Bringt das Quantitative Easing den Aufschwung in der Euro-Zone?

Die Europäische Zentralbank (EZB) lockert ihre Geldpolitik immer weiter. Im Januar 2015 entschieden die europäischen Notenbanker, mit dem Quantitative Easing – einem gigantischen Anleihenkaufprogramm im Gesamtumfang von 1.140 Milliarden Euro – zu beginnen. Anfang Februar folgte eine weitere Absenkung der Zinsen. Fraglich ist allerdings, ob die Wirtschaft in der Euro-Zone von diesem Massnahmenpaket wirklich profitiert.

EZB-Präsident Mario Draghi begründet beide Schritte mit der Deflationsgefahr in der Euro-Zone. De facto hat die Deflation bereits begonnen. Im Dezember zeigte die Inflation im Euro-Raum mit – 0,2 Prozent erstmals einen negativen Wert, im Januar hat sich dieser Trend auf – 0,6 Prozent gesteigert. Das von der EZB definierte Inflationsziel liegt bei knapp zwei Prozent. Bereits jetzt schwächelt die Konjunktur in fast allen Euro-Staaten, Italien befindet sich in einer offenen Rezession. Eine anhaltende Deflation würde – wie das Beispiel Japan in der Vergangenheit gezeigt hat – auf unabsehbare Zeit zur wirtschaftlichen Lähmung führen.

Was passiert bei einer Deflation?

Bei einer Deflation verfallen die Preise für Waren und Dienstleistungen auf breiter Front, da die Nachfrage nach ihnen sinkt. Unternehmen müssen ihre Gewinnerwartungen nach unten korrigieren und nehmen kaum noch Investitionen vor. Private Konsumenten schieben geplante Anschaffungen in Erwartung noch günstigerer Preise auf. Auch Kreditaufnahmen erfolgen während einer Deflation nur zögerlich, da in einer solchen Phase der Wert von Schulden kontinuierlich steigt. Dieses Szenario fällt meist mit einer wirtschaftlichen Rezession zusammen. Die letzte globale Deflation war eine Begleiterscheinung der Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929 bis 1933. Der aktuelle Deflationstrend legt also unter anderem nahe, dass die Euro-Zone die Folgen der Finanz- und Schuldenkrise noch längst nicht überwunden hat.


Bei einer Deflation verfallen die Preise für Waren und Dienstleistungen auf breiter Front. (Bild: Lim Yong Hian / Shutterstock.com)


Zinssenkungen und Geldmengenerhöhung als Gegenmittel

Die Massnahmen der Notenbanken gegen eine Deflation bestehen in Zinssenkungen und – wenn dies nichts hilft – der Erhöhung der Geldmenge, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Zinsen in der Euro-Zone befinden sich bereits seit 2011 im freien Fall. Am 5. Februar 2015 hat die EZB den Leitzins auf 0,15 Prozent gesenkt. Der Einlagenzins für Banken, die bei der EZB kurzfristig Gelder parken wollen, erreicht mit – 0,1 Prozent erstmals einen negativen Wert. Vor allem der negative Einlagenzins soll in zwei Dimensionen als Inflationstreiber wirken: Er soll zu einer weiteren Schwächung des Euro und damit zur Verteuerung von Importen führen. Die Banken soll er als „Strafzins“ auf EZB-Einlagen zu einer grosszügigeren Kreditvergabe motivieren, um Investitionen, den privaten Konsum und damit die Konjunktur zu fördern.

Die Geldpolitik der EZB zeigt bisher nicht die gewünschten Resultate

Das Problem dabei: Die Niedrigzinspolitik der EZB zeigt bisher nicht die gewünschten Resultate. In den südeuropäischen Krisenländern bewirkte sie – wenn überhaupt – bisher allenfalls einen temporären Aufschwung. Inzwischen zeigen auch die grossen europäischen Volkswirtschaften wieder erste Rezessionssymptome. Ab März 2015 soll nun das Quantitative Easing die Wende bringen. In den kommenden eineinhalb Jahren will die EZB jeden Monat für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere kaufen. Die Bilanzsumme der EZB wird durch das Programm auf über drei Billionen Euro aufgebläht. Das Quantitative Easing der EU ist grösser als jedes vergleichbare Einzelprogramm in den USA.

EZB-Kapitalschlüssel statt Südeuropa-Fokus

Den ursprünglich geplanten Südeuropa-Fokus des Quantitative Easing haben die europäischen Notenbanker inzwischen aufgegeben. Stattdessen soll ein EZB-Kapitalschlüssel gelten, der sicherstellt, dass Länder mit grossen Kapitalanteilen an der EZB von dem Programm auch entsprechend profitieren. Laut Mario Draghi wird die EZB maximal ein Drittel der ausstehenden Staatsanleihen eines Landes kaufen. Die Haftungsrisiken werden zu 20 Prozent bei der EZB und zu 80 Prozent bei den nationalen Notenbanken der Euro-Staaten liegen.

Bleibt das Quantitative Easing in der Euro-Zone wirkungslos?

Die ersten Kritiker meldeten sich bereits am Tag der Entscheidung über den Start des Anleihenkaufprogramms zu Wort. So schrieb der deutsche Wirtschaftswissenschaftler und Strategieberater Daniel Stelter, dass die EZB damit am Ende ihrer Mittel angekommen sei und ihre Reputation als einzige und letzte „funktionsfähige Rettungsinstanz“ in der EU verlieren werde. Aufgrund der Finanzmarktstrukturen in Europa werde das Quantitative Easing anders als in den USA keine Wirkung zeigen – Stelter prophezeit bereits die nächste Krise, in der dann für Lösungen endlich die Euro-Politiker in die Pflicht genommen werden. Sein Fachkollege Dirk Ehnts, Dozent am Bard College Berlin, sieht in der Geldpolitik der EZB ebenfalls keine echten Perspektiven. Aus seiner Sicht bewirkt das Quantitative Easing vor allem einen Aktivtausch in den Bankbilanzen.

Mangelnde Nachfrage nach Investitionskrediten

Zum einen werden die Anleihenkäufe durch die EZB sowie die nationalen Notenbanken getätigt, die jedoch selbst keine Kredite vergeben. Eine offene Frage ist, ob und wie die Erhöhung ihrer Geldreserven die Kreditvergabe an Unternehmen und Verbraucher stimulieren soll. Auch wenn der Aufkauf von Staatsanleihen in grossem Stil deren Preis nach oben und ihren Zins nach unten treibt, dürfte sich laut Ehnts der konjunkturfördernde Effekt des Programms in engen Grenzen halten. Beispielsweise haben die niedrigen Zinsen für Staatsanleihen der vier grössten Volkswirtschaften in der Euro-Zone – Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien – auch in der Vergangenheit keinen Investitionsboom ausgelöst. Die Probleme bei der Vergabe von Investitionskrediten verortet Ehnts aufseiten der Unternehmen nicht in zu geringen Sicherheiten, sondern in einem Investitionsstopp wegen fehlender Absatzmöglichkeiten. Einflussfaktoren sind hier unter anderem das Zurückfahren von Infrastrukturprojekten durch die öffentliche Hand sowie ein moderates bis negatives Wachstum der Löhne und Gehälter, was die Möglichkeiten für eine Ausweitung des privaten Konsums begrenzt.



Fazit: Die Euro-Zone bezahlt ihre Spar- und Reformpolitik mit Stagnation

Sehr wahrscheinlich wird sich die Deflationsspirale in der Euro-Zone also weiter drehen. Falls der Kurs des Euro weiter fällt, profitieren die Volkswirtschaften der Euro-Länder zwar von einer dauerhaften Erhöhung ihrer Exporte – diese Zuwächse würden jedoch auf Kosten ihrer wichtigsten Handelspartner erfolgen. Mit der Schwäche ihrer Währung exportieren die Euro-Staaten auch ihre wirtschaftlichen Probleme über die Grenzen der EU hinaus. Der Franken-Schock zeigt, in welchem Masse auch die Schweiz davon betroffen ist. Wenn das Quantitative Easing seinen Zweck – die Erhöhung der Kreditaufnahme durch den privaten Sektor – nicht erreicht, werden die EU sowie die nationalen Regierungen der Euro-Zone nicht umhinkommen, die Konjunktur durch eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben anzutreiben. Der Preis für die derzeitige Spar- und Reformpolitik Europas würde sonst in dauerhafter Stagnation bestehen.

 

Oberstes Bild: Die Europäische Zentralbank in Frankfurt-am-Main, Deutschland. (© Oscity / Shutterstock.com)

jQuery(document).ready(function(){if(jQuery.fn.gslider) {jQuery('.g-22').gslider({groupid:22,speed:10000,repeat_impressions:'Y'});}});