Pensionskassen: Die berufliche Altersvorsorge hat Probleme

Das Altersvorsorgesystem der Schweiz bekommt im internationalen Vergleich regelmässig exzellente Noten.

Seine drei Säulen aus obligatorischer Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), beruflicher Altersvorsorge (BAV) sowie privater Vorsorge haben sich in den vergangenen Jahren als Erfolgsmodell erwiesen. Eine „nicht politische“ Reform ist trotzdem überfällig.

Auf den ersten Blick sind die Politiker dabei, das Thema anzugehen. Eine Rentenreform ist in der Schweiz seit Ende 2013 nicht nur in der gesellschaftlichen, sondern auch in der parlamentarischen Diskussion. Federführend dabei war SP-Bundesrat Alain Berset. Ab 2020 soll die Altersversorgung der Schweizer auf reformierten und vor allem sicheren Füssen stehen.

Die Kritik an dem Reformwerk ist seitdem nicht abgerissen. Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Frauen und auch die jüngeren Generationen insgesamt sind unzufrieden. Ein aktueller Artikel in der „NZZ“ wirft jetzt weitere Fragen auf. Demnach verändert die berufliche Altersvorsorge als zweite Säule des Systems „schleichend ihr Gesicht“.

Wenig optimistischer Ausblick für die Pensionskassen

Verantwortlich für die Probleme der Pensionskassen sind die Lage am Finanzmarkt, die jüngsten finanzpolitischen Entscheidungen der Schweizerischen Nationalbank (SNB), aber auch Umverteilungsprozesse innerhalb der Pensionskassen, die damit sicherstellen wollen, dass sie leistungsfähig bleiben. Das Gesamtbild stimmt wenig optimistisch: Die Pensionskassen leiden unter der „Renditenkrise“ auf dem Kapitalmarkt sowie systemfremden Einflüssen, die das Prinzip der kapitalfinanzierten Basis der beruflichen Altersvorsorge insgesamt infrage stellen. Hinzu kommt ein manifester Konsolidierungsprozess bei den Kassen.

Renditeträchtige Anlagemodelle sind rar und risikobehaftet

Auf den ersten Blick hatten die beruflichen Vorsorgeeinrichtungen bisher nur wenig Grund zur Klage. Anders als die AHV, die auf dem Umlageverfahren basiert und in absehbarer Zeit mit einem Milliarden-Defizit zu kämpfen haben wird, konnten die öffentlichen und privatrechtlichen Pensionskassen in den letzten Jahren mit Überschüssen kalkulieren. Ende 2014 lag ihr Deckungsgrad bei durchschnittlich 114 % – ihre Vorsorgevermögen lagen also deutlich über den ausgezahlten Renten.

In der beruflichen Altersversorgung befindet sich derzeit ein Gesamtvermögen von rund 800 Milliarden Franken. Davon sind rund 280 Milliarden in Obligationen angelegt, zwei weitere grosse Posten sind Aktien und Immobilien mit 250 respektive 150 Milliarden. Daneben gibt es die sogenannten alternativen Anlagen im Umfang von 50 Milliarden Franken sowie Barmittel in Höhe von 60 Milliarden. Im vergangenen Jahr sind die Anlagevermögen im Schnitt zwischen 5 und 8 % gewachsen.

Damit dürfte es auf absehbare Zeit vorbei sein; Experten erwarten auf dem Anleihenmarkt mindestens mittelfristig nur niedrige Renditen. Bei Aktien und noch stärker bei den alternativen Anlagen (z. B. Hedgefonds oder ausserbörsliche Beteiligungen) drohen hohe Risiken. Das Giro-Vermögen der Pensionskassen wird durch den Negativzins der SNB belastet. Laut Modellrechnungen der Nationalbank belaufen sich die hierdurch erwirtschafteten Verluste auf mindestens 400 Millionen Franken jährlich. Einige Pensionskassen denken bereits darüber nach, stattdessen höhere Bargeldbestände anzulegen. Die Geldpolitik der SNB und auch der internationalen Notenbanken könnte sich für die berufliche Altersvorsorge über Jahre hinweg als Gefahr erweisen.

Politisch definierte Mindestumwandlungssätze tragen das Umlageverfahren in die BAV

Die Kernelemente der geplanten Rentenreform bestehen in der Erhöhung des Pensionsalters für Frauen auf 65 Jahre, der Einführung eines flexiblen Rückzugs aus dem Arbeitsleben im Alter zwischen 62 und 70 Jahren, der Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes, um die AHV zu finanzieren, sowie der Absenkung des BAV-Mindestumwandlungssatzes von heute 6,8 auf 6,0 %. Der Mindestumwandlungssatz bezeichnet den Prozentsatz angesparten Vorsorgekapitals der Kassen, der den Pensionären jährlich ausbezahlt wird. Er betrifft jeweils die neuen Renten, als Berechnungsgrundlage dient vor allem die Lebenserwartung der jeweiligen Rentnergeneration.


Verantwortlich für die Probleme der Pensionskassen ist unteranderem die Lage am Finanzmarkt. (Bild: © PaTrixs – fotolia.com)

Die Absenkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6,0 %, wie sie der aktuelle Reformvorschlag vorsieht, wird von Experten schon heute als nicht ausreichend erachtet. Der Grund liegt laut „NZZ“-Autor Michael Ferber in der politischen Definition eines eigentlich rein technischen Parameters. Der bisherige Umwandlungsfaktor von 6,8 % ist eindeutig zu hoch, hierdurch wird die Umverteilung von aktiven Erwerbstätigen zu den Pensionären immer grösser. Das Versicherungsunternehmen Axa Winterthur schätzt das Ausmass dieser Umverteilung auf jährlich 3,5 Milliarden Franken oder 1000 Franken pro versicherter Person.

Zur Kompensation nehmen jene Kassen, die ihren Versicherten optional auch überobligatorische Leistungen bieten, eine weitere interne Umverteilung vor, indem sie im überobligatorischen Bereich die Umwandlungssätze sehr niedrig definieren. Gesetzlich ist diese Praxis abgesichert, da die Pensionskassen die Umwandlungssätze für überobligatorische Leistungen selber definieren dürfen. Für besser verdienende Versicherte ist sie jedoch fatal, da sie mit Abschlägen auf ihre eigene Altersversorgung die Pensionen von Versicherten mit kleineren Einkommen finanzieren. De facto hält durch die beiden Umverteilungen das Umlageverfahren aus der AHV auch in die berufliche Altersvorsorge Einzug. Dementsprechend wirkt sich auch in der BAV der demografische Wandel immer stärker aus. Gleichzeitig wird die Kapitaldeckung als ihre eigentliche Basis immer stärker ausgehöhlt.

Konsolidierungsprozesse bei den Kassen – droht die „Rentner-Blase“?

Auf die staatlichen Regulierungen und die schrumpfenden Renditen ihrer Sparvermögen reagieren die Pensionskassen in der Schweiz mit einem Konsolidierungsprozess, der im Übrigen schon während der Finanz- und Wirtschaftskrise begonnen hat. Ende 2013 waren in der Eidgenossenschaft noch 1957 berufliche Vorsorgeeinrichtungen registriert – rund 700 weniger als im Jahr 2006. Der Abwärtstrend dürfte sich in den kommenden Jahren noch verstärken, da der Druck auf die Kapitalreserven der Kassen – und damit die Angst vor nötigen Sanierungen – stetig grösser wird. Zudem ziehen sich immer mehr Arbeitgeber aus einem aktiven Management der beruflichen Altersvorsorge ganz zurück und lassen die Vorsorgevermögen für ihre Angestellten von Gemeinschaftseinrichtungen verwalten. Hierdurch kommen zum Teil auch Problemfälle ans Licht – besonders „rentnerlastige“ Kassen werden laut „NZZ“ von den Sammeleinrichtungen gar nicht mehr aufgenommen. Zu sanieren sind solche Kassen im Falle einer Unterdeckung kaum, was auch politischen Sprengstoff in sich birgt. Beobachter sprechen in diesem Zusammenhang bereits von einer – zahlenmässig allerdings nur schwer zu schätzenden – nicht ausfinanzierten „Rentner-Blase“.

„Entpolitisierung der technischen Parameter“ gegen den Reformstau

Ferber plädiert vor diesem Hintergrund für eine „nicht politische“ Rentenreform respektive die „Entpolitisierung der technischen Parameter“, um unerwünschte Umverteilungsprozesse wirksam zu beenden. Neben der Erhöhung des Rentenalters und der Überprüfung des „Regulierungsdickichts“ für die berufliche Altersvorsorge sieht er auch Handlungsbedarf im Hinblick auf die BVG-Mindestverzinsung von aktuell 1,75 % – eine Absenkung wäre aus seiner Sicht zumindest ein positives politisches Zeichen. Alain Bersets Reformvorschlag ziele durch die parallele Bearbeitung von AHV und BAV zwar auf einen grossen Wurf, sei jedoch nicht darauf ausgelegt, den Reformstau im Schweizer Altersvorsorgesystem aufzulösen, da die bisherige Rentenhöhe um jeden Preis erhalten werden soll. Umverteilungen auf Kosten der erwerbstätigen Versicherten sind daher auch in diesem Modell unvermeidlich.



Wäre eine generelle Erhöhung des Rentenalters mehrheitsfähig?

Der Chef des Bundesamts für Sozialversicherungen, Jürg Brechbühl, gab schon Ende letzten Jahres zu bedenken, dass der aktuelle Vorschlag bereits in den 2030er-Jahren eine neue Reformvorlage erfordere. Brechbühl hält die generelle Erhöhung des Rentenalters – für Frauen und für Männer – auf 66 oder 67 Jahre für die nachhaltigste strukturelle Massnahme, um die Altersvorsorge in der Schweiz langfristig zu sichern. Genau dieser Punkt ist für das Wahlvolk – und damit für die Politik – jedoch extrem sensibel, was den Weg zu einer langfristig tragfähigen Rentenlösung bis auf Weiteres nicht leichter macht.

 

Oberstes Bild: © bikeriderlondon – shutterstock.com

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