Die Anatomie der Finanzkrisen

Als die Finanzkrise 2007 in den Startlöchern stand, gab nahezu jeder halbwegs renommierte Ökonom seine Meinung über Ursachen, Wirkungsweisen und Folgen ab. Die Äusserungen verwirrten den Laien aber eher, als dass er das Zustandekommen von Krisen dieser Art besser hätte nachvollziehen können. Das lag aber in erster Linie an den getätigten Aussagen, die oftmals in keinster Weise deckungsgleich waren und so im Gesamtkontext immer neue Fragen aufwarfen.

Ein halbes Dutzend Jahre später sind die Finanzkrise und ihre Auswirkungen zwar immer noch nicht vollends verarbeitet, vergeben und vergessen, die Forschung hat in diesem Zeitraum aber enorme Fortschritte realisiert und kann auch dem ökonomisch unbedarften Zeitgenossen die Anatomie der Krisen besser als jemals zuvor erläutern. Gerade der Internationale Währungsfonds (IWF) produziert diesbezüglich bereits seit mehreren Jahren aussagekräftige Datenreihen und exzellente Analysen.

Es gibt zwei Gruppen von Finanzkrisen: Bankenkrisen und Staatsschuldenkrisen

Anhand derartiger detaillierter Informationen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass insgesamt zwei Gruppen von Finanzkrisen existent sind. Demnach lässt sich die Begrifflichkeit in die Bereiche Bankenkrise sowie Staatsschuldenkrise aufteilen. Trotz verschiedener Ansätze ist der Grundmechanismus dabei nahezu identisch. In beiden Fällen findet ein kontinuierlicher Schuldenaufbau über mehrere Jahre hinweg statt, der sich schliesslich im Kippen der Konjunktur und der Wirtschaftsstimmung bemerkbar macht und letztendlich hohe Verluste verursacht. Neben diesem identischen Grundmechanismus gibt es aber auch entscheidende Unterschiede.

So kann eine Bankenkrise immer aus zwei verschiedenen Richtungen kommen. Laut dem IWF-Papier können Krisen dieser Art von innen oder von aussen kommen. Die Schweizer haben bereits innerhalb der vergangenen 25 Jahre beide Phänomene respektive beide Arten von Auslösern am eigenen Leib gespürt. So basierte die jüngste Finanzkrise auf dem ausländischen Investmentbanking der Grossbanken; gerade die UBS spielte hier eine nicht sonderlich rühmliche Rolle. Dagegen lag bei der Finanzkrise in den 1990er-Jahren die Ursache in einer inländischen Immobilienkrise begründet.

Schreckensszenario: So kommt es zu einer Staatsschuldenkrise

Genau andersherum verhält sich die Sache bei einer so bezeichneten Staatsschuldenkrise, da hier Einflüsse von aussen die entsprechende Krise erst herbeiführen. Folgendes Szenario soll dabei die entsprechenden Abläufe verdeutlichen:

  • Banken und Anleger aus dem Ausland sind theoretisch überzeugt, dass ein bestimmter Staat über ein ausgeprägtes Wachstumspotenzial verfügt. Dieses Denken könnte zum Beispiel auf langjährigem soliden Wachstum, einem bestimmten Rohstoffvorkommen oder einer kürzlich überwundenen Krisensituation fussen.


Durch Investitionen kann die Staatsverschuldung sprunghaft ansteigen. (Bild: Syda Productions / Shutterstock.com)
Durch Investitionen kann die Staatsverschuldung sprunghaft ansteigen. (Bild: Syda Productions / Shutterstock.com)


  • Als Konsequenz aus dieser einvernehmlichen Zuversicht strömt neues Kapital zu vergleichsweise niedrigem Zins in das Land. Dadurch wird im Umkehrschluss das Wachstum der Region quasi weiter befeuert. Auch die Banken und Anleger werden durch diesen Umstand ermutigt, noch mehr Gelder für Investitionen zur Verfügung zu stellen. Dies bedeutet aber auch, dass die Staatsverschuldung nahezu sprunghaft ansteigt.
  • Eine plötzlich auftretende politische Krise oder zum Beispiel Konjunkturprobleme bzw. eine Abschwächung des Wachstums können sowohl Banken als auch Anleger innerhalb kürzester Zeit dazu bringen, das Wachstumspotenzial des Landes prinzipiell neu zu überdenken. Als Reaktion darauf vergeben die Finanzinstitute nur noch kurzfristige Kredite, für die zudem hohe Zinsen berechnet werden. Mögliche Gegenmassnahme: neue Anreize für die Weltwirtschaft schaffen.
  • Die Folgen dieser Vorgehensweise stellen sich dann als äusserst prekär dar. Das Land gerät zunehmend in die Klemme, vor allem weil das Wachstum sich durch die hohen Zinsen immer weiter abschwächt. Das untergräbt wiederum die nötige politische Stabilität. Da sich jetzt immer mehr Banken und Investoren bzw. Anleger zurückziehen, versiegt schliesslich der ausländische Kapitalzustrom. Folge: Der Staat wird zahlungsunfähig.

Aus Fehlern lernen? Dies gilt für Banken und Anleger wohl nur bedingt

Staatsschuldenkrisen sind dabei in der Vergangenheit in erster Linie in den so bezeichneten Schwellenländern, zum Beispiel in Südostasien, Lateinamerika, der Türkei, Russland, Osteuropa und auch Südeuropa, entstanden. Aber – und das kann durchaus als Kritik am Bankensystem und an den Ökonomie-Experten verstanden werden – Vorfälle dieser Art ereignen sich nicht nur einmal, sondern wiederholen sich als Muster im kleinen wie auch im grossen Rahmen immer wieder. Und das, obwohl eben Banken und Anleger schon alleine aufgrund expliziter Erfahrungswerte doch eigentlich grundsätzlich wissen sollten, dass sie die Konjunkturaussichten und die Wirtschaftskraft eben der Schwellenländer nahezu systematisch überschätzen. Aus Fehlern soll man eigentlich lernen, hier scheint aber immer wieder die Aussicht bzw. Hoffnung auf reichlich Profit das Denken der Protagonisten zu beherrschen.

In den 1930er-Jahren gab es allerdings auch eine so bezeichnete Zwischenkriegsphase, in der sich auch reiche Industrieländer diesem Mechanismus beugen mussten. Diese Weltwirtschaftskrise fiel damals auch deshalb so verheerend aus, da sie im Kern eine Staatsschuldenkrise der westlichen Welt darstellte; den grössten Teilbankrott erlebte damals übrigens Deutschland mit seiner aufstrebenden Hauptstadt Berlin. Heute besteht in Europa eine durchaus vergleichbare Situation wie in der Zwischenkriegszeit. Allerdings sind dabei die Staatsschulden in Euro denominiert, wobei diese Währung eben nicht vom eigenen Land beeinflusst werden kann. So gesehen sind dann eben Euroschulden im Kern nichts anderes als Auslandsschulden.

 

Oberstes Bild: © Gunnar Pippel – Shutterstock.com

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