Ältere Arbeitnehmer – mit neuen Perspektiven?

Mit spätestens 65 Jahren geht es in den wohlverdienten Ruhestand? Bis heute ist dies für die allermeisten Arbeitnehmer selbstverständlich. Der demografische Wandel wird jedoch auch für die Senioren Veränderungen mit sich bringen. Angesichts des demografischen Wandels werden es sich die Unternehmen perspektivisch nicht mehr leisten können, auf die Expertise der „alten Hasen“ zu verzichten.

Schon heute haben sich in der Schweiz mehr als 150’000 Menschen dafür entschieden, ihren Beruf auch nach dem Erreichen des Rentenalters nicht aufzugeben. Die meisten von ihnen sind allerdings als Selbstständige oder Freiberufler tätig. Der grösste Teil der Angestellten beendet dagegen spätestens mit 65 die berufliche Karriere. Mit dieser starren Altersgrenze verschenkt die Wirtschaft viel Potenzial.

Kurt Seifert von Pro Senectute – der Schweizer Fach- und Dienstleistungsorganisation für ältere Menschen – meint, dass der demografische Wandel in den Unternehmen noch nicht wirklich ernst genommen werde. Ein Patentrezept, um ältere Menschen über das Rentenalter hinaus im Arbeitsprozess zu halten, hat er allerdings auch nicht anzubieten.

Ein Fünftel der Angestellten wünscht sich Arbeit nach der Pensionierungsgrenze

Dabei läge ein späterer Renteneintritt durchaus im Interesse vieler älterer Arbeitnehmer. Eine Studie des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) ergab, dass sich knapp ein Fünftel aller Angestellten wünscht, auch jenseits der Pensionierungsgrenze im Arbeitsleben zu verbleiben. In den Köpfen der Arbeitgeber und auch der meisten Mitarbeiter ist diese Grenze jedoch fest verankert. Eine Studie der Universität Lausanne zum Thema Massenentlassungen stellt zudem fest, dass ein höheres Lebensalter bei der Stellensuche nachteiliger ist als eine fehlende Ausbildung oder andere Defizite bei den beruflichen Qualifikationen.

Durch die Überalterung der Gesellschaft gewinnt die Thematik an Brisanz

Diese Problematik hat auch der Schweizerische Arbeitgeberverband erkannt. In diesem Sommer startet er die Initiative „45plus“, die sich insbesondere der Frage widmen soll, was die Unternehmen daran hindert, ältere Arbeitnehmer einzustellen und optional auch über die Pensionierungsgrenze hinaus an ihrem Arbeitsplatz zu halten. Die Arbeitgeber verbinden mit diesem Projekt recht konkrete Interessen: Zum einen sind sie daran interessiert, qualifizierte Mitarbeiter möglichst lange zu beschäftigen und ihre Kompetenzen aufzubauen – was bei der Einstellung älterer Menschen durch das starre Renteneintrittsalter ausgehebelt wird. Zum anderen sind Schweizer Angestellte sehr gut ausgebildet, ihre Qualifikationen und Fähigkeiten gehen auch im höheren Lebensalter nicht verloren.

Der demografische Wandel wird in den kommenden Jahren ein Umdenken in dieser Hinsicht immer dringlicher werden lassen: Die Generation der Babyboomer bewegt sich auf das Rentenalter zu, im Vergleich zu ihnen sind die nachfolgenden Alterskohorten zahlenmässig deutlich kleiner. Anders gesagt: Die Schweizer Gesellschaft überaltert.

Rheinmetall Air Defence: Planung der Lebensarbeitszeit bereits in jungen Jahren

Die Rheinmetall Air Defence Zürich hat mit der Beschäftigung älterer Mitarbeiter seit jeher gute Erfahrungen gemacht und dafür ein eigenes Modell entwickelt. Die Schweizer Tochter der deutschen Rheinmetall bündelt die Flugabwehr-Aktivitäten des Konzerns. Ihre Hightech-Produkte befinden sich über mehrere Jahrzehnte im Einsatz – für die Firma und ihre Kunden ist es wichtig, dass ein qualifizierter Mitarbeiter nicht während eines laufenden Projektes in Pension geht. Rheinmetall-Personalentwickler Daniel Fehr sieht die Beschäftigung älterer Angestellter daher als Prozess, der bereits beginnen muss, wenn die Betreffenden noch jung sind. Bei der Rheinmetall Air Defence gibt es dafür drei unterschiedliche Karrieremuster.

Drei Karrieremodelle fördern nachhaltige Mitarbeiterbindung

Ihren Mitarbeitern stehen eine Führungs-, eine Experten- sowie eine Projektkarriere offen. Vor allem Angestellte im fortgeschrittenen Lebensalter können sich so auf ihre Stärken fokussieren. Gleichzeitig trägt das Unternehmen dem Umstand Rechnung, dass nicht jeder begnadete Ingenieur auch auf eine Führungsrolle vorbereitet oder an ihr interessiert ist. Durch die Firma werden alle drei Karrierewege als gleichwertig angesehen; natürlich ist auch ein Wechsel zwischen den Modellen möglich.

Zur individuellen Karriere gehören auch flexible Arbeitszeiten, die sogenannte Jahresarbeitszeit befriedigt die Bedürfnisse sowohl junger als auch älterer Angestellter. Die Rheinmetall Air Defence profitiert durch eine nachhaltige Mitarbeiterbindung. Nach Angaben des Unternehmens bleibt ein Mitarbeiter im Durchschnitt 20 Jahre in der Firma.


Optimale Performance in generationengemischten Teams. (Bild: EDHAR / Shutterstock.com)
Optimale Performance in generationengemischten Teams. (Bild: EDHAR / Shutterstock.com)


Optimale Performance in generationengemischten Teams

Ältere Angestellte können laut Fehr ihre Stärken am besten in generationengemischten Teams entfalten. Junge Fachkräfte bringen frisches Wissen in die Firma, die ältere Generation bringt ihre Erfahrung in Projekte ein. Die entscheidende Rolle in solchen Arbeitsgruppen kommt den mittleren Altersgruppen zu, auch die guten Projektleiter stammen meist aus diesem Mittelbau. Zu ihren Führungsaufgaben gehört nicht zuletzt, zwischen den Generationen zu vermitteln.

Letztendlich gelte, dass ein gut funktionierendes Team oft den Ausschlag dafür gebe, ob ein älterer Mitarbeiter auch nach dem Erreichen des Renteneintrittsalters in der Firma bleiben will. Daneben kennt Fehr auch Angestellte – vor allem Ingenieure –, die mit ihren Projekten so verbunden sind, dass sie auf jeden Fall bis zu deren Ende weitermachen möchten. Bei der Rheinmetall Air Defence sind sie mit einem solchen Plan willkommen.

Vergleichbare Erfahrungen bei der Helvetia

Auch die Helvetia Versicherung in St. Gallen hat aufgrund des demografischen Wandels die Altersgrenze für ihre Mitarbeiter auf das 70. Lebensjahr erhöht, ist dabei allerdings weniger ambitioniert als Rheinmetall. Bisher wird dieses Angebot jedoch nur von wenigen Helvetia-Mitarbeitern genutzt – dabei handelt es sich vor allem um Fach- und Führungskräfte, die ihre Lebensarbeitszeit wegen eines laufenden Projektes verlängern. Durch die neue Altersregelung kann die Versicherung personelle Engpässe kompensieren, Übergangsregelungen für die Nachfolgeplanung installieren oder wichtige Kunden in gewohnter Form betreuen.

Die individuelle Planung der Weiterarbeit nach dem 65. Geburtstag kann schon sehr früh beginnen, eine entsprechende Standortbestimmung ist ab dem Erreichen des 50. Lebensjahres zu jedem Zeitpunkt möglich. Im Schnitt bleiben Mitarbeiter, die sich für diesen Weg entscheiden, nach Erreichen der regulären Pensionierungsgrenze noch zwei Jahre im Unternehmen. Ebenso wie die Rheinmetall hat die Versicherungsgesellschaft gute Erfahrungen mit gemischten Teams gemacht.

Wie flexibel kann und muss der Renteneintritt sein?

Die Studie des BSV besagt, dass flexible Arbeitsbedingungen und die Freude an der Arbeit die wesentlichen Kriterien seien, die bestimmen, ob ein Mitarbeiter mit seinem Job so zufrieden ist, dass er ihn länger als bis zum 65. Geburtstag ausüben will. Pro-Senectute-Sprecher Seifert betont jedoch, dass für diese Entscheidung auch die Art der bisher ausgeübten Tätigkeit eine wesentliche Rolle spiele. Er plädiert für einen flexiblen Renteneintritt, der im Alter zwischen 62 und 70 Jahren erfolgen kann.

Daniel Fehr von der Rheinmetall präferiert demgegenüber eine völlige Flexibilisierung des Renteneintrittsalters – die Modalitäten sollten jeweils in den Firmen selbst geregelt werden. Beispielsweise lohne sich nach einem Technologiesprung die vielleicht teure Ausbildung eines älteren Mitarbeiters trotz einer gewünschten Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht mehr. Das hier eingesparte Geld könne dafür verwendet werden, dem Betreffenden attraktive Konditionen für eine Frühpensionierung anzubieten.

Beschäftigung im Rentenalter – in der Schweiz bisher ein Randproblem

Für die Schweiz ist der Wunsch nach Arbeit bis zum 70. Geburtstag oder sogar länger bis auf Weiteres nur ein Randproblem. Die Gewerkschaften fordern bisher vor allem, die Lebensarbeitszeit – unter anderem durch Frühpensionierungen – zu verkürzen. Bei den Firmen ist laut einer Studie der Beratungsgesellschaft Mercer das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels zwar vorhanden, in der Praxis beschäftigen jedoch vor allem jene Unternehmen Mitarbeiter im Pensionierungsalter, die aufgrund ihrer Geschäftsmodelle und Produkte auf langjährige Erfahrung angewiesen sind. Einen weiteren Widerspruch thematisiert Pro Senectute: Der immer anspruchsvollere Arbeitsmarkt führe trotz allgemein guter Gesundheit bei vielen älteren Arbeitnehmern zu Verbrauchserscheinungen, die ihnen eine Verlängerung des Arbeitslebens nicht erlauben.

 

Oberstes Bild: © Straight 8 Photography – Shutterstock.com

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