Interkulturelle Kompetenz - in einem globalen Wirtschaftsumfeld unverzichtbar

Barack Obama war im Spätherbst 2012 der erste US-amerikanische Präsident, der zu einem Besuch nach Myanmar (Burma) reiste. Entsprechend begeistert wurde er von seinen Gastgebern gefeiert – und trat trotzdem in einen kulturell sensiblen Fettnapf.

Sein herzlicher Begrüssungskuss für Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wirkte für die Begrüsste ebenso wie für das Publikum befremdlich. Ein Kuss in der Öffentlichkeit – zumal zwischen Männern und Frauen – gilt in Südostasien als Tabu. Suu Kyi zuckte zurück, Obama reagierte mit einer Umarmung und einer entschuldigenden Geste. Dass seine Gespräche in Myanmar unter dem Fauxpas nicht gelitten haben, hatte der Präsident wohl auch seinem internationalen Status zu verdanken.

Was für Politiker unverzichtbar ist, gilt heute auch für die globale Wirtschaft: Ohne interkulturelle Kompetenz (cross cultural competence) kommt heute kein international aufgestelltes Unternehmen und auch kein Spitzenmanager aus. Als der japanische Pharmakonzern Takeda – mit einer über 230-jährigen Firmengeschichte – im Jahr 2011 sein Schweizer Pendant Nycomed übernommen hatte, waren die Japaner sozusagen über Nacht in mehr als 70 Ländern und mit rund 30’000 Angestellten aus ganz verschiedenen Kulturen auf dem Markt präsent. Deren Zusammenführen in einer integrierten Firmenkultur und schliesslich in einem gemeinsamen globalen Auftritt hat sich zwangsläufig als eine immense Aufgabe erwiesen.

Heute ist interkulturelle Weiterbildung für das Management sowie die Beteiligten an den zahlreichen internationalen und zum Teil auch virtuell kooperierenden Takeda-Arbeitsgruppen selbstverständlich. Vergleichbare Erfahrungen hat auch die FoamPartner-Gruppe aus Wolfhausen hinter sich gebracht, die sich international vor allem im asiatisch-pazifischen Raum engagiert. FoamPartner-Personalchef Martin Eggli sieht das grösste Handicap in der Zusammenarbeit mit asiatischen Partnern – eigenen Mitarbeitern, aber auch Kunden und Lieferanten – nicht in sprachlichen Barrieren, sondern in unterschiedlichen Weltanschauungen sowie einem anderen Verständnis von Erfolg, Zeit, Teamwork oder Lebenszielen. Alle diese Punkte erfordern zwangsläufig interkulturelles Lernen.

Interkulturelle Studien – noch eine recht junge Disziplin

Interkulturelle Kompetenz als ein Essential in der Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften ist eine noch recht junge Disziplin. Zu ihren Pionieren aus einer wissenschaftlichen Perspektive gehörten seit den 1950er Jahren unter anderem die Holländer Geert Hofstede und Fons Trompenaars sowie der US-Amerikaner Edward T. Hall. In ihren Forschungsarbeiten ging es darum, die Komplexität von Völkern und Kulturen zu begreifen und unterschiedliche Verhaltensweisen sinnvoll einzuordnen.

Hall sah ein wesentliches Differenzierungsmerkmal in den Unterschieden zwischen „vergangenheits- und zukunftsorientierten“ Nationen. Hofstede und Trompenaars sprachen von individualistischen oder kollektivistischen Kulturen respektive von Gesellschaften mit einem partikularistischen oder universellen Anspruch. Viele ihrer Überlegungen haben ihre Wurzeln im Denken des 19. Jahrhunderts, etwa des deutschen Philosophen Ferdinand Tönnies, der über interkulturelle Phänomene schon 1887 in seinem Werk „Gemeinschaft und Gesellschaft“ schrieb.

Das Lewis-Modell als komplexes interkulturelles Praxis- und Verständnistraining

Deutlich praxisbezogener sind die interkulturellen Analysen des Briten Richard Lewis. Durch seine jahrzehntelange Tätigkeit in Sprachschulen lernte er Menschen aller Völker und Kulturen kennen. Mit Unterstützung mehrerer Universitäten hat Lewis ein globales „Self Assessment“ entwickelt, in dem es nicht nur um grobe Unterscheidungsmerkmale wie Sprache oder Religionen, sondern auch um Status, Sitten und Tabus, Kommunikationsmuster sowie sehr individuelle Bereiche wie Selbstwertgefühl, Hörgewohnheiten, Verhandlungsstile oder Vorurteile geht.

Das sogenannte Lewis-Modell geht davon aus, dass es weltweit und unabhängig von Politik oder Religion drei grosse kulturelle Gruppen gibt. Schweizer, Deutsche oder Skandinavier erscheinen darin als rationale, planende und kühle „Linear-Aktive“, die Menschen des Mittelmeerraums, Afrikas und Südamerikas als impulsive, emotionale und kreative „Multi-Aktive“. Japaner oder Vietnamesen werden dagegen als kompromissfreudige und ausgleichende „Re-Aktive“ eingeordnet. Neben Ländern und Kulturen, die einen dieser Typen relativ eindeutig verkörpern, gibt es Mischformen, die sich zwischen den verschiedenen Gruppen bewegen. Beispielsweise besitzen Inder nach dem Lewis-Modell sowohl „multiaktive“ als auch „reaktive“ Eigenschaften. Lewis macht hiermit – unabhängig vom möglicherweise atypischen Verhalten einzelner Personen – die verschiedenen grossen kulturellen Tendenzen deutlich. Genau diese Informationen brauchen global aktive Firmen und Verbände.

„Gespaltenes Bewusstsein“ bei den Entscheidungsträgern

Konzerne können es sich heute nicht mehr leisten, Millionen in neue Märkte zu investieren, ohne vorher abzusichern, dass ihr Auftritt auch den kulturellen Gepflogenheiten des jeweiligen Landes entspricht. Auch individuelle Firmenrepräsentanten ohne interkulturelles Wissen erleben vermutlich ein geschäftliches Fiasko. Interkulturelle Kompetenzen gelten heute als eine wichtige Voraussetzung zukunftsfähiger internationaler Investitionen.

Das Beratungsunternehmen Richard Lewis Communications hat bisher über 500 Organisationen und Firmen beraten, darunter solche Schwergewichte wie die Weltbank – dabei wurden mehr als 70’000 Menschen interkulturell geschult. Geschäftsführer Michael Gates macht in den Chefetagen zu diesem Thema allerdings durchaus eine Art gespaltenes Bewusstsein aus. Zwar seien 80 Prozent der Entscheidungsträger überzeugt, dass interkulturelle Kompetenz unverzichtbar ist, konkrete Massnahmen in diese Richtung unternimmt jedoch nur ein knappes Drittel.


Angesichts der fortschreitenden Globalisierungsprozesse ist diese Haltung unverständlich. (Bild: Louis Renaud / Fotolia.com )


Angesichts der fortschreitenden Globalisierungsprozesse ist diese Haltung unverständlich. Zu wissen, welche Anforderungen aus kulturellen Werten und Verhaltensnormen resultieren, kann im Hinblick auf das internationale Geschäft des Unternehmens erfolgsentscheidend sein. Der Einfluss kultureller Komponenten wirkt sich letztendlich auf alle Tätigkeitsfelder einer Firma aus. Im Top-Management ermöglicht interkulturelles Wissen eine höhere Entscheidungssicherheit. Ein entsprechend geschulter Ein- oder Verkäufer wird sich vor Ort in der Interaktion mit Geschäftspartnern und Kunden beträchtlich sicherer fühlen. Auch Führungsarbeit wird an einem internationalen Standort erst durch Cross Cultural Competence wirklich effizient. Kulturelle Faktoren sollten also schon bei Recherchen zur Erschliessung neuer Märkte eine ebenso wichtige Rolle wie „harte“ Wirtschaftsdaten spielen.

 

Oberstes Bild: © XtravaganT – Fotolia.com

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