Führt ein Mindestlohn zur Jobvernichtung?

Ein starker Mittelstand und moderate Einkommensunterschiede für die breite Masse gelten als Garanten für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Stabilität. Aus Sicht von Wirtschaftswissenschaftlern werden diese Kriterien vor allen von der Schweiz, Österreich, Deutschland sowie den skandinavischen Ländern gut erfüllt.

Auch die diversen Mindestlohn-Debatten zielen in die gleiche Richtung – in den Augen ihrer Befürworter sollen Lohnuntergrenzen die Mitte der Gesellschaft an ihren unteren Rändern stärken und dafür sorgen, dass Arbeitnehmer von ihrem Einkommen auch zuverlässig leben können. Die Frage ist jedoch, welche Wirkung sie auf den Arbeitsmarkt als Ganzes haben.

Ob der Mindestlohn auch in der Schweiz kommt, wird sich frühestens in der Jahresmitte entscheiden. In Deutschland war er eine der Grundvoraussetzungen der neuen Regierungskoalition und wird bis 2017 flächendeckend eingeführt. Unumstritten ist er in der deutschen Wirtschaft nicht – Arbeitgeber und Verbände diskutieren derzeit, ob und welche Arbeitnehmergruppen davon ausgeschlossen werden sollten.

Der prominente deutsche „Wirtschaftsweise“ Christoph Schmidt äusserte jetzt die Befürchtung, dass durch den Mindestlohn hunderttausende Arbeitsplätze verschwinden könnten. US-amerikanische Ökonomen kommen in zwei Studien zum gleichen Schluss – ihr zentrales Argument zielt auf das Fehlen von Prognosen, wie viele Arbeitsplätze ohne einen Mindestlohn geschaffen würden.

Mindestlohn – bei Wirtschaftswissenschaftlern seit jeher umstritten

Lange Zeit hatten die Wirtschaftswissenschaftler im Hinblick auf Sinn und Unsinn eines Mindestlohnes nur eine Antwort: Der Arbeitsmarkt wird nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage reguliert. Üblicherweise resultiert daraus ein Gleichgewichtslohn, was einem Mindestlohn grundsätzlich entgegensteht. Entweder ist er niedriger als der Gleichgewichtslohn und schadet in dieser Variante nicht. Ist er höher als das Gleichgewicht, hat er Arbeitslosigkeit zur Folge. Diese Auffassung wurde später um eine gegenteilige Theorie ergänzt: Wenn ein Unternehmen eine regionale Monopolstellung besitzt, kann es die Löhne sehr weit drücken – ein Mindestlohn kann hier Grenzen setzen.


Wirkung eines hohen Mindestlohns auf Arbeitsangebot und –nachfrage (Bild: Marlus Gancher, Wikimedia)


In den 1990er Jahren haben die US-amerikanischen Forscher David Card und Alan Krüger diese Szenarien getestet. Sie glichen die Arbeitsplatzentwicklung in Fast-Food-Restaurants an den Grenzen verschiedener amerikanischer Bundesstaaten mit der Entwicklung der Mindestlöhne ab. Ihr Fazit: Wenn der Mindestlohn in einem Bundesstaat angehoben wurde, hatte dies keinen Abbau von Jobs zur Folge.

Ihre Untersuchung zog eine internationale Debatte nach sich, in der sich bislang kein Konsens finden liess. Das Machtwort in dieser Frage wurde bisher jeweils nicht durch die Ökonomie, sondern – wie jetzt in Deutschland – durch die Politik gesprochen. Dabei spielt durchaus eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle – Globalisierungseinflüsse, die Praxis vieler Unternehmen, bestehende Tarifverträge zu unterlaufen, aber auch die Tatsache, dass mögliche Schäden durch einen Mindestlohn niemals eindeutig bewiesen wurden.

Neue Studie aus den USA: Mindestlohn schwächt das Arbeitsplatzwachstum ab

Eine neue Studie aus den USA könnte zumindest aus wissenschaftlicher Sicht Ordnung in dieses Chaos bringen. Die texanischen Volkswirtschaftler Jonathan Meer und Jeremy West sind die Frage von einer völlig anderen Seite angegangen. Ihr Ausgangspunkt bestand darin, dass sich alle bisherigen Untersuchungen zum Thema darauf fokussierten, ob und wie sich der jeweilige Arbeitsmarkt nach der Einführung eines Mindestlohns verändert hatte – mit der vorherigen Situation hatte sich dagegen kaum jemand beschäftigt.

Meer und West formulierten ihre These anders: Was passiert, wenn der Mindestlohn einen starken Arbeitsplatz-Zuwachs stoppt und der Arbeitsmarkt in bestimmten Bereichen stagniert oder nur noch mässig wächst? Vordergründig gehen dabei zunächst keine Arbeitsplätze verloren, Schäden werden damit trotzdem angerichtet. Die Erfahrung zeigt, dass Staaten sich vor allem dann dafür entscheiden, Mindestlöhne einzuführen oder zu erhöhen, wenn es ihnen wirtschaftlich gut geht und die bestehenden Arbeitsplätze relativ sicher sind.

Anders gesagt: Voraussetzung für den Mindestlohn ist meist ein hohes Arbeitsplatzwachstum. Für die USA weisen die beiden Wissenschaftler nach, dass nach der Einführung von Mindestlöhnen Arbeitnehmer nur selten direkt entlassen werden. Neue oder wachsende Unternehmen haben es jedoch viel schwerer, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Hieraus ergibt sich ein dauerhaftes Defizit an neuen Arbeitsplätzen, das umso grösser wird, je länger die Lohnuntergrenze in Kraft ist. Die Studie von Meer und West hat seit ihrer Veröffentlichung im Sommer 2013 in den USA eine heftige Debatte ausgelöst. Im vergangenen Dezember haben die beiden Wissenschaftler eine überarbeitete Fassung vorgelegt und damit auf Fehler-Vorwürfe ihrer Kritiker reagiert – an den Ergebnissen hat sich hierdurch nichts geändert.

Mindestlohn macht es Tieflohnbeziehern schwerer, einen Job zu finden

Deutschland könnte sich in den nächsten Jahren als exemplarisch für die Ergebnisse dieser Studie erweisen. Der deutsche Arbeitsmarkt zeigt seit längerem einen positiven Trend, wodurch Fragen der Lohnhöhe fast zwangsläufig in den Fokus rücken. Falls der Mindestlohn künftig das Entstehen neuer Arbeitsplätze behindert, könnte er nicht nur Grenzen für das aktuelle Wirtschaftswachstum definieren, sondern auch dafür sorgen, dass es für Arbeitnehmer am unteren Ende der Lohnskala schwerer wird, überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden.

Für die Schweiz würde sich diese Frage – falls der Mindestlohn denn auch hierzulande kommt – im Vergleich zu Deutschland in nochmals verstärktem Masse stellen. Der deutsche Mindestlohn wurde mit 8,50 Euro – etwas mehr als zehn Franken pro Arbeitsstunde – festgelegt. Für die Schweiz ist derzeit eine Lohnuntergrenze von 22 Franken im Gespräch. Hotellerie und Gastgewerbe als eine Branche, in der viele Tieflöhner beschäftigt sind, haben bereits signalisiert, dass dies viele Betriebe an ihre wirtschaftlichen Grenzen bringen würde: Der Mindestlohn läge um rund ein Viertel höher als der Lohn, den der Gesamtarbeitsvertrag der Branche bisher für Mitarbeiter ohne Berufsausbildung vorsieht.

 

Oberstes Bild: Mindestlohn – seit sehr umstritten (Bild: © Coloures-Pic – Fotolia.com)

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