Schweizer Unis sollen arbeitsmarktrelevanter werden

Jammern auf hohem Niveau ist es für die einen. Die anderen fordern grundlegende Veränderungen, um Studienabsolventen fitter für den Arbeitsmarkt zu machen. Tatsache ist: Die Hochschulbildung in der Schweiz ist in den letzten Wochen aus verschiedenen Richtungen unter Beschuss geraten. Die Economiesuisse fordert als Dachverband der Schweizer Wirtschaft grundlegende Änderungen an den Universitäten.

Den Anstoss zur Bildungskritik gab Mitte März die SVP auf recht rüde Art und Weise. Die fast 45.000 Studierenden in sozial- und geisteswissenschaftlichen Studiengängen sind SVP-Chef Toni Brunner und seinem Fraktionschef Adrian Amstutz ein Dorn im Auge. Gegenüber der Tageszeitung „Blick“ liess Amstutz verlauten, dass seine Partei die Zahl der Sozial- und Geisteswissenschaftler in der Eidgenossenschaft so schnell wie möglich um die Hälfte reduzieren möchte. Brunner forderte in einem Interview mit der „Handelszeitung“ einen politischen Numerus Clausus für Psychologen, Politologen und andere Studienfächer, die seiner Ansicht nach lediglich „Schmetterlingszähler“ produzieren.

Qualität der universitären Lehre hat angeblich deutlich abgenommen

Der Chefökonom und Bildungsexperte der Economiesuisse, Robert Minsch, legte jetzt eine eigene Agenda vor, die auf eine umfassendere Reform der Hochschulbildung zielt. Dem bestehenden System attestiert er im Bereich der universitären Lehre „einen deutlichen Qualitätsverlust“. Fächer wie Kommunikations- oder Politikwissenschaften seien zu „Modestudienrichtungen“ mit aufgeblähten Studierendenzahlen und einem entsprechend ungünstigen Verhältnis von wissenschaftlichem Lehrpersonal und Lernenden verkommen. Einen Numerus Clausus für besonders überlaufene Fächer lehnt er anders als Brunner jedoch ab. Beispielsweise habe der Numerus Clausus für Mediziner zu einen Mangel an einheimischen Ärzten geführt – die Schweiz muss ihre Ärzte heute auch im Ausland rekrutieren. Statt solcher politischer Einflussnahmen fordert Minsch Veränderungen an den Universitäten selbst. Beispielsweise hätten die Hochschulen dafür zu sorgen, dass Studierende unabhängig von ihrer Fachrichtung fundiertes und arbeitsmarktrelevantes Methodenwissen erwerben können – im Klartext: Auch Literaturwissenschaftler oder Historiker müssen Statistik lernen und empirisches Grundlagenwissen erwerben.

Einstellungsgespräche statt Numerus Clausus

An US-amerikanischen Hochschulen sind Einstellungsgespräche für Studieninteressierte seit langem üblich – aus Sicht von Minsch sollten auch Schweizer Universitäten diese Praxis etablieren. Dabei geht es ihm vor allem darum, die Zahl von Studienabbrechern zu reduzieren, die nach wenigen Semestern feststellen, dass ihnen das gewählte Studium nicht liegt oder ihre persönlichen Fähigkeiten für das Fachgebiet nicht reichen. Durch die Einstellungsgespräche in Form von Einzelinterviews oder Gruppendiskussionen sollen Bewerber eine bessere Entscheidungsgrundlage für ihre Studienwahl erhalten. Besonders wichtig sei diese Orientierungshilfe für Studieninteressente, die mit schlechten Maturitätsnoten an die Universitäten kommen. Am psychologischen Institut der Universität Zürich gibt es ein vergleichbares Instrument bereits: Potentiellen Bewerbern soll ein Online-Selbsttest durch die Vermittlung der Studienanforderungen und die Analyse persönlicher Interessen die Entscheidung für oder gegen ein Psychologiestudium erleichtern. Minsch ist allerdings eher skeptisch gegenüber solchen Online-Tools, wichtiger ist aus seiner Perspektive das persönliche Gespräch, in denen es auch darum geht müsse, die Arbeitsmarktchancen für Absolventen des jeweiligen Studienganges realistisch zu erläutern.


Universität Zürich (Bild: city100 / Shutterstock.com)

Hochschulfinanzierung soll künftig Qualitätskriterien unterzogen werden

Der Economiesuisse-Experte kritisiert ausserdem das gegenwärtige System der Hochschulfinanzierung in der Schweiz. Die geltenden Regelungen belohnen aus seiner Sicht vor allem Masse, jedoch keine Qualität. Beispielsweise stehen die kantonalen Universitäten finanziell am besten da, wenn sie möglichst viele Studierende aus anderen Kantonen haben – für diese übernimmt der Heimatkanton 80 Prozent der Studienkosten, die restlichen 20 Prozent werden durch den Bund bezahlt. Für die eigenen Studierenden muss der betreffende Kanton dagegen die vollen Kosten tragen. Zudem spielt die Qualität der Ausbildung bei der Finanzierung der Hochschulen keine Rolle. Minsch wünscht sich, dass für die Vergabe öffentlicher Gelder an die Universitäten künftig auch Qualitätskriterien eine Rolle spielen und behält dabei den Arbeitsmarkt im Blick. Falls eine Hochschule besonders viele Absolventen in die Arbeitslosigkeit entlässt, sollte dies Konsequenzen für ihr Budget haben.



Sozial- und Geisteswissenschaften sind keine Boomfächer

Im Gegensatz zur Economiesuisse setzt die SVP bei den von ihr geforderten Änderungen im Hochschulsystem auf Brachialgewalt – und liegt ausserdem mit ihrer Beurteilung der Entwicklung an den Hochschulen nicht ganz richtig. Zwar sind an Schweizer Universitäten bislang die weitaus meisten Studierenden in einem sozial- oder geisteswissenschaftlichen Fach immatrikuliert, jedoch ist das Interesse an diesen Studiengängen in den letzten Jahren allenfalls noch minimal gestiegen. Mitte März veröffentlichte das Bundesamt für Statistik hierzu aktuelle Zahlen: Demnach ist die Anzahl der Studierenden in den Sozial- und Geisteswissenschaften zwischen 2010/11 und 2014/15 nur noch um zwei Prozent gewachsen, im Vergleich zum Studienjahr 2004/05 hat sich ihr Zuwachs auf sieben Prozent belaufen.

Zweistellige Zuwächse in den technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen

Technische und naturwissenschaftliche Fächer, Medizin, Pharmazie und Wirtschaftswissenschaften zeigen dagegen zweistellige Zuwachsraten. Den Spitzenplatz belegen hier die Technikwissenschaften: Die Zahl der Studierenden in ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen und im IT-Bereich ist in den letzten fünf Jahren um 22 Prozent, im vergangenen Jahrzehnt sogar um 60 Prozent gewachsen. Dieser Trend zeigt sich an ausnahmslos allen Schweizer Universitäten. Vor diesem Hintergrund erweist sich der von der SVP angemahnte Regulierungsbedarf zugunsten der Natur- und Technikwissenschaften als eine Chimäre, mit der sich die Partei im Wahlkampf auch als Bildungsexpertin in Stellung bringen will.

Economiesuisse fordert engere Verzahnung von Hochschulen, Arbeitsmarkt und Wirtschaft

Natürlich gilt auch für Schweizer Universitäten der Satz, dass fast nichts so gut ist, dass es nicht noch verbessert werden kann. Die Überlegungen der Economiesuisse zielen in diese Richtung. Grössere Methodensicherheit, mehr Empirie, eine intensivere Studienorientierung und Qualitätskriterien für die universitäre Lehre würden nicht zuletzt eine engere Verzahnung von Hochschulen, Arbeitsmarkt und Wirtschaft fördern. Allerdings lassen sich die aktuellen Klagen über die Mängel im Hochschulsystem der Schweiz auch als Jammern auf höchstem Niveau beschreiben. Schweizer Universitäten gehören nach wie vor zu den besten akademischen Bildungseinrichtungen der Welt und erreichen in internationalen Rankings Spitzenpositionen.

Dennoch: Schweizer Unis international top

Im QS-Universitätsranking 2014/15 wurden die ETH Zürich und die Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) unter den 20 führenden Hochschulen der Welt gelistet. Die ETH Zürich belegt den zwölften Rang und ist damit die beste Hochschule in Kontinentaleuropa, die EPFL kam auf Rang 17 – in der QS-Bewertung werden beide Hochschulen nur von US-amerikanischen und britischen Spitzenuniversitäten übertroffen. Auch die „normalen“ Universitäten in der Schweiz gelangten im QS-Ranking auf vordere Plätze: Die Universität Zürich belegt Rang 57, die Universität Genf Rang 85, die Universitäten Lausanne, Basel und Bern positionieren sich auf den Rängen 105, 116 und 145. Die weltweit beste Hochschule ist nach wie vor das Massachusetts Institute of Technology (MIT), den zweiten und dritten Rang belegen die britische University of Cambridge sowie das Imperial College in London.

 

Oberstes Bild: Schweizer Unis sollen „arbeitsmarktrelevanter“ und effizienter in der Bewerberauswahl werden. (© Creativa Images / Shutterstock.com)

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