Der Technologiestandort Schweiz braucht ein wirtschaftsfreundliches Umfeld

Am Montag dieser Woche öffnete die IT-Messe Cebit ihre Pforten. Bis zum 20. März trifft sich in Hannover die globale ICT-Elite. Die Schweiz belegt auf der Cebit 2015 mehr Ausstellungsfläche als in allen vorhergehenden Jahren und präsentiert sich damit als ein moderner Hightech-Standort.

ICT ist die Abkürzung für Informations-, Computer- und Kommunikationstechnologien, die den Alltag und das Wirtschaftsleben immer stärker prägen. In der Aussen- und oft auch in der Selbstwahrnehmung der Schweiz stehen bisher vor allem deren traditionelle Industrien im Vordergrund, die im internationalen Vergleich in vielen Bereichen führend sind.

Inzwischen ist die Eidgenossenschaft jedoch auch ein begehrter Standort für ICT-Unternehmen – bereits seit dem Beginn der 1990er Jahre liegt das Beschäftigungswachstum in diesem Sektor deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtwirtschaft. Der Mangel an inländischen Fachkräften und eine sich verschlechternde wirtschaftliche Rahmenbedingungen könnten dieses Wachstum jedoch bremsen.

Synergien zwischen ICT-Firmen, Hochschulen und traditionellen Industrien

Ein Artikel in der „NZZ“ geht der Frage nach, welche Bedingungen die Branche braucht, um sich auch in Zukunft kontinuierlich zu entwickeln. Die wichtigsten Faktoren sind demnach hochqualifizierte Spezialisten sowie die Verbesserung der staatlichen und privaten Förderung für wissenschaftsbasierte Innovationen. Die Zentren der Schweizer ICT-Branche sind derzeit Lausanne und Zürich. Die Technologieunternehmen profitieren an beiden Standorten von der Präsenz technischer Hochschulen von internationalem Ruf, aber auch von Synergien mit seit langem ansässigen Traditionsunternehmen anderer Wirtschaftszweige. Die international führende Rolle von Schweizer Unternehmen im Finanzsektor, im Maschinenbau und in der Pharmaindustrie hat dazu geführt, dass die Eidgenossenschaft heute über einen Pool hochqualifizierter IT-Spezialisten verfügt. Auch die Ansiedlung von ICT-Giganten wie Google oder IBM hatte einen immensen Wissenstransfer zur Folge.

Zuwanderungsrestriktionen haben einen Mangel an ICT-Fachkräften zur Folge

Die ICT-Unternehmen in der Schweiz haben einen stetig wachsenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften, der laut einer Studie des Branchenverbandes ICT Switzerland zu einem grossen Teil von Quereinsteigern gedeckt wird. Auch die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte und weltweite Rekrutierungsmöglichkeiten sind für die Hightech-Firmen jedoch unverzichtbar. Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative könnte in Zukunft zu empfindlichen Personalengpässen führen und zu einem massiven Standortnachteil werden. Unter den reduzierten Kontingenten für Arbeitsmigranten aus Drittstaaten hat die Branche bereits jetzt zu leiden. Aktuell wirken sich auf die wirtschaftliche Performance des stark exportwirtschaftlich orientierten ICT-Sektors auch die Freigabe des Mindestwechselkurses und der starke Franken aus.

Ein ICT-Ökosystem benötigt mehr Engagement der Branchen-Grössen 

Die wichtigste staatliche Institution der Schweiz zur Förderung von wissensbasierten Innovationen und Unternehmen in der forschungsnahen Hightech-Szene ist die Kommission für Technologie und Innovation (KTI), die unter anderem zu den Organisatoren des Schweizer Pavillons auf dem Mobile World Congress in Barcelona zählt und bereits verschiedenen Startups in einer frühen Phase ihrer Geschäfts- und Entwicklungstätigkeit auf den Weg geholfen hat. Aus der Startup-Szene –  beispielsweise von der Westschweizer Firma Onvisage, die Authentifizierungsdienstleistungen auf Basis einer an der ETH Zürich entwickelten 3D-Gesichtserkennung anbietet und damit in Barcelona stark beachtet wurde – kommt jedoch auch die Forderung nach einem grösseren Engagement der Privatwirtschaft für ICT-Projekte. Pharmakonzerne wie Novartis erweisen sich im Biotech-Segment im Hinblick auf die Förderung von Startups und die Entwicklung eines Ökosystems innovativer Firmen innerhalb der Branche als aktiver.


Am Montag dieser Woche öffnete die IT-Messe Cebit ihre Pforten. (Bild: © wikipedia.org)

Im ICT-Segment könnten die „Grossen“ – beispielsweise die Swisscom, Kudelski oder Phonak – sich dagegen durchaus stärker für eine entsprechende Standortförderung engagieren. Erfolgreiche Firmengründungen dürften für die Entwicklung der Branche als ein Katalysator wirken. Trotz solcher Einschränkungen und diverser regulatorischer Hindernisse bewerten die innovativen Gründer die Bedingungen für Startups in der Schweiz jedoch grösstenteils als positiv. Nicht zuletzt sind die behördlichen Auflagen für eine Firmengründung in der Schweiz unkompliziert und nur wenig restriktiv.

Der Standort Schweiz ist branchenübergreifend attraktiv 

Insgesamt geht es den ICT-Unternehmen weniger um branchenspezifische Standortvorteile, sondern um die generelle Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Schweiz. In diesem Zusammenhang oft genannte Faktoren wie Rechts- und Datensicherheit oder günstige Energiepreise – im ICT-Segment beispielsweise für die Ansiedlung internationaler Datenzentren wichtig – besitzen letztlich für alle Branchen Relevanz. Der liberale Think Tank Avenir Suisse sieht die Schweiz im Hinblick auf ihr Standort-Marketing und die praktische Förderung der Neuansiedlung von Firmen als gut aufgestellt, Mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft sowie ihren wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen belegt sie in fast allen internationalen Standortrankings vordere Plätze und ist sowohl für Unternehmen und Investoren als auch für qualifizierte Arbeitskräfte attraktiv. Zudem bürgt der Standort Schweiz unter dem Label „Swissness“ weltweit für Markenqualität.

Avenir Suisse: Zehn Grundsätze zur Standortförderung 

Avenir-Suisse-Autor Daniel Müller-Jentsch formuliert in seiner Analyse zehn Grundsätze für die Standortpromotion und die Standortförderung der Schweiz. Die Erhaltung der guten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für alle Unternehmen, und nicht im Rahmen firmenspezifischer Privilegien und Deals, steht dabei an erster Stelle. Privilegien – Steuererleichterungen, Subventionen oder vergünstigte Gewerbeimmobilien – wären einerseits ordnungspolitisch problematisch, da sie die den Newcomern gegenüber den bereits ansässigen Firmen Wettbewerbsvorteile verschaffen, andererseits würden sie Mitnahmeeffekte erzeugen. Auch „Industriepolitik“ respektive die selektive Förderung von Branchen haben Wettbewerbsverzerrungen zur Folge und erweisen sich deshalb in der Regel als kontraproduktiv.

Eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik darf vor allem den Markt und einen notwendigen Strukturwandel nicht behindern. Selbstverständlich ist die Schweiz gleichzeitig in einen internationalen Standortwettbewerb eingebunden, muss ihre eigenen Standortvorteile also auch in einem gewissen Mass promoten, was jedoch –  nicht zuletzt im Hinblick auf die soziale Akzeptanz von Arbeitsmigration – nicht auf schlichtes Breitenwachstum zielen sollte. Wichtig ist dagegen ein bundesweit koordiniertes Standort-Marketing, das sich auf strukturschwache Regionen fokussiert und dort durch Förderinstrumente eventuelle Standortnachteile kompensiert.



Standortfragen – für die Unternehmen sehr sensibel 

Aus Sicht von Müller-Jentsch haben die Schweizer Standortförderer in den vergangenen Jahren wichtige Hausaufgaben erledigt. Die Botschaft des Bundes zur Standortförderung sieht für die Jahre 2016 bis 2019 einen Paradigmenwechsel weg vom Breitenwachstum in Richtung auf Produktivitätssteigerungen vor. Wie sensibel Standortfragen für die Unternehmen sind, zeigte gerade erst das Beispiel Apple: Der US-amerikanische Konzern will umgerechnet knapp 1,8 Milliarden Franken in zwei europäische Rechenzentren investieren. Die Schweiz stand auf der Standort-Kandidatenliste, den Zuschlag erhielten am Ende jedoch erwartungsgemäss Irland – als Sitz der Europazentrale Apples und führender internationaler Datenstandort – sowie Dänemark. Aus Sicht von Branchenkennern spielten bei der zweiten Entscheidung einerseits das für Datenzentren relevante kühlere Sommerklima Dänemarks, vor allem jedoch die Masseneinwanderungsinitiative, geplante Aufweichungen des bisher sehr restriktiven Schweizer Datenschutzgesetzes sowie die „Energiestrategie 2050“  mit dem anvisierten Verzicht auf Atomstrom und damit möglicherweise steigende Strompreise eine Rolle.

 

Oberstes Bild: © Peshkova – shutterstock.com

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