Hören Sie wieder mehr auf Ihren inneren Schweinehund!

Schluss mit der Optimierung und Perfektionierung des eigenen Ich’s! Das fordern nicht nur viele erfahrene Therapeuten und Arbeitswissenschaftler. Dieser Gedanke ist auch im deutschen Fernsehen angekommen und ist hier bestimmender Teil einer jüngst ausgestrahlten Folge von „Ulrich protestiert“. Auch im Buchhandel finden wir längst nicht mehr nur die oberschlauen Ratgeber zur Selbstoptimierung, sondern auch solche, die sich von diesem irrwitzigen Gedankenmodell verabschieden.

Dennoch verfolgt uns der Zwang zur Selbstoptimierung fast täglich. Perfektionieren und optimieren sollen wir nicht nur die Arbeitszeit, die Arbeitsergebnisse, die Produkte und Leistungen, sondern möglich auch uns selbst. Mancher Chef fordert das ganz offen, andere eher hinter vorgehaltener Hand. Letztlich führt eine Selbstoptimierung aber dazu, dass sich Menschen zunehmend verstellen, bis hin zur Schizophrenie. Wenn das das Ziel optimierter Persönlichkeiten ist, dann bleibe ich lieber so unoptimiert, wie ich nun einmal bin, dafür nicht ohne meine ganz individuellen Fähigkeiten und eigenen Reize.

Menschen sind keine Maschinen und keine Prozesse

Prozessoptimierung erscheint vielen Managern als das Heilswort der modernen Zeit. Nichts und keine Minute soll ungenutzt verschenkt werden, Maschinen sollen perfekt arbeiten und auch die Belegschaft sollte sich dieser Optimierung unterwerfen. Letztlich ist jede Maschine nur so gut wie ihr Bedienpersonal und so wird es höchste Zeit, dass Arbeitnehmer möglichst genauso perfekt werden, wie die Maschinen, hinter denen sie stehen. Alles Quatsch, meinen da viele, die längst erkannt haben, dass Optimierung und Perfektionierung einen vollendeten Mangel an Schöpfertum und kreativer Auseinandersetzung bedeuten. Und damit haben sie letztlich Recht. Wer sich an Prozessen, Maschinen, Anlagen und den Wünschen der Vorgesetzten optimiert, wird immer einen Schritt hinter der Entwicklung zurückbleiben. Entwicklung ist immer von Widersprüchen und Mängeln angetrieben, die es beim optimierten Mitarbeiter aber wohl nicht mehr gibt.

Den inneren Schweinehund pflegen

„Ich bleib so scheisse, wie ich bin“, meint Rebecca Niazi-Shahabi in ihrem Taschenbuch und trifft damit gewissermassen den Nagel auf den Kopf. Die bewusste Abkehr von der Konformität der Anforderungen schafft Freiräume für persönliche Entwicklungen. Und merkwürdigerweise rufen doch alle Arbeitgeber nach den Arbeitnehmern mit Persönlichkeit und Individualität, auch wenn sie das in die unterschiedlichsten Floskeln pressen. Eine Optimierung der Persönlichkeit passt da eher in gleichgeschaltete Systeme, wie es letztlich vor allem Diktaturen sind.

Wollen wir uns jetzt also der Diktatur der Arbeit ergeben? Ich glaube nicht. Viel eher bin ich davon überzeugt, dass jeder auch seinen inneren Schweinehund ein gutes Stück mehr pflegen sollte. Immerhin gehören die eher nachteiligen Eigenschaften auch zu unserer Persönlichkeit und haben uns zu genau dem gemacht, was wir sind. Das trifft auch auf erfolgreiche Zeitgenossen zu. Warum also sollten gerade diese ihre kleinen und grossen Laster bekämpfen und letztlich zu einer optimiert uniformen Persönlichkeit werden?


Eine Aufgabe mal verschieben macht unser Leben bunter und reicher. (Bild: Rawpixel / Shutterstock.com)
Eine Aufgabe mal verschieben macht unser Leben bunter und reicher. (Bild: Rawpixel / Shutterstock.com)


Damit ginge uns ein Stück Vielfalt, Kreativität und bunten Andersseins verloren, von dem jede pluralistische Gesellschaft nur profitieren kann. Eine Aufgabe mal verschieben, am Wochenende oder anderen freien Tagen wider der Vernunft mal eine Stunde länger im Bett bleiben, immer wieder auch mal Dinge tun, die unvernünftig aber spannend sind – all das macht unser Leben bunter und reicher. Sicherlich könnten wir auch wie Maschinen täglich korrekt zur gleichen (frühen) Zeit aufstehen, in aller Perfektionierung und Regelmässigkeit unseren Tag gestalten und besonders auf der Arbeit keinerlei persönliche Regung oder gar Schwäche zulassen. Sollten wir aber nicht, weil wir auf diese Weise zu lebenden Maschinen degenerieren, die zu wahrem Schöpfertum, echten Emotionen und den kleinen liebsamen Schwächen gar nicht mehr in der Lage sind. In der Folge unterdrücken wir alles, was unsere Natur bestimmt und werden so zum willfährigen Instrument von Produktivität und Perfektionierung.

Freie Entfaltung nicht nur für Kinder

Sprechen wir von der Erziehung unseres Nachwuchses, dann reden wir ständig von Vielfalt, freier Persönlichkeitsentwicklung, starken Persönlichkeiten und einer wohltuenden Vielstimmigkeit im Chor des Andersseins. Erst dann, wenn wir uns selbst auf die Arbeit begeben, hört diese freie Entwicklung und Vielfalt plötzlich auf. Hier sollen wir funktionieren und gar nicht mehr so selbstbestimmt sein. Ein Widerspruch, der nicht nur zu denken gibt, sondern regelrecht lächerlich und menschenverachtend erscheint.

Warum sollten wir den Nachwuchs pluralistisch erziehen, wenn er dann doch in einer nach Perfektion strebenden Wirtschaftswelt zum Abklatsch optimierter Persönlichkeiten werden soll? Gestatten wir uns selbst, unseren Kindern und auch unseren Mitarbeitern doch viel mehr von ihrem persönlichen Anderssein und dem inneren Schweinehund. So bleibt Raum für wahre persönliche Entwicklung, die zwar im Kontext von Arbeit und Produktivität manchmal unbequem erscheinen mag, letztlich aber doch die höchste Kreativität entwickeln kann.

Was uns anzieht

Beobachten Sie sich selbst! Was gefällt Ihnen im Fernsehen am besten? Die einheitlich notorischen Ja-Sager und scheinbaren Perfektionisten oder vielleicht doch die Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten und ganz persönlichen Lebensläufen? So wie Sie hier Ihre Entscheidung treffen, dürfen Sie auch die Entscheidung für Ihre eigene Persönlichkeit treffen. Mit innerem Schweinehund, nicht ganz so perfekten, aber immer wieder individuellen Eigenschaften, Stärken und Schwächen.

 

Oberstes Bild: © lassedesignen – Shutterstock.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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