Flüchtlinge und der Schweizer Arbeitsmarkt – ein gespanntes Verhältnis

Flüchtlinge spielen in der Arbeitsmarktpolitik der Schweiz spielen bisher nur eine Nebenrolle. Zu viele Hindernisse verhindern eine grössere Beschäftigungsquote. Nun versuchen Bund und Kantone, Hürden für die Beschäftigung von Migranten abzubauen.

Die Erwerbstätigkeit von Flüchtlingen in der Schweiz ist unbefriedigend und wurde im vergangenen Jahr auch durch die OECD bemängelt. In seinen quartalsweisen Bestandsmessungen meldet das Bundesamt für Migration mehr oder weniger konstante Erwerbsquoten von 20 Prozent bei anerkannten Flüchtlingen und 30 Prozent bei den vorläufig Aufgenommenen (jeweils in den ersten fünf respektive sieben Jahren nach dem Entscheid über ihren Flüchtlingsstatus). Eine vom Bundesamt für Migration beauftragte Studie aus dem vergangenen Jahr weist aus, dass knapp 50 Prozent aller anerkannten Flüchtlinge auch zehn Jahre nach ihrer Einreise in die Schweiz keine Beschäftigung gefunden haben, bei den vorläufig Aufgenommenen sind es sogar 75 Prozent.

Zwar haben Flüchtlinge drei Monate nach ihrer Einreise das Recht, eine Arbeit aufzunehmen, jedoch meist immense Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden. Um sie zu beschäftigen, müssen Arbeitgeber ein spezielles Gesuch an die Behörden richten – und schrecken oft davor zurück. Vor der Anerkennung als Flüchtling oder vorläufig Aufzunehmender ist die Anstellung Asylsuchender grundsätzlich nur erlaubt, wenn es nicht möglich ist, die Stelle mit Schweizern oder mit Ausländern zu besetzen, die über eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz verfügen oder aufgrund internationaler Abkommen Personenfreizügigkeit geniessen. Ausserdem muss diese Gruppe zusätzlich zu den regulären Steuern zehn Prozent ihres Arbeitseinkommens als Sondersteuer an den Fiskus zahlen.

„Vorläufig aufgenommen“ bedeutet Stigmatisierung

Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben jedoch auch die vorläufig Aufgenommenen. Zwar sind sie seit 2006 ebenso wie anerkannte Flüchtlinge bei der Arbeitssuche den Inländern gleichgestellt, aus ausländerrechtlicher Sicht gelten sie jedoch als „weggewiesen“. Ihre Anwesenheitsberechtigung gilt jeweils für ein Jahr und wird nur deshalb erteilt, weil die Wegweisung aus humanitären oder administrativen Gründen nicht vollzogen werden kann. Auf dem Arbeitsmarkt stellt dieser Aufenthaltsstatus ein Stigma dar, von der Öffentlichkeit und auch von potentiellen Arbeitgebern wird er oft als „widerrechtlich“ wahrgenommen. Nach frühestens fünf Jahren können vorläufig Aufgenommene über ein Härtefallgesuch von den Kantonen eine Aufenthaltsbewilligung erhalten.

Laut der Studie des Bundesamts für Migration haben Flüchtlinge, die ihren ständigen Aufenthalt in der Schweiz über Härtefallregelungen erhalten haben, nach zehn Jahren mit 61 Prozent eine deutlich höhere Erwerbsquote als die beiden anderen untersuchten Flüchtlingsgruppen. Die Studienautoren nehmen an, dass ihre vergleichsweise hohe Erwerbsbeteiligung schon vor der Erteilung der Aufenthaltsbewilligung durch die Antizipation des angestrebten Statuswechsels getrieben wird.

Die Beschäftigung von Migranten ist Teil der Agglomerationspolitik

Die Tripartite Agglomerationskonferenz (TAK) ist seit 2001 die politische Plattform des Bundes, der Kantone sowie der Städte und Gemeinden, die eine gemeinsame Agglomerationspolitik und entsprechende strukturelle Entwicklungen sicherstellen soll. Seit Anfang dieses Jahres hat sie sich zusammen mit Sozialpartnern und Migrantenorganisationen der Frage angenommen, wie mehr Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene in Lohn und Brot gelangen können. Im ersten Schritt sollen 2.000 bisher beschäftigungslose Vertreter dieser beiden Gruppen eine Stelle finden. Die TAK geht davon aus, dass dafür vor allem Überzeugungsarbeit bei den Arbeitgebern nötig ist.


Flüchtlinge sind volkswirtschaftlich wichtig. (Bild: View Apart / Shutterstock.com)

Bei den Arbeitgebern ist Überzeugungsarbeit zu leisten

Mit ihrer Arbeit zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt hat die TAK bereits im Oktober 2012 begonnen und seitdem verschiedene Projekte auf den Weg gebracht. In einem im Januar 2015 präsentierten Positionspapier zum Thema heisst es, dass viele Arbeitgeber gar nicht wüssten, dass sie Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene beschäftigen dürfen und dabei mit staatlicher Unterstützung rechnen können. Zudem dauert es oft Jahre, bis Migranten in der Schweiz einen anerkannten Flüchtlings- oder mindestens den Duldungsstatus erhalten, eine Integration in den Arbeitsmarkt wird – wenn überhaupt – in der Regel erst danach erfolgen. Die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen hat vor kurzem angeregt, einen neuen „Schutzstatus“ für die vorläufig Aufgenommen zu schaffen – ein Thema, das auf der politischen Ebene allerdings noch längst nicht spruchreif ist.

Nicht karitativ, sondern volkswirtschaftlich relevant

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga hat in einem Medienstatement betont, dass die Ausweitung der Beschäftigung von Flüchtlingen weniger eine karitative Aufgabe, sondern vor allem volkswirtschaftlich wichtig ist. Viele Branchen – beispielsweise der Tourismus oder das Baugewerbe – sind seit Jahren auf Mitarbeiter aus dem Ausland angewiesen, die nach der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative möglicherweise nicht mehr im bisherigen Umfang zur Verfügung stehen. Aus Sicht des Bundes sind Flüchtlinge vor diesem Hintergrund und angesichts des demografischen Wandels auch eine Arbeitskraftreserve, um deren Potenzial die Schweiz sich bisher kaum gekümmert hat.

Die Kantone und Sozialpartner investieren derzeit vor allem in Spracherwerb und Bildung, um Flüchtlinge für eine Tätigkeit in der Schweizer Wirtschaft zu qualifizieren. So haben 2014 rund 400 Bauarbeiter den praxisorientierten Sprachkurs „Deutsch auf der Baustelle“ absolviert. Demnächst startet ein Pilotprojekt des Schweizerischen Roten Kreuzes, das durch das Staatssekretariat für Migration gefördert wird – es hat zum Ziel, Migranten durch fachspezifische Sprachförderung zu befähigen, einen Abschluss als Pflegehelfer zu bestehen. Die Kantone fördern pro Jahr rund 5.000 Sprachkurse mit bis zu 100.000 Teilnehmern über den sogenannten Integrationskredit. Zum Teil finanzieren sie – natürlich nicht nur für Migranten – auch Coachings für die Stellensuche. In Zukunft sollen auf kantonaler Ebene auch die Informationen über Berufsabschlüsse und Weiterbildungsangebote verbessert werden.

Andere Förderungen von Migranten erfolgen unmittelbar berufsbezogen und in Kooperation mit verschiedenen Berufsverbänden. Die Kantone Zürich und Luzern bieten zusammen mit der Hotel- und Gastro-Formation Riesco-Lehrgänge für anerkannte Flüchtlinge an. Die einjährigen Kurse qualifizieren die Teilnehmer für eine Tätigkeit in der Tourismusbranche. Inzwischen haben 15 solcher Kurse stattgefunden und sich als ausgesprochener Erfolg erwiesen. Die Hotel- und Gastro-Formation gibt an, dass im ersten halben Jahr nach dem Abschluss der Kurse rund 85 Prozent der Absolventen eine Stelle finden konnten. Zur Überprüfung ihrer Deutschkenntnisse, ihrer Schreibfähigkeit und ihres sozialen Verhaltens durchlaufen die Bewerber vor der Zulassung zum Kurs ein Assessment Center. Das Riesco-Beispiel macht inzwischen auch in anderen Bereichen Schule. So gibt es in Luzern seit August 2014 das Pilotprojekt „Perspektive Bau“, das die 12 mehrheitlich aus Eritrea stammenden Kursteilnehmer auf eine Berufslehre im Baugewerbe vorbereiten soll. Kursleiter Patrik Birrer beschreibt sie als motiviert und fähig – er ist überzeugt, dass sich für ihre weitere Ausbildung genügend Firmen finden und 70 bis 80 Prozent von ihnen die dreijährige Berufslehre schaffen werden.



 Asylgesuche in der Schweiz: Tendenz steigend

Die berufliche Förderung von Migranten wird in den kommenden Jahren noch wichtiger werden als bisher. Bereits im letzten Jahr ist die Anzahl der Asylgesuche in der Schweiz um zehn Prozent gestiegen. In diesem Jahr rechnet das Bundesamt für Migration mit 24.000 bis 25.000 Asylgesuchen, im kommenden Jahr sogar mit 27.000 bis 31.000 Asylbewerbern. Aus Sicht des Amtes werde die Mehrheit von ihnen schutzbedürftig sein.

 

Oberstes Bild: Flüchtlinge haben es auf dem Schweizer Arbeitsmarkt schwer. (© ChameleonsEye / Shutterstock.com)

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