut auf den chinesischen Märkten pusht aus Expertensicht sowohl die Werte guter als auch die schlechter Unternehmen. Aktieninvestitionen in China gelten daher inzwischen als ausgesprochen risikoreich. Heinz Rüttimann, Strategieanalyst für „Emerging Markets“ bei der Züricher Privatbank Julius Bär, meint zwar, dass die chinesische Regierung genügend Spielraum habe, um einen schlimmen Rückschlag zu verhindern –  Fakt ist jedoch, dass spekulative Investoren in immer stärkerem Mass mit schlechten Konjunkturdaten und entsprechenden geldpolitischen Kompensationen kalkulieren.



Die chinesische Realität gibt ihnen vorerst Recht – dem Höhenflug der Börse standen auch im April 2015 schwache Wirtschaftsdaten gegenüber. Der Einkaufsmanager-Index der britischen Grossbank HSBC und des Finanzinformationsinstituts Markit ist im vergangenen Monat auf 49,2 Punkte gefallen; als Wachstumsindikator gilt er erst ab einem Stand von 50 Punkten. Erwartet hatten Ökonomen für China 49,6 Punkte. Ihre Politik, den Markt mit billigem Geld zu fluten, wird die chinesische Zentralbank wohl vorerst beibehalten müssen.

 

Oberstes Bild: © McIek – shutterstock.com

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