Warum Sie gar nicht selbstsicher genug auftreten können
VON Caroline Brunner Finanzen Organisation
Das Problem ist nur, ganz egal, als wie wenig authentisch und wie aufgesetzt man diese Selbstpräsentation kleinreden möchte, eines lässt sich nicht wegdiskutieren: Sie funktioniert. Selbstsichere Bewerber werden bei Einstellungen bevorzugt, sie gewinnen häufiger Aufträge, sind die besseren Vertriebler, machen schneller Karriere und verdienen im Schnitt überdurchschnittlich gut.
Regelmässig strafen sie all diejenigen Lügen, die auf ihr verdientes Stolpern hoffen. Anders als etwa in den Vereinigten Staaten hat die europäisch-christliche Kultur in den letzten Jahrhunderten ein Ideal der Bescheidenheit, wenn nicht sogar Demut geprägt, das einem moralischen Impetus folgt: Hochmut kommt vor dem Fall. Hier tickt auch die wohlstandsverwöhnte Schweiz nicht viel anders als ihre Nachbarländer: Langfristig, so das Wertebild, sind es die Fleissigen und Bescheidenen, die langsam, aber stetig die Karriereleiter erklimmen.
Ein hehres Ideal, das aber keinerlei Entsprechung in der Realität des freien Marktes kennt. Psychologische Studien zeigen immer und immer wieder, dass selbstsichere Menschen zwar vielleicht nicht als sympathisch, wohl aber als potenziell erfolgreich wahrgenommen werden – und als bevorzugte Kooperationspartner in brenzligen oder eher riskanten Situationen. Interessanterweise findet diese (potenzielle) Fehleinschätzung sogar dann statt, wenn die Befragten den geradezu vermessen selbstsicher wirkenden Menschen bei einer genaueren Befragung als in der Praxis weniger kompetent einschätzen, als er vermitteln möchte.
Für dieses widersprüchliche Phänomen haben Psychologen eine Reihe von Ursachen ausgemacht. Zum einen möchten Menschen sowohl gerne verführt als auch in Sicherheit gewogen werden – beides Effekte, die Selbstsicherheit auf Aussenstehende hat. Befragungen haben ergeben, dass sie ausserdem Optimismus und Zukunftsstabilität vermitteln.
Zusätzlich kommt sozialer Status ins Spiel. Die meisten Menschen neigen dazu, diesen nicht über ihre eigenen Errungenschaften zu generieren, sondern den einfachen Weg zu gehen und sich mit anderen zu umgeben, die allem Anschein nach auf der sozialen Leiter bereits einen erstrebenswerten Posten einnehmen. Selbstsichere Menschen sind ausgesprochen gut darin, diese Position zu vermitteln. Messbare Resultate spielen dabei im Moment der interpersonellen Begegnung kaum eine bis keine Rolle. Bis diese Form der Reflexion einsetzt, hat das Unterbewusstsein mit seinen Spiegelneuronen schon veranlasst, dass eine Nähe zum selbstsicheren Objekt evolutionär als intelligenter Schritt wahrgenommen wird. So kann es zu der in der Tat paradoxen Reaktion kommen, vom selben Menschen gleichzeitig abgestossen und angezogen zu werden.
Es stellt sich also die Frage, ob Selbstsicherheit gelernt werden kann, wenn sie derartige Resultate zu produzieren in der Lage ist – und ob es sich tatsächlich lohnt, dafür vom Ideal des authentischen, selbstkritischen Menschenbildes abzuweichen. Natürlich liegt die Entscheidung beim Einzelnen – doch es ist in der Tat möglich, Selbstsicherheit nach dem „Von-aussen-nach-innen-Prinzip“ zu erwerben. Dabei ist es nicht notwendig, die mit übertriebener Selbstsicherheit oft einhergehende Unfreundlichkeit und Ignoranz bestehender Regeln zu übernehmen.
Denn es sind nicht diese irritierenden Eigenschaften, die Selbstsicherheit definieren – ganz im Gegenteil schleichen sie sich oft lediglich zusätzlich ein. Im Kern besteht Selbstsicherheit aus einem Glauben: dem Glauben an sich selbst. Dies scheint offensichtlich, ist aber psychologisch gesehen eine essenzielle Einsicht. Denn Glaube oder, im wissenschaftlichen Sinn, „Überzeugung“ hat eine verblüffende Eigenschaft: Sie steckt an, ganz egal, ob es der Glaube an die eigene Kompetenz oder der in die Qualität eines Produktes ist.
Dabei ist es zunächst völlig unerheblich, ob die Überzeugung der Realität entspricht. Es ist die ausgestrahlte Energie, die den Wunsch nach Teilhabe weckt. Die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt wird sekundär. Profaner zusammengefasst: Glauben Sie an sich selbst, glauben auch andere an Sie, automatisch, ohne viel Eigenwerbung und Self-Promotion. Sie machen sich damit einen uralten, wahrscheinlich im Stammhirn verankerten Impuls zunutze.
Glücklicherweise ist dieser Glaube an die eigenen Fähigkeiten eine selbst konditionierbare Verhaltensweise. Der französische Philosoph Blaise Pascal (1623–1662) hat dieses Phänomen faszinierend zusammengefasst. Auf die Frage, wie man Glauben erlangen könne, sagte er: „Knie nieder, bewege deine Lippen im Gebet und du wirst glauben!“ Mit anderen Worten: Die körperliche Praxis einer Emotion ist dazu geeignet, diese Emotion tatsächlich in uns zu wecken.
Selbstsicherheit ist glücklicherweise an gut untersuchte und leicht zu kopierende Verhaltensweisen geknüpft. Dazu gehört etwa die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und nach aussen zu kommunizieren, und zwar selbst dann, wenn man unterbewusst nicht von ihrer Wertigkeit überzeugt ist; Nein zu sagen, auch zu Vorgesetzten und Kunden; bewusst laut und deutlich zu sprechen; eine gerade, raumfüllende Haltung einzunehmen; Blickkontakt zu suchen und zu halten, um nur einige zu nennen.
Konsequent trainiert, führen diese Eigenschaften nicht zuletzt über die positive Resonanz von aussen automatisch zu einem dann tiefer gehenden Prozess der authentischen Selbstbehauptung, der ganz ohne die enervierenden Nebenerscheinungen auskommt, die Sie vielleicht bisher mit einem offensiv kommunizierten Selbstvertrauen assoziiert haben.
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