Das Gespenst der Deflation – Einbildung oder Wirklichkeit?

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst der Deflation. Es ist die Furcht vor den Folgen sinkender Preise, die viele Ökonomen derzeit umtreibt und die Europäische Zentralbank EZB dazu bewegt, ab sofort mit Anleihekäufen zusätzliches Geld auf den Markt zu werfen.

Was steht aber wirklich hinter dem Phänomen Deflation und befinden wir uns tatsächlich in einer solchen Situation? Mehr dazu erfahren Sie hier.

Unter Deflation wird in der Volkswirtschaftslehre ganz allgemein ein signifikanter und anhaltender Rückgang des Preisniveaus verstanden. Deflationen entstehen typischerweise im Zusammenhang mit Wirtschaftskrisen, bei denen das Warenangebot nicht mehr genügend Absatz findet. Sinkende Preise sind konsequenterweise bei funktionierenden Märkten die Folge.

Oft eine Krisenerscheinung 

Deflation ist eine Ausnahmeerscheinung in der Wirtschaftsgeschichte. Es gab in der Vergangenheit nur wenige Phasen mit bedeutenderen deflationären Entwicklungen. Markantestes Beispiel ist die Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren, die damals rund um den Globus tatsächlich zu sinkenden Preisen geführt hat. Einen weiteren Fall stellt Japan in den 1990er-Jahren dar, wo die Preise im Kontext einer Rezession ebenfalls mehrere Jahre hintereinander fielen. Auch im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 kam es kurzzeitig zu negativen Preissteigerungsraten. Ansonsten ist – mehr oder weniger starke – Inflation der Normalfall. Dabei gehen die Meinungen durchaus auseinander, wann noch von Geldwertstabilität zu sprechen ist und wann von Inflation. Die EZB sieht zum Beispiel noch bei einer Inflationsrate von zwei Prozent Geldwertstabilität als gegeben an. Danach könnte man bereits bei niedrigeren Inflationsraten von einer deflationären Tendenz sprechen.

Wenn man dieser grosszügigen Auslegung folgt, gibt es in der Tat in Europa bereits seit Längerem Deflation. Im gesamten letzten Jahr hat die Preissteigerung in der Euro-Zone deutlich unterhalb der Zwei-Prozent-Marke der EZB gelegen. Nicht anders sieht es bei der Inflation in der Schweiz aus. Hier pendelte die Inflationsrate während des ganzen Jahres 2014 um den Nullpunkt, mit einem Hang zum Minus gegen Jahresende hin. Negative Preisveränderungen gibt es in der Euro-Zone allerdings erst seit Dezember vergangenen Jahres. In diesem Monat betrug die Preissteigerung -0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr, im Januar waren es -0,6 Prozent. Und im Februar wird mit -0,3 Prozent gerechnet.

Negative Preissteigerung – ein Durchschnittswert

Die Preissteigerungsrate wird dabei sowohl in der Euro-Zone als auch in der Schweiz auf der Basis des sogenannten Harmonisierten Verbraucherpreisindexes berechnet. Der Index ist ein Durchschnittswert von Preisen, der auf einem – länderspezifischen – repräsentativen Warenkorb beruht. Da es sich um einen Durchschnitt handelt, ist es möglich, dass auch bei allgemein sinkendem Preisniveau einzelne Preise steigen und umgekehrt. Starke Preisveränderungen bei wichtigen Korb-Bestandteilen können darüber hinaus spürbare Auswirkungen auf das Preisniveau insgesamt haben.

Genau dies ist derzeit der Fall. Denn die sinkenden Verbraucherpreise in den letzten Monaten waren vor allem einem Umstand zu verdanken – der Entwicklung bei den Ölpreisen. Spätestens seit Mitte letzten Jahres befindet sich der Ölpreis auf dem Rückzug. Um gut die Hälfte ist er binnen Jahresfrist auf dem Weltmarkt gesunken. Aktuell liegt der Preis pro Barrel bei etwa 50 US-Dollar. Im letzten Jahr mussten in den ersten Monaten noch über 100 US-Dollar dafür gezahlt werden.


Die EZB sieht bei einer Inflationsrate von zwei Prozent Geldwertstabilität als gegeben an. (Bild: © Jorg Hackemann – shutterstock.com)

Sinkende Ölpreise machen sich dabei nicht nur bei den privaten Heizungskosten und beim Benzin fürs eigene Auto bemerkbar. Sie wirken sich auch indirekt aus – zum Beispiel bei Transportkosten für Güter, bei Energiekosten für die Herstellung von Nahrungsmitteln usw. In der Schweiz ist der Ölpreis-Effekt nach der Franken-Aufwertung gegenüber dem Dollar besonders spürbar. Es ist primär dem Ölpreis zu verdanken, dass die Inflation ins Minus gerutscht ist. Dies verhindert aber nicht unbedingt Preissteigerungen in anderen Bereichen. Im persönlichen Empfinden ist die Deflation daher auch bei vielen Verbrauchern bisher gar nicht angekommen.

Die Gefahr der Deflationsspirale … 

Es wäre denn auch verfrüht, bei den aktuell negativen Preissteigerungsraten bereits von Deflation zu sprechen. Denn weder sinken die Preise auf breiter Front, noch dauert die Entwicklung schon so lange an, dass man einen sich verfestigenden Trend feststellen könnte. Zunächst einmal haben die sinkenden Ölpreise etwas Gutes. Sie führen nämlich dazu, dass Verbraucher mehr Geld für sonstige Konsumausgaben übrig haben. Positive Impulse für die Konsumnachfrage sind also durchaus möglich und zu begrüssen.

Warum ist aber die Angst vor Deflation so gross? Sie hängt weniger mit dem Heute als dem Morgen zusammen – einem sich selbst verstärkenden Prozess von Erwartungen an künftige Preisentwicklungen, der in eine Abwärtsspirale – die sogenannte Deflationsspirale – führt. Die Deflationsspirale läuft in etwa nach folgendem Muster ab:

  • Konsumenten beobachten fallende Preise und stellen ihren Gegenwartskonsum im Hinblick auf möglicherweise weiter sinkende Preise in der Zukunft zurück;
  • dadurch sinkt die Nachfrage, es kommt zu Umsatzrückgängen, geringeren Auslastungen und Gewinnen bei Unternehmen;
  • Unternehmen fahren daraufhin ihre Produktion zurück, Investitionen werden verschoben, Arbeitsplätze abgebaut;
  • dies führt zur Verunsicherung bei Konsumenten, Zurückhaltung bei Konsumkäufen und weiter sinkenden Preisen;
  • Konsumenten beobachten weiter fallende Preise usw.

… trifft nur eingeschränkt zu

Weder für die Schweiz, noch für viele Länder der Euro-Zone wie Deutschland und andere „nördliche“ Mitglieder trifft dies aber derzeit zu. Von daher ist das Deflations-Szenario hier nicht passend. Anders sieht es allerdings in den Krisenländern der Euro-Zone im Süden Europas aus. Hier gibt es in der Tat bereits seit Längerem deflationäre Tendenzen, die mit einer Rezession einhergehen. Das Extrem-Beispiel ist Griechenland, das bereits seit März 2013 negative Preissteigerungen bei einer gleichzeitig stark schrumpfenden Wirtschaft aufweist.



Gerade dieses Beispiel macht aber auch das Dilemma der EZB bei ihrem geldpolitischen Kurs deutlich. Ihre Massnahmen können vor dem Hintergrund der Situation in Südeuropa – insbesondere Griechenland – als gerechtfertigt angesehen werden, für den Nordbereich gilt dies nicht. Die Gefahr der Deflation taugt daher nur bedingt als Begründung für den geldpolitischen Kurs. Ob die ständige Geldmengenausweitung das richtige Rezept zur Bekämpfung von Deflation und Rezession darstellt, ist dabei noch eine ganz andere Frage.

 

Oberstes Bild: © Gustavo Frazao- shutterstock.com

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Mehr zu Stephan Gerhard

ist seit Jahren als freier Autor und Texter tätig und beschäftigt sich bevorzugt mit Themen rund um Finanzen, Geldanlagen und Versicherungen sowie Wirtschaft. Als langjähriger Mitarbeiter bei einem Bankenverband und einem großen Logistikkonzern verfügt er über umfassende Erfahrungen in diesen Gebieten.

Darüber hinaus deckt er eine Vielzahl an Themen im Bereich Reisen, Tourismus und Freizeitgestaltung ab. Er bietet seinen Kunden kompetente und schnelle Unterstützung bei der Erstellung von Texten und Präsentationen.

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