Spanien: Erreicht der EZB-Niedrigzins sein Ziel?

Hinter der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) steht ein grundsätzliches Ziel: Das billige Geld und damit günstige Kredite sollen dazu dienen, die Wirtschaft in den europäischen Krisenstaaten anzukurbeln. Das Beispiel Spanien zeigt, dass diese Strategie allmählich zumindest in Teilbereichen greift und sich auch die Banken inzwischen den überlebenden Unternehmen des Mittelstandes als potenziellen Darlehenskunden öffnen.

Bisher konnten kleine und mittlere Unternehmen in Spanien selbst bei einer günstigen wirtschaftlichen Prognose kaum mit einer Kreditzusage rechnen. Erst kürzlich beschrieb die Wirtschaftszeitung „Cinco Dias“ ein solches Unterfangen als eine „Mission impossible“. Seit dem Beginn der Finanz- und Schuldenkrise ist die Kreditvergabe der Banken stark zurückgegangen, in seinem jüngsten Wirtschaftsreport bezifferte der Banco de España den Schwund auf 23 %.

Am stärksten davon betroffen sind Firmen, die in der Bauindustrie sowie im Immobiliensektor tätig sind – beide Wirtschaftsbereiche bekamen in den vergangenen Jahren die Krise besonders hart zu spüren. Exportorientierte Unternehmen sowie solche mit grundsätzlich grösserer Rentabilität hätten unter der restriktiven Vergabepraxis dagegen weniger zu leiden.

Aufschwung? Für die meisten spanischen Unternehmen bisher nicht spürbar

Verbesserte Konjunkturaussichten führen nun offenbar auch zu einer Belebung der Kreditvergaben, die allerdings nur sehr schleppend vor sich geht. Immerhin hat Spaniens Wirtschaft wieder ein leichtes Wachstum zu verzeichnen. Im ersten Quartal 2014 belief sich der Zuwachs auf 0,4 %, die Prognosen für das Gesamtjahr beziehen sich derzeit auf ein Wirtschaftswachstum von 1 %. Die Realität spiegelt sich in diesen statistischen Daten jedoch nur bedingt – in der Praxis klagen viele Unternehmen, dass von dem beginnenden Aufschwung in der Realwirtschaft kaum etwas zu spüren sei.

Seit dem Beginn der Krise: hohe Ausfallraten für Kredite

Die Ankündigung der EZB, den nationalen Banken langfristige und extrem günstige Gelder für Unternehmensfinanzierungen bereitzustellen, hat in Spanien sowohl Erwartungen als auch Skepsis ausgelöst. Zu den Optimisten gehört der Banco-deEspaña-Verwaltungsrat und Ökonomieprofessor Guillem López Casasnovas, der damit rechnet, dass diese Massnahmen unmittelbar positive Effekte nach sich ziehen werden. Auch Casanovas ist allerdings der Ansicht, dass sich ihre Wirksamkeit von Land zu Land beträchtlich unterscheiden werde.

In Spanien dürften die Kreditinstitute wegen der hohen Ausfallraten auch in Zukunft Vorsicht walten lassen. Die Zahl der nicht mehr bedienten Darlehen – sowohl Firmen- als auch Privatkredite – hat in Spanien seit dem Beginn der Krise beträchtlich zugenommen, ihren Höchststand erreichte sie mit 13,39 % aller Darlehen im März 2014. Viele Beobachter meinen, dass es angesichts des Ausfallrisikos für die Banken bisher attraktiver ist, in Staatsanleihen mit zwar niedrigeren, aber immerhin sicheren Renditen zu investieren, als Kredite zu vergeben.


Auch der von der EZB verordnete Stresstest für die Banken in der Euro-Zone dürfte die Zugangsmöglichkeiten zu Krediten bis auf Weiteres dämpfen. (Bild: Noppasin / Shutterstock.com)
Auch der von der EZB verordnete Stresstest für die Banken in der Euro-Zone dürfte die Zugangsmöglichkeiten zu Krediten bis auf Weiteres dämpfen. (Bild: Noppasin / Shutterstock.com)


EZB-Bankenstresstest limitiert die Bereitschaft zur Kreditvergabe

Auch der von der EZB verordnete Stresstest für die Banken in der Euro-Zone dürfte die Zugangsmöglichkeiten zu Krediten bis auf Weiteres dämpfen. Die spanischen Banken können sich in den kommenden Monaten kaum leisten, ihre Kapitalpolster durch Kreditvergaben in grösserem Massstab zu verringern, zumal viele von ihnen in ihren Bilanzen bereits eine grosse Zahl „fauler Kredite“ haben. Eine positive Bilanzbereinigung hat für die Institute derzeit absolute Priorität, da sie sich künftig durch höhere Eigenkapitalrücklagen als möglichst krisenfest erweisen müssen.

Das Nachsehen haben kleine und mittlere Betriebe

Für die Unternehmen – vor allem kleine und mittlere Betriebe – bedeutet das, dass sie für eine Kreditzusage hohe Sicherheiten nachweisen müssen, was gerade von den KMU oft nicht zu leisten ist. Gleichzeitig stellen diese Firmen in der spanischen Unternehmenslandschaft die absolute Mehrheit. 95,5 % aller Unternehmen sind Kleinstbetriebe mit nicht mehr als zehn Mitarbeitern. Sofern sie die Krise überstanden haben, können sie ihre täglichen Geschäfte jetzt oft nur mit grosser Mühe finanzieren – Investitionen zur Absicherung ihrer Geschäftstätigkeit bleiben für absehbare Zeit ein Zukunftstraum.

Kredite für KMU – auch Sicht der Banken unsicher und unrentabel?

Die Vereinigung spanischer Jungunternehmer kritisiert die Vergabepraxis der Banken auch deshalb, weil diese die Summen, die sie als Kredit vergeben, vorab bereits als Sicherheiten fordern. Der spanische Selbstständigen-Verband nennt Zahlen – die Kreditwünsche von 53 % seiner Mitglieder seien von den Geldhäusern abschlägig beschieden worden. Besonders schwierig sei es für Firmen, Darlehen im Umfang von unter 30’000 Euro zu erhalten – jedoch beziehen sich 70 % aller Kreditanträge von Selbstständigen auf solche Summen. Die Betroffenen meinen, dass die Risikoabwägung der Banken in diesen Fällen nur vorgeschoben sei, und vermuten stattdessen eine Ablehnung wegen deutlich geringerer Rentabilität als bei Krediten im Grosskunden-Geschäft.

Ausserdem beklagen die Verbände, dass es zu wenig Darlehen gebe, die den realen Bedürfnissen von kleinen und mittleren Firmen entsprechen. Beispielsweise fordern sie in diesem Kontext alternative Finanzierungen durch Mikrokredite. Auch das Interesse an bankenunabhängigen Finanzierungsformen durch private Geldgeber wächst kontinuierlich an.

Banco Santander als Vorreiter neuer Darlehensstrategien für den Mittelstand

Auch bei den Banken zeichnet sich inzwischen jedoch ab, dass ein Umdenken nicht ausgeschlossen ist. Beispielsweise will sich der Banco Santander mit einer neuen Strategie als Bankdienstleister für kleine und mittlere Unternehmen etablieren. Der führende spanische Finanzdienstleister plant, die Kreditvergaben für diese Klientel im Lauf des nächsten Jahres um 24 % zu steigern, und will mit der Bereitstellung von Darlehenssummen im Umfang von 30 Milliarden Euro etwa 20’000 neue Kunden aus diesem Wirtschaftssektor an sich binden. Verschiedene andere Banken ziehen mit ähnlichen Programmen, wenn auch einem geringeren Finanzierungsumfang, nach.

Alles in allem zeigt das spanische Beispiel, dass es mit der Bereitstellung billigen Geldes in den Krisenstaaten nicht getan ist, zumal die Banken gerade jetzt auch ihre eigenen Interessen sichern müssen. Was bisher – unter anderem – fehlt, sind integrierte Strategien zur Wirtschaftsförderung, die kleinen und mittleren Unternehmen sichere Finanzierungsmöglichkeiten und strukturelle Hilfen bietet.

 

Oberstes Bild: © Gil C – Shutterstock.com

jQuery(document).ready(function(){if(jQuery.fn.gslider) {jQuery('.g-22').gslider({groupid:22,speed:10000,repeat_impressions:'Y'});}});