EZB: Weitere Zinssenkung in der Euro-Zone

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihren Leitzins völlig überraschend weiter abgesenkt. Noch am Morgen vor der Ratssitzung erwarteten die meisten Ökonomen keine Veränderungen der Zinsen. Die Leitzinssenkung soll von grossangelegten Wertpapierkäufen begleitet werden, um die Wirtschaft in der Euro-Zone anzukurbeln.

Der EZB-Leitzins erreicht damit das Rekordtief von 0,05 Prozent, nachdem er seit Juni 2014 bei 0,15 Prozent gelegen hatte. Die europäischen Währungshüter reagieren mit der Zinssenkung auf die Gefahr einer Deflationsspirale. Die niedrigen Zinsen sollen billiges Geld in die europäische Wirtschaft pumpen, die Konjunktur verbessern und hierdurch auch einen Preisanstieg bewirken. Den Einlagenzins, zu dem die Banken bei der EZB kurzfristig Gelder parken können, senkte die EZB von -0,1 auf -0,2 Prozent.

Wiederbelebung des Marktes für ABS

Gleichzeitig hat EZB-Präsident Mario Draghi ein Wertpapierkaufprogramm beschlossen, das im Oktober 2014 mit dem Kauf von kreditbesicherten Wertpapieren (ABS / Asset Backed Securities) und sogenannten gedeckten Anleihen beginnen soll, jedoch in einen breit angelegten Aufkauf von Staatsanleihen und privaten Papieren münden könnte. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete ein offiziell bisher nicht bestätigtes Volumen von bis zu 500 Milliarden Euro. Das Programm soll nicht nur die Liquidität der Krisenländer stärken, sondern auch zur Wiederbelebung des ABS-Marktes führen. Ursprünglich waren ABS ein etabliertes Instrument zur Unternehmensfinanzierung, indem die Banken Risikokredite zu Paketen schnürten und diese in sicheren und spekulativen Tranchen an Investoren weiterverkauften. Durch spekulativen Missbrauch gelten die Papiere heute jedoch als einer der Hauptauslöser der letzten Krise. Draghi will sich vor allem auf die sicheren Tranchen dieser Kreditpapiere fokussieren.

Euro-Kursverluste und positive Reaktionen an der Börse

Die EZB folgt damit dem Beispiel der Fed sowie der Notenbanken Grossbritanniens und Japans, die nach der Krise ihre Volkswirtschaften mit vergleichbaren Massnahmen wieder in Bewegung brachten. Bereits auf der Jahreskonferenz der weltweit wichtigsten Notenbanker in Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming waren die Gefahr der Deflation und das sogenannte „Quantitative Easing“ ein grosses Thema, Draghi realisiert dieses Konzept jetzt erstmals in Europa. Unmittelbar nach der Zinsentscheidung fiel der Euro-Kurs auf 1,3037 US-Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit Juli letzten Jahres. Auch die Renditen der Anleihen von Euro-Staaten gaben nach. Die Börsen in Europa und den USA reagierten auf die EZB-Entscheidung positiv. In der Finanzwelt ist Draghis Schritt umstritten, die meisten Beobachter halten sein realwirtschaftliches Potenzial für limitiert.


Mario Draghi. (Bild: matthi / Shutterstock.com)
Mario Draghi. (Bild: matthi / Shutterstock.com)


Spielt Mario Draghi Psychospiele?

Nach der Ratssitzung betonte Draghi jedoch auch die Grenzen seiner Macht. Er allein oder die EZB könnten die Deflationsgefahr in der Euro-Zone nicht bannen. Vor allem müssten jetzt die Regierungen der europäischen Krisenländer dringend notwendige Reformen in die Wege leiten – wenn dies nicht geschehe, würden auch die neuen geldpolitischen Massnahmen der EZB nicht helfen. Das deutsche „manager magazin“ beschrieb diese Doppelstrategie als ein „Psychospiel“, da Deflation nur dann eintrete, wenn Unternehmen und Konsumenten an sinkende Preise glauben, deshalb Investitionen und Konsumausgaben verschieben und so die Konjunktur nach unten ziehen. Draghi muss also signalisieren, dass es keine Chance für sinkende Preise gibt und die Verbraucher besser das Gegenteil erwarten sollten. Trotzdem hat sich der EZB-Präsident im zweiten Schritt dafür entschieden, die Deflationsgefahr in aller Deutlichkeit zu thematisieren.

Schlechte Wirtschaftsaussichten für Europa

Die reale ökonomische Lage in Europa sieht alles andere als gut aus. Die Wirtschaft in der Euro-Zone hatte im zweiten Quartal 2014 keinerlei Wachstum zu verzeichnen. Auch die Aussichten bis zum Jahresende sind eher schlecht. Zudem könnte der Konflikt in der Ostukraine die wirtschaftliche Dramatik in den kommenden Monaten noch verschärfen. Die europäischen Banken halten sich mit Kreditvergaben stark zurück. Die Gründe dafür liegen nicht nur in hohen Ausfallrisiken, sondern auch in der für das Bestehen des EZB-Bankenstresstests erforderlichen Aufstockung ihrer Kapitalreserven. Gleichzeitig leiden mit Frankreich und Italien ausgerechnet zwei der grössten europäischen Volkswirtschaften unter Stagnation und einem nachhaltigen Reformstau. Kritisch ist ausserdem, dass die EZB angesichts der schon zuvor niedrigen Zinsen für mehr als eine symbolische Geldpolitik kaum noch Spielraum hat, das Anleihenkaufprogramm erscheint auch vor diesem Hintergrund als unverzichtbar.

Staffelübergabe zwischen der Fed und der EZB

Jörn Spillmann, Chef der Marktanalyse bei der Züricher Kantonalbank, gab der „Handelszeitung“ ein ausführliches Interview zur Geldpolitik der EZB. Er geht davon aus, dass die EZB angesichts der schlechten Wachstumsaussichten und der Deflationsgefahr zum Handeln gezwungen war. Die Entscheidung der EZB war insofern richtig – wichtiger als ihre realwirtschaftlichen Effekte sei jedoch ihre Symbolkraft. Draghis Botschaft laute letztlich, dass die EZB bereit sei, alles zu tun, um den negativen Preistrend umzukehren, ökonomische Wachstumsimpulse zu setzen und eine erneute Rezession zu verhindern. Spillmann sieht die Entscheidung für weitere Zinssenkungen und „Quantitative Easing“ jedoch auch als eine Staffelübergabe: Die US-amerikanische Notenbank Fed stoppt ihre geldpolitischen Lockerungen, stattdessen übernimmt die EZB und stellt sicher, dass die globalen Märkte auch weiterhin mit Geld geflutet werden. Auch die Liquidität der Banken in der Euro-Zone wird durch das neue EZB-Programm gefördert.

Euro-Wechselkurs zum Franken – vorerst noch nicht unter Druck

Für die Schweiz ist zunächst vor allem die Entwicklung des Euro-Kurses wichtig. Der Mindestwechselkurs von 1,20 Schweizer Franken ist ein Schutzschild der eidgenössischen Wirtschaft gegen Deflation. Spillmann meint, dass der Mindestwechselkurs zumindest kurzfristig nicht unter Druck geraten wird. Zum einen sei das Wertpapierkaufprogramm noch gar nicht angelaufen, zum anderen ist nicht sicher, wie es von den Banken aufgenommen wird. Insofern ist bisher nicht absehbar, ob die SNB irgendwann wegen des Wechselkurses intervenieren muss.

 

Oberstes Bild: © Rob Wilson – Shutterstock.com

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