Preisverfall für Erdöl: Verdrängungswettbewerb und Investitionsblockade

Der Preis für Rohöl ist in der zweiten Jahreshälfte 2014 um knapp 50 Prozent gefallen. Eine Studie des Hamburger Forschungsbüros Energycomment warnt jetzt vor einem Investitionsstau und einer globalen Ölpreiskrise, die mittelfristig die Verbraucher stark belasten könnte.

Die Studienergebnisse decken sich mit einer Analyse der US-amerikanischen Investmentbank Goldmann Sachs, die bereits Ende letzten Jahres zum Ergebnis kam, dass die Preisentwicklung auf dem Ölmarkt eine Investitionskrise zur Folge haben wird. Ende April 2014 lag der Ölpreis bei einem Wert von knapp 109 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) Rohöl, seit Anfang Juli letzten Jahres befindet er sich im freien Fall und hat sich derzeit deutlich unter der 60-Dollar-Marke eingepegelt. Die Goldmann-Sachs-Analysten rechnen vor, dass bereits ein Preisniveau von etwa 70 Dollar dazu führen würde, dass Investitionsprojekte von einem knappen Viertel des aktuellen weltweiten Bedarfs eingefroren werden.

Verdrängungswettbewerb auf dem Ölmarkt gefährdet die Zukunftsfähigkeit der Branche

Die Energycomment-Studie kommt jetzt zu dem Schluss, dass der Verfall des Ölpreises die Marktgesetze für die Branche möglicherweise dauerhaft verändert hat. Gefährdet sind nicht nur Projekte im Umfeld der laufenden Förderung, sondern vor allem die Erschliessung neuer Rohölquellen – beispielsweise in der Antarktis, in der brasilianischen Tiefsee oder in Kanada. Auch für die Entwicklung biologischer oder synthetischer Kraftstoffe könnten der globalen Energiewirtschaft in absehbarer Zeit die Mittel fehlen. Steffen Bukold, Chef von Energycomment und Autor des zweibändigen Kompendiums „Öl im 21. Jahrhundert“, konstatiert, dass der Preisverfall für Öl anders als in früheren Jahrzehnten seine Ursache nicht in Wirtschaftskrisen hat, sondern durch einen Verdrängungswettbewerb entstanden ist. Dieser könnte im kommenden Jahrzehnt zu einer Gefahr für die Zukunftsfähigkeit der Branche werden.

Saudi-Arabien ändert die Öl-Politik der OPEC

Die Erdölförderung in den USA ist in jüngster Zeit stark angestiegen. Auf solche „Spitzen“ hat die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) in der Vergangenheit durch eine Kürzung der Fördermengen reagiert, um ein Überangebot und damit einen Preisverfall so weit wie möglich zu verhindern. Aus Sicht von Bukold dürfte sich die Öl-Politik der OPEC inzwischen jedoch grundsätzlich verändert haben. Die Ursachen dafür liegen vor allem im Vorgehen Saudi-Arabiens – der bisher mit Abstand grössten Fördernation innerhalb der OPEC – die ihren Einfluss auf den Ölpreis neuerdings auch dazu nutzt, um Marktanteile zu gewinnen und Wettbewerber auszuschalten.

De facto setzt Saudi-Arabien einen Wirtschaftskrieg in Gang

Die saudische Regierung reagiert damit auf veränderte Konkurrenzlinien im Ölgeschäft. Im Herbst 2014 wurde in den USA erstmals seit 25 Jahren mehr Öl gefördert als in Saudi-Arabien. Verantwortlich dafür war unter anderem der über lange Jahre ausgesprochen hohe Ölpreis, der dafür sorgte, dass Investitionen in neue Fördertechnologien für die US-amerikanischen Energiekonzerne profitabel wurden. Durch diese Entwicklung sind die USA heute weltweit führend bei der Förderung von Schiefergas durch das – aus ökologischen Gründen allerdings umstrittene – Fracking. Die US-amerikanische Konkurrenz stellt sowohl den Reichtum als auch die geopolitische Bedeutung Saudi-Arabiens langfristig in Frage. Auf die Entwicklung des Ölpreises seit Mitte letzten Jahres reagierte Saudi-Arabien auf geradezu demonstrative Weise nicht – der saudische Verzicht auf eine Drosselung der eigenen Förderung ist der entscheidende Faktor für den Preisverfall. De facto hat Saudi-Arabien damit einen Wirtschaftskrieg um die Kontrolle des Ölpreises in Gang gebracht, der sich nochmals verschärfen dürfte, falls die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran – immerhin der fünftgrösste Erdölproduzent der Welt – demnächst fallen sollten.


Saudi-Arabien nutzt seinen Einfluss auf den Ölpreis dazu, um Marktanteile zu gewinnen und Wettbewerber auszuschalten. (Bild: anekoho / Shutterstock.com)

Billige Ölproduktion als strategischer Vorteil für die Saudis

Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten geniessen bis auf weiteres einen strategischen Vorteil: Ihre Erdölförderung rechnet sich bisher auch bei niedrigen Weltmarktpreisen. Experten haben ausgerechnet, dass die Kosten für die Produktion eines Fasses Öl in Saudi-Arabien bei rund fünf Dollar liegen, zudem verfügt das saudische Königshaus mit einem geschätzten Vermögen von 750 Milliarden Dollar über immense Geldreserven. Die Erdölproduzenten der USA haben dagegen auf moderne und entsprechend kostspielige Technologien gesetzt, zudem werden entsprechende Investitionen überwiegend durch Kredite finanziert. In der US-amerikanischen Ölwirtschaft zeitigt das saudische Vorgehen bereits Folgen. In der zweiten Jahreshälfte 2014 ist die Zahl der Neubohrungen bereits gesunken, diverse Ölfirmen haben ihre Investitionen in Exploration und Förderung zurückgefahren oder haben sogar mit einer drohenden Insolvenz zu kämpfen. Marktbeobachter prognostizieren, dass ab der Jahresmitte die US-amerikanischen Fördermengen sinken dürften. In den USA haben die positiven Konjunktureffekte der günstigen einheimischen Öl- und Erdgasförderung die negativen Auswirkungen der saudischen Strategien bisher allerdings bei weitem überstiegen. Deutlich bedrohlicher ist der Preisverfall für fossile Energien für Russland und viele Schwellen- und Entwicklungsländer, die ihre Staatsausgaben auf einen hohen Ölpreis ausgerichtet haben und jetzt auch deshalb mit wirtschaftlichen Krisen konfrontiert sind.

Allein in 2015 – Gewinneinbussen von bis zu 1.000 Milliarden Dollar

Ob sich die Ölkonzerne der USA und anderer wirtschaftlich starker Ölnationen langfristig gegen den neuen Trend behaupten können, ist jedoch noch längst nicht ausgemacht. Sowohl bei Goldmann Sachs als auch in der Energycomment-Studie heisst es, dass die Gewinne aus dem globalen Ölgeschäft allein im laufenden Jahr um bis zu 1.000 Milliarden US-Dollar schrumpfen werden, wenn sich der Ölpreis nicht in sehr absehbarer Zeit erholt. Das Klima für weitere Investitionen in der Branche gestaltet sich damit äusserst negativ. Neben einem manifesten Kapitalmangel wirkt sich hier auch die Verunsicherung der Investoren aus, die sich nicht mehr auf einen über Jahrzehnte gültigen Marktmechanismus verlassen können, nach dem Ölpreise zwar steigen, aber nicht auf Dauer fallen konnten. Bukold beschreibt beide Faktoren als die grösste strukturelle Veränderung auf dem Ölmarkt seit den 1980er Jahren – langfristige und kapitalintensive Projekte dürften in der Branche bis auf weiteres daher wenig bis keine Chancen haben. Bei Goldmann Sachs ist in diesem Zusammenhang davon die Rede, dass auch aus bereits geplanten Entwicklungsvorhaben heute „Zombie-Projekte“ werden.



Fehlende Investitionen führen zu Deckungslücken und Ölpreis-Explosion

Fatal ist in diesem Kontext, dass die globale Nachfrage nach Erdöl ungebrochen ist. Nach Berechnungen von Goldmann Sachs wird sie von heute etwa 90 Millionen Barrel pro Tag auf etwas mehr als 103 Millionen Barrel im Jahr 2015 steigen. Aufgrund der fehlenden Investitionen rechnet die Bank spätestens dann mit einer Deckungslücke von bis zu 7,5 Millionen Barrel täglich – auch ein weitaus geringeres Minus dürfte den Ölpreis jedoch in bedenkliche Höhen treiben. Die Zeche dafür müssten die Verbraucher – die Industrie ebenso wie die Privathaushalte – zahlen. Sicher ist: Trotz der derzeit kritischen Situationen wird die Branche sich mittelfristig gut erholen. Für eine wirtschaftlich erfolgreiche Entwicklung von Ländern, die fossile Energieträger auf dem Weltmarkt kaufen müssen, gewinnt die Energiewende hin zu nicht fossilen, regenerativen Energien dagegen immer stärker an Bedeutung.

 

Oberstes Bild: © Kostsov / Shutterstock.com

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