Berufspraktikum - Ausbeutung oder Perspektive?

Das klassische Negativ-Szenario von Berufspraktika kennen wir wohl alle mindestens vom Hörensagen. Im Studium soll das Praktikum die Ausbildung ergänzen und genau das liefern, was sich Arbeitgeber von Berufsanfängern wünschen: Praktische Bezüge und Erfahrungen über die Theorie hinaus. Falls es mit der ersten regulären Stelle nicht völlig nahtlos klappt, entscheiden sich viele Absolventen für ein Berufspraktikum zur Überbrückung.

Idealerweise soll das Praktikum den Berufsstart fördern und anspruchsvolle Aufgaben und weitere Ausbildungskomponenten liefern – in der Realität finden sich viele Praktikanten jedoch als befristete und vor allem billige Arbeitskräfte ohne Perspektive wieder.

Rein arbeitsrechtlich sind Praktikantenstellen befristete Arbeitsplätze mit einer Teilzeit- oder Vollzeitregelung. Für Hochschulabsolventen zeigen die Daten des Schweizer Bundesamtes für Statistik, dass die Wahrscheinlichkeit einer befristeten Anstellung mit dem Qualifikationsgrad steigt. Fünf Jahre nach dem Studienabschluss waren sieben Prozent der Fachhochschulabsolventen und 12.4 Prozent der Bachelors mit befristeten Arbeitsverträgen tätig. Absolventen eines Master-Studienganges sowie Promovierte besetzten dagegen zu 26.1 respektive 28.5 Prozent zunächst nur eine Teilzeitstelle. Rund 13 Prozent aller Hochschulabsolventen finden mindestens im ersten Jahr nach ihrem Abschluss nur eine Praktikantenstelle.

Noch keine „Generation Praktikum“ in der Schweiz

Die Leiterin des BIZ Zürich-Oerlikon, Carla Mom, betont, dass sowohl Studenten als auch Absolventen in einem seriösen Praktikum Gelegenheit haben sollten, in anspruchsvollen Arbeitsfeldern und Projekten eingesetzt zu werden. Einem erleichterten Berufseinstieg durch Praktika ist eigentlich nur dieser Idealfall förderlich. Im allerbesten Fall sollte das Praktikum beim selben Arbeitgeber zu einer Festanstellung führen. Falls einer dieser beiden Punkte zutrifft, lässt sich auch das recht niedrige Gehalt verschmerzen. Laut verschiedenen Befragungen verdient die Hälfte der Praktikanten mit abgeschlossenem Hochschulstudium um 2’500 Franken monatlich, rund ein Viertel bringt es jedoch nur auf 1’000 Franken.

Eine Erhebung des Staatssekretariats für Wirtschaft ergab bereits 2008, dass sich etwa 60’000 Praktikanten in einem prekären Arbeitsverhältnis befanden. In den sechs vorhergehenden Jahren war die Zahl der Praktikumsstellen um 13’000 angewachsen. Glücklicherweise versucht in der Schweiz bisher noch keine „Generation Praktikum“ Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Im europäischen Durchschnitt beträgt der Anteil der Praktikanten an der Erwerbsbevölkerung 35 Prozent, hierzulande ist er trotz steigender Tendenz vor diesem Hintergrund bisher erfreulich niedrig. Trotzdem leidet eine wachsende Zahl von Praktikanten – vor allem aus geistes- und sozialwissenschaftlichen Studienfächern – sowohl unter niedrigen Salären als auch unter fehlenden Perspektiven.

Jürg Zellweger vom Schweizerischen Arbeitgeberverband sieht die Zunahme von Post-Graduate-Praktika durchaus kritisch. Der Experte für Bildungsfragen ist der Ansicht, dass Berufspraktika sich vor allem für Studierende ohne Praxiserfahrung oder mit wenig berufsrelevanten Fächern eignen. Während des Studiums absolviert, könnten sie später eine „Sprungbrettfunktion“ für die Stellensuche haben. Praktikanten rät er, eine entsprechende Stelle nur dann zu akzeptieren, wenn sie klare Zielvereinbarungen enthält, die sich in einem konkreten Zeitraum – beispielsweise innerhalb von sechs Monaten – erreichen lassen. Sie könnten so verhindern, dass die Firmen sie vor allem als billige Arbeitskräfte nutzen. 


In den Praktikumsbörsen werden vor allem Stellen für Bewerber mit bereits abgeschlossenem Studium ausgeschrieben. (Bild: Maksim Kabakou / shutterstock.com)


Arbeitgeber forcieren den „Druck zum Praktikum“

Die Realität sieht für viele Schweizer Praktikanten jedoch anders aus. In den Praktikumsbörsen werden vor allem Stellen für Bewerber mit bereits abgeschlossenem Studium ausgeschrieben – mit oft sehr hohen Anforderungen an ihre beruflichen Fähigkeiten. In der Studie „Universum Student Survey“ gaben viele Personalchefs an, dass sie Praktika explizit als Rekrutierungs-Tool für den Firmennachwuchs nutzen. Die Chance auf eine Festanstellung wird damit direkt mit der Anforderung eines Praktikums verbunden. Gleichzeitig liegt die Arbeitslosenquote in der Altersgruppe der 25-bis 29-jährigen mit 4.6 Prozent über dem Schweizer Durchschnitt – dies durchaus ein Druckmittel in der Hand der Arbeitgeber. Jürgen Zellweger sieht beispielsweise als bedenklich an, dass sich zunehmend auch Absolventen einer Berufslehre die Festanstellung durch ein Praktikum erst erarbeiten sollen. Normalerweise sollte hier der Lehrabschluss als Praxisnachweis reichen. Ein Praktikum in derselben Branche und im gleichen Arbeitsfeld erfordere daher kein Praktikum – wenn der Arbeitgeber es dennoch wünscht, sollte er dafür zumindest den branchenüblichen Mindestlohn bezahlen.

Auch hier schlägt die Realität jedoch die Theorie. 2011 starteten 5.7 Prozent der Berufsanfänger mit einer abgeschlossenen kaufmännischen Lehre in ihr Arbeitsleben mit einem Praktikum, 80 Prozent dieser Praktikanten waren im kaufmännischen Bereich beschäftigt. Eine Studie des KV Schweiz nannte als niedrigstes Gehalt dafür 1’800 Franken. Die Praktikumsquote dürfte seither noch angestiegen sein. Kinderkrippen oder Kindergärten schreiben kaum noch Stellenangebote für Lernende oder ausgelernte Fachangestellte aus, stattdessen offerieren sie niedrig entlohnte Praktikantenstellen.

Sollten die Gesamtarbeitsverträge Mindeststandards definieren?

Die Definition einer Praktikantenstelle als befristetes Arbeitsverhältnis hat für die Stelleninhaber Folgen. Sie geniessen weder das Recht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch Kündigungsschutz. Trotz der tiefen Löhne können Praktikanten auch keine Ausbildungszulagen geltend machen. Wenn das Praktikum keinen echten Lernwert bietet, sind damit prekäre Beschäftigungsverhältnisse programmiert. Die Arbeitgeber umgehen mit der Definition des Praktikums als Einarbeitungs- und Probezeit de facto auch rechtliche Regelungen.

Die Bildungs- und Jugendverantwortliche des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Véronique Polito, sieht mit einem solchen Praktikum die Voraussetzungen für eine arbeitsgerichtliche Klage als erfüllt. Sie meint, dass eine mögliche Massnahme, um Praktikanten vor Ausbeutung zu schützen, darin bestehen könnte, die Rahmenbedingungen und Mindestlöhne für Berufspraktika in den Gesamtarbeitsverträgen festzulegen. Entsprechende Vereinbarungen gibt es bereits in einigen Verträgen – allerdings bisher nur für Praktika, die im Rahmen einer Ausbildung geleistet werden.

 

Oberstes Bild: © Goodluz – shutterstock.com

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