Swiss Economic Forum: Ist der Euro noch zu retten?

Der Termin des Swiss Economic Forum in Interlaken fällt in diesem Jahr mit einer wichtigen finanzpolitischen Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) zusammen. Dass die EZB die Wirtschaft der Krisenländer in der Euro-Zone durch ihre Anleihen-Politik und vor allem durch minimale Zinsen in Bewegung bringen will, ist keine neue Nachricht; Gleiches gilt für die Warnungen vor einer Deflation in der Europäischen Union.

In der vergangenen Woche wurde nun eine lange debattierte Grenze überschritten: Der Einlagenzins der EZB wurde von 0 auf –0,10 % gesenkt. Für das Parken ihrer Gelder bei der EZB bezahlen die Geschäftsbanken damit de facto einen Strafzins. Angesichts der extrem niedrigen Inflationsrate in der Euro-Zone wurden auch die Zinssätze für EZB-Kredite nochmals abgesenkt.

In Interlaken sprach der deutsche Volkswirtschaftsprofessor und Chef des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung Clemens Fuest mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ über die Perspektiven der europäischen Gemeinschaftswährung. Die aktuelle Geldpolitik der EZB betrachtet er als kontraproduktiv. Stattdessen fordert er ein Insolvenzverfahren für Staaten sowie marktgerechte Risikoprämien.

Clemens Fuest: Euro-Kritik versus Euro-Rettung

In seiner Dissertation hatte der heute 45-jährige Fuest scharfe Kritik an der europäischen Währungsunion geübt. Seine Kernthese lautete seinerzeit, dass das Prinzip des Nichtbeistands (no bail-out) im Krisenfall nicht funktionieren werde. Bei drohender Insolvenz eines Euro-Landes sei die Angst der anderen Mitgliedsstaaten vor einer Instabilität der gesamten Euro-Zone so gross, dass sie das Krisenland auch wider besseres Wissen unterstützen würden. Genau dieses Szenario ist inzwischen eingetreten. Trotzdem gehört Fuest heute zum Kreis der Wirtschafts- und Finanzexperten, die nachdrücklich dafür eintreten, am Euro und damit der bestehenden Form der europäischen Währungsunion festzuhalten.

Auflösung der Währungsunion oder Einzel-Austritte sind zu teuer

Fuest ist davon überzeugt, dass der Austritt einzelner Staaten aus der Währungsunion oder deren Auflösung zu untragbar hohen Kosten führen würde – das Nachdenken über eine funktionierende europäische Währung lohnt sich also. Allerdings müssten aus seiner Sicht die Preise und Arbeitsmärkte in der Euro-Zone viel flexibler werden. Zwar haben vor allem in den Krisenländern entsprechende Anpassungen bereits stattgefunden, gehen bisher jedoch nicht weit genug. Beispielsweise sind laut Fuest die Arbeitskosten in Italien auch heute viel zu hoch, demgegenüber zeige das Beispiel Irland eindrucksvoll, welche Wege zu einer nachhaltigen Konsolidierung führen könnten.



„Unglaublich hoher“ Handlungsdruck

Den aktuellen Handlungsdruck hält Fuest für „unglaublich hoch“. Entsprechende Reformen müssten in den Krisenländern jedoch sowohl von der Politik als auch von der Bevölkerung mitgetragen werden. Wenn Europa sein ökonomisches Gewicht behalten wolle, sei die Stabilisierung der Euro-Zone durch eine weitere Konsolidierung der nationalen Staatshaushalte unverzichtbar. Der Experte warnt, dass, falls es den betroffenen Ländern nicht gelinge, durch eine Reduktion der Staatsverschuldung wieder Handlungsspielraum zu gewinnen, die nächste Krise noch viel härter werden dürfte. Für eine solche Konsolidierung setzt er einen Fünf-Jahres-Zeitraum an, in dem die Krisenländer mit keinem nennenswerten Wirtschaftswachstum rechnen könnten und rigorose Sparprogramme realisieren müssten.

Möglichkeit der Staatsinsolvenz statt Vergemeinschaftung nationaler Schulden

Zum anderen wendet sich Fuest sehr deutlich gegen die Vergemeinschaftung der Schulden zwischen den Mitgliedsstaaten der Euro-Zone. Die derzeitige Praxis hält er für „völlig undemokratisch und illegitim“. Für die Rettung des Euro fordert er eine konsequente Rückkehr zum Prinzip des Nichtbeistands. Im Gegenzug müsse es ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten geben, die in diesem Fall freiwillig oder erzwungen eine Umschuldung auf Kosten ihrer Gläubiger in die Wege leiten könnten.


Risiko-Check für Staatsanleihen. (Bild: Stuart Miles / Shutterstock.com)
Risiko-Check für Staatsanleihen. (Bild: Stuart Miles / Shutterstock.com)


Risiko-Check für Staatsanleihen

Auch den Euro-Rettungsschirm unterzieht Fuest in diesem Kontext einer kritischen Betrachtung. Derzeit ist jener de facto für einen unbegrenzten Zeitraum konzipiert. Fuests Vorschlag ist, das Programm auf maximal drei Jahre zu begrenzen, Verlängerungen auszuschliessen und danach notfalls eine Umschuldung in Gang zu bringen. Die Stabilisierungskräfte in den Krisenländern müssten aus den Märkten selber kommen. Dazu sei allerdings notwendig, auch die Anleihen-Politik der Staaten und Banken zu überdenken. Auch Staatsanleihen müssten dafür künftig einen Risiko-Check bestehen und demzufolge mit Eigenkapital unterlegt sein.

Banken, die zu gross sind, um sie im Ernstfall fallenzulassen, dürften nicht mehr beliebig viele Anleihen des jeweiligen Landes als vermeintlich sichere Geldanlage halten. Ausserdem müssten für Anleihen neue, langfristig orientierte Sicherheitsmodelle entwickelt werden – durch Institutionen, welche sowohl die Finanzierung übernehmen als auch Verluste kompensieren können und dafür mit risikoadäquaten Prämien entschädigt werden.

Abschwächung des Reformdrucks und Gefahr neuer Blasen durch die Politik der EZB

Derzeit werden die Renditen der Anleihen hoch verschuldeter Staaten von der EZB absichtlich tief gehalten. Trotz allem Verständnis für die Politik der EZB, durch das Abfedern von Härten Reformen zu erleichtern, übt Fuest auch in diesem Punkt Kritik. Das EZB-Programm zum bedingten Ankauf der Staatsanleihen aus den Krisenländern verringere spürbar den Druck und damit auch die Reformwilligkeit der betroffenen Länder. Gleiches gelte für den neuen Negativ-Zins der EZB, da Kredite damit zu billig würden und Brüssel im Extremfall sogar die Weichen für eine weitere Verschuldung stelle. Wahrscheinlich führe das billige Geld am ehesten zu einem Anstieg der Vermögenspreise, also der Kaufpreise für Immobilien oder Finanzaktiva, und damit perspektivisch beispielsweise zu einer neuen Überhitzung des Immobilienmarktes.

 

Oberstes Bild: © designelements – Shutterstock.com

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