Vergleichen lohnt sich – oder auch nicht

Niemand ist davor gefeit und es gibt kaum eine Person, die es nicht schon mindestens einmal getan hat: Vergleiche zu ziehen gehört zum täglichen Leben einfach dazu. Doch es soll hier nicht um das Abwägen von Preisen oder Qualitätsstandards gehen. Unser Beitrag beschäftigt sich mit jenen Parametern, die sich nicht messen lassen und die einem Vergleich in der Regel nur schwer standhalten: eigene oder fremde Leistungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Beispiele für solche meist unangebrachten Gegenüberstellungen kennt wohl jeder. Neben dem gesellschaftlichen Status, dem Einkommen, den Wohnverhältnissen oder der Position innerhalb der Firma werden auch das Aussehen, die Kleiderordnung oder der Erziehungsstil immer wieder Vergleichen unterzogen. Während Frauen sich dabei häufiger auf sozialer Ebene messen, bewegen Männer sich eher im wirtschaftlichen Bereich.

Warum vergleichen wir überhaupt?

Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Drang, Vergleiche zu ziehen mit der hochentwickelten Psyche und Sozialstruktur des Menschen zusammenhängt. Als nur unzureichend ausgestattetem und auf Gemeinschaft angewiesenem Individuum ist dem Homo sapiens dieses Bedürfnis quasi in die Wiege gelegt: Durch das Vergleichen der Leistungen eigener oder fremder Sippenmitglieder bot sich ihm schon früh die Gelegenheit, eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten weiterzuentwickeln. Weil die jeweilige Rolle innerhalb der Gemeinschaft es so festlegte, konzentrierten sich die diesbezüglichen Interessen von Weibchen und Männchen auf unterschiedliche Bereiche. Die einen erlangten Kompetenz in der Kindererziehung, der Vorrathaltung und der Haushalts– bzw. Höhlenführung; die anderen auf den Gebieten von Jagd, Verteidigung und Strategie.

Wer an dieser Stelle gern protestieren möchte, muss sich einer bitteren Erkenntnis stellen: Trotz aller gesellschaftlichen Umbrüche, historischen Errungenschaften und emanzipatorischen Ansätze hat sich daran im Prinzip nichts geändert. Gerade weil der Grundstein für Vergleichen in einer so frühen und einfach strukturierten Phase gelegt wurde, gehört das Verspüren und Ausleben von Neid zu einem der stärksten Instinkte – und weist auch heute noch ausgeprägte geschlechtsspezifische Unterschiede auf.

Was aber bewirken Vergleiche im besten oder im schlechtesten Fall und welche Vorteile oder Nachteile lassen sich daraus ableiten?

Vergleiche zu ziehen ermöglicht Fortschritte

Betrachtet man das aus Vergleichen resultierende Konkurrenzdenken wohlwollend, lassen sich jede Menge positive Aspekte zusammentragen. Diese reichen von A wie Anreiz oder Ansporn über B wie Bewunderung, Begeisterung oder Beobachtung bis hin zu S wie Skepsis oder Selbsterkenntnis. Es sind Empfindungen, die dabei helfen können

  • sich eigener Wünsche bewusst zu werden,
  • entsprechende Ziele zu definieren,
  • geeignete Wege dorthin zu finden,
  • mögliche Irrtümer zu erkennen,
  • sich kompetente Unterstützung zu suchen.

Neid setzt also viele Kräfte frei und ist daher eine starke Triebfeder der Entwicklung.


Der Ärger über nicht erbrachte oder nicht erreichte Leistungen kann zu Enttäuschungen führen. (Bild: Denis Simonov / Shutterstock.com)
Der Ärger über nicht erbrachte oder nicht erreichte Leistungen kann zu Enttäuschungen führen. (Bild: Denis Simonov / Shutterstock.com)


Vergleiche zu ziehen birgt Erkenntnisse

Sich mit anderen zu vergleichen, kann aber auch negative Gedanken und Gefühle hervorrufen. Bei manchen Menschen führt der Ärger über nicht erbrachte oder nicht erreichte Leistungen zu

  • Enttäuschung,
  • Selbstzweifeln,
  • Unzufriedenheit,
  • Undankbarkeit.

Gegen solche Empfindungen hilft es, die Situation des Beneideten einer genauen Prüfung zu unterziehen. Oft zeigt sich bei einem erneuten bzw. analytischen Vergleich nämlich, dass „nebenan auch nur mit Wasser gekocht“ wird – der Konkurrent also ebenfalls mit Widrigkeiten zu kämpfen hat. Seine Konflikte, Mühen und Leiden liegen möglicherweise nur auf einem anderen Gebiet.

Vergleiche zu ziehen schadet

Wer diesen Schritt für unnötig hält, rutscht beim Vergleichen schnell in den dunklen Abgrund von Verurteilung und Überheblichkeit. Im Bemühen darum, die eigene Unsicherheit oder Frustration zu überdecken, wird an dem Beneideten nach etwas Negativem gesucht. Schon kleinste Unzulänglichkeiten bieten einen willkommenen Anlass für Kritik, in deren Zuge das eigene Selbstwertgefühl – zumindest einen Moment lang – steigt.

Besonders in Beziehungen zu anderen Menschen wirkt diese Art von Vergleichen wie Gift, denn sie trübt den Blick für das Wesentliche und Einzigartige einer Person. Wer die Leistungen oder Eigenschaften von Familienmitgliedern, Freunden, Kollegen oder Geschäftspartnern immer wieder an anderen misst, übersieht schnell das Positive, das in ihnen steckt; selbst kleine Makel erscheinen dagegen oft übergross.

Hinter solch unangemessenen Vergleichen steckt etwas, das Psychologen „Imagination“ nennen – das Aufbauen eines Idealbildes, dem Mitmenschen entsprechen soll(t)en. Da sie das in der Regel nie 100 %-ig können, halten sie einem Vergleich mit dem im Kopf gespeicherten Bild auch niemals stand – und werden deswegen entsprechend oft und scheinbar „berechtigt“ kritisiert.

Vergleiche zu ziehen will gelernt sein

Die wahre Kunst beim Ziehen von Vergleichen besteht also vor allem darin, zwischen unerreichbarem Ideal und Wirklichkeit unterscheiden zu können. Es geht nicht darum, Vergleiche zu vermeiden, sondern darum, sie in angemessene Bahnen zu lenken. Wie vieles im Leben benötigt auch das etwas Übung. Bei ausreichendem Training gelingt Vergleichen aber schliesslich so gut, dass es sich beinahe ausnahmslos auf seine positiven Aspekte beschränken lässt.

 

Oberstes Bild: © Hurst Photo – Shutterstock.com

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Mehr zu Christiane Dietering

Christiane Dietering hat eine handwerkliche, zwei kaufmännische und eine Autoren-Ausbildung absolviert. Sie arbeitet als freie Texterin, Rezensentin und Journalistin in den Themenbereichen Kunst und Kultur. Ihre Hauptauftraggeber sind Veranstalter von Musikaufführungen, Lesebühnen und Erotik-Events.

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