Welche Folgen hat das Franken-Hoch?

Ökonomen rechnen inzwischen nicht mehr mit einer Rezession wegen des starken Franken – trotzdem bleibt die Währungsbelastung für die Schweizer Wirtschaft hoch. Der Züricher Sozial- und Wirtschaftshistoriker Jakob Tanner betrachtet die Aufwertung des Franken als ein langfristiges Phänomen, das sich in der Schweizer Wirtschaft seit über 100 Jahren auswirkt.

Am vergangenen Montag hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Anleihenkaufprogramm gestartet, was – durch die europäischen Notenbanker durchaus intendiert – eine weitere Schwächung des Euro zur Folge hatte. Der Euro-Wechselkurs zum Franken ist im Lauf der Woche von 1.10 auf 1.05 CHF gefallen. Auch der US-Dollar und der Euro haben mit einem Wechselkurs von knapp 1,05 USD pro Euro derzeit nahezu Parität erreicht. Ein Ende dieses Trends ist nicht absehbar – die Exportwirtschaft der Euro-Zone dürfte davon in hohem Masse profitieren.

Eine Rezession aufgrund des Franken-Hochs ist nicht in Sicht

Schweizer Ökonomen rechnen trotzdem damit, dass es – anders als Ende Januar 2015 – keine Wechselkurs-Parität zwischen Franken und Euro mehr geben wird. Auch Rezessionsängste spielen in den Konjunkturprognosen der Wirtschaftsforscher derzeit kaum noch eine Rolle. Wirtschaftswissenschaftler und Analysten gehen davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum in der Schweiz allenfalls im ersten oder zweiten Quartal 2015 etwas reduzieren könnte, eine Rezession – also ein Verlust an Wirtschaftsleistung über mindestens zwei Quartale – jedoch unwahrscheinlich ist.

Der starke US-Dollar hilft Schweizer Grosskonzernen

Die Credit Suisse (CS) hat durch ihre hausinterne Umfrage unter Industrieeinkäufern ermittelt, dass die Zahl der Neuaufträge derzeit etwas zurückgegangen ist. CS-Chefökonom Oliver Adler rechnet für das Gesamtjahr trotzdem mit einem moderaten Anstieg der Schweizer Wirtschaftskraft. Das Konjunkturforschungsinstitut BAKBASEL geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz 2015 um etwa ein Prozent wachsen wird – unmittelbar nach der Freigabe des Wechselkurses hatten die Wirtschaftsforscher noch ein Jahresminus von 0,2 Prozent erwartet. Den Ausschlag für den positiven Ausblick gibt der starke Dollar, der erstmals seit Mitte Januar wieder teurer als der Franken ist. Von der neuen Dollar-Stärke profitieren die gesamte Exportwirtschaft der Schweiz, vor allem aber die Banken sowie Grosskonzerne mit einer starken Position im Dollar-Raum.


Der starke US-Dollar hilft Schweizer Grosskonzernen. (Bild: Ilyashenko Oleksiy / Shutterstock.com)


Erhöhung der Arbeitsproduktivität als Ausgleich für die Wechselkurs-Belastung

Die Aufwertung des Franken seit der Freigabe des Wechselkurses beläuft sich auf etwa zehn Prozent – aus Sicht von Konjunkturexperten überschreitet dieser Wert nicht den normalen Schwankungsbereich von Währungskursen. Die Credit Suisse geht davon aus, dass die anhaltende Zuwanderung sowie Preisrückgänge die Schweizer Binnenwirtschaft stützen, Chefökonom Adler sieht allerdings potentielle Schwierigkeiten für viele KMUs. Langfristig könnte das Franken-Hoch daher zu einem Abbau von industriellen Arbeitsplätzen führen. In der Praxis hat es in der Schweizer Industrie jedoch bisher keinen signifikanten Anstieg von Kurzarbeit oder Stellenstreichungen gegeben. Diverse Beispiele zeigen, dass kleine und mittlere Unternehmen auf die Belastung auf die Währungsbelastungen vor allem durch längere Regelarbeitszeiten ohne Lohnausgleich reagieren, also ihre Arbeitsproduktivität erhöhen.

Probleme mit dem Franken-Wechselkurs – bereits seit dem Ersten Weltkrieg

Spannend ist auch eine historische Betrachtung des Schweizer Franken. Der Züricher Historiker Jakob Tanner beschreibt, dass die aktuelle Überbewertung des Franken wieder einmal die gesamte Wirtschaft durcheinander bringt: Der Finanzplatz Schweiz sowie multinationale Grosskonzerne profitieren von der starken Schweizer Währung, die Exportwirtschaft und der Schweiz-Tourismus leiden. Dieser Gegensatz – und der starke Franken – haben ihre Wurzeln am Anfang des 20. Jahrhunderts. Zwar wurde laut Tanner bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Geldpolitik der Schweiz in Paris gemacht, das enge Zusammenwirken zwischen Banken und Wirtschaftsunternehmen sowie die Gründung der Schweizerischen Nationalbank 2007 sorgten jedoch für eine harte nationale Währung. In den Weltkriegsjahren 1914 – 1918 bot die neutrale Schweiz Sicherheit für internationales Kapital, in dieser Zeit liegen auch die Anfänge der geldpolitischen Auseinandersetzungen um den Kurs des Franken.

Der Wechselkurs reflektiert die „Nervosität des Kapitals“

Die Kapitalflucht in die Schweiz ist seitdem nicht abgerissen – ihre heutige Ausprägung betrachtet Tanner als eine direkte Folge der wachsenden Ungleichheit der Einkommen und Vermögen im Weltmassstab, was auch die „Nervosität des Kapitals“ auf die Schweizer Wirtschaft überträgt und die Chancen für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung limitiert. Als historische Referenz führt der Wissenschaftler die Situation der Schweiz in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre an. Die Eidgenossenschaft hielt seinerzeit – anders als viele andere Länder – an der Golddeckung ihrer Währung fest und war damit ausserstande, den Franken abzuwerten. Die Folgen bestanden in einer tiefen Rezession und hoher Arbeitslosigkeit. Für die Banken und internationale Grosskonzerne war seinerzeit der hohe Franken-Kurs durch niedrige Zinsen und Importpreise sowie günstige Bedingungen für Auslandsinvestitionen trotzdem attraktiv. Eine Abwertung des Franken wurde dann – gegen den Widerstand eines Teils der Schweizer Unternehmerschaft – erst 1936 vorgenommen.

Gefahren für die Industrie und den Schweizer Arbeitsmarkt

Eines der Probleme, die der hohe Wechselkurs zur Folge haben kann, besteht in strukturellen Verwerfungen in der Schweizer Wirtschaft. Der Finanzsektor, international aufgestellte Unternehmen und Branchen, die Premium-Produkte produzieren, werden auch das Franken-Hoch ohne grössere Blessuren überleben. Für viele andere Firmen kann die Überbewertung des Franken jedoch existenzbedrohend werden, was langfristig die Leistungskraft der Schweizer Industrie und auch die Aufnahmekapazität des Schweizer Arbeitsmarktes in Frage stellt.

Europäische Sonderrolle der Schweiz – heute nicht mehr realistisch

Laut Jakob Tanner sind vor allem die Rechtskonservativen Verfechter eines freien Wechselkurses. Ihre wirtschaftliche Vision für die Schweiz bestehe in einer europäischen Sonderrolle als Vermögens- und Finanzverwaltungszentrum sowie als Sitz von Grosskonzernen und Rohstoffunternehmen, die steuerliche Privilegien geniessen. Die Industrie oder gar eine prosperierende Exportwirtschaft der Schweiz spielen in diesem Konzept dagegen allenfalls eine marginale Rolle. Schweizer Traditionsbranchen – beispielsweise die Uhrenindustrie – hatten durch den hohen Franken-Kurs bereits seit den 1970er Jahren schwer zu kämpfen. Tanner schreibt, dass das schweizerische Manufacturing nur durch innovative Persönlichkeiten wie Nicolas Hayek, den Gründer der Swatch Group, gerettet wurde und heute wieder eine starke Stellung hat, die massgeblich den Wohlstand der Schweiz begründet. Durch die aktuelle Währungspolitik geraten diese Branchen nun wieder unter Druck. Ausserdem sei die Funktion der Schweiz als „steuerliche Pufferzone“ unter „heutigen Krisenbedingungen“ jedoch kaum noch durchsetzbar, was die Aufgabe des Schweizer Bankgeheimnisses im internationalen Massstab deutlich zeigt.



Welche währungspolitischen „Gesamtinteressen“ hat die Schweiz?

Aus Sicht des Historikers steht die Entscheidung der SNB über die Aufgabe des Mindestwechselkurses in einer langen Schweizer Tradition, die „eminent politische Entscheidungen“ auf einer technischen Ebene neutralisiert. Die SNB agiert heute – ebenso wie die meisten anderen Zentralbanken in der Welt – parallel zu den demokratisch-parlamentarischen Gremien als eine politische Institution. Eine offene Frage ist jedoch, wie sie – nicht nur im technischen, sondern auch im politischen Sinne – künftig das „Gesamtinteresse“ des Landes und der Schweizer Wirtschaft definiert.

 

Oberstes Bild: Der starke Franken wirft die Frage nach den währungspolitischen Gesamtinteressen der Schweiz und der Schweizer Wirtschaft auf. (© Barabas Csaba / Shutterstock.com)

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