Vermögensverteilung unter der Lupe: Thomas Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert"

Sie haben vielleicht schon davon gehört: Thomas Pikettys Thesen aus seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ sind unter Ökonomen derzeit in aller Munde – obwohl das Werk eigentlich keine Neuigkeiten verbreitet, über welche wir nicht schon längst Bescheid wüssten.

Dennoch muss Pikettys Buch etwas aufzeigen, das auch fachfremde Menschen aufhorchen lässt. Wie sonst wäre es zu erklären, dass eine etwa 1000 Seiten starke Fachpublikation in den Bestseller-Listen dieser Welt auftaucht? Sehen wir uns also etwas genauer an, was Piketty über Unternehmen, Wohlstand, Reichtum und unsere Gesellschaft aussagt.

Piketty feuert aus allen Rohren

Thomas Piketty lehrt an der Wirtschaftshochschule in Paris – ein zwar ehrenwerter, aber nicht unbedingt glamouröser Job. Dass sein Werk es dennoch geschafft hat, in den Verkaufshits von Amazon & Co. hoch aufzusteigen, liegt vor allem an der Art und Weise, wie Piketty es verfasst hat: Statt Defizite aufzuzeigen (über welche die Menschen ohnehin instinktiv informiert sind), hat er gleichzeitig auch in Ansätzen Lösungsvorschläge zu bieten. Wir alle wissen, dass unendliches Wachstum nicht möglich ist – aber Piketty ermöglicht es uns, endlich „Aha, ich hab’s doch gewusst!“ zu sagen.

Gleichzeitig schleudert er aber auch nicht einfach Thesen in den Raum, sondern untermauert seine Gedanken mit Fakten. Dazu hat er (wenn auch nicht allein) die Vermögensverteilung der letzten 200 Jahre in diversen Industriestaaten auf der Erde untersucht – so dass es schwer wird, ihm zu widersprechen. Er stellt fest, dass angelegtes Kapital so viel Rendite erwirtschaftet, dass der Reichtum schneller wächst als das Wirtschaftswachstum. Damit hätten wir also auch die Schere zwischen Arm und Reich gefunden. Zuletzt garniert Piketty dies mit einem Hauch von Dystopie, welche voraussagt, dass wir uns in einer Abwärtsspirale befänden – und fertig ist „Das Kapital im 21. Jahrhundert“.

Ist Piketty wirklich ein „Rockstar“?

So wird er derzeit gerne in den Feuilletons genannt. Zumindest zeitlich hat er alles richtig gemacht: Da derzeit ohnehin in praktisch jedem fortschrittlichen Land über eine ungleiche Vermögensverteilung diskutiert wird – und es auch nicht absehbar zu sein scheint, dass diese Diskussion irgendwann zum Erliegen kommen wird –, trifft sein Kapital-Roman natürlich genau den Puls der Zeit. Und wer berühmt ist, erntet gerne auch viel Gegenwind. In diesem Fall weht er aus der Richtung seiner eigenen Kollegen.

Wenig überraschenderweise finden die linken Liberalen, dass Piketty alles richtig mache und das Buch endlich zeige, dass wir eben doch nicht in einer aalglatt funktionierenden Gesellschaft lebten. Aus dem konservativen rechten Lager hingegen zieht ein Orkan auf: Angeblich sind die Daten nicht 100%ig gesichert – wie sollten sie es auch sein nach einer Zeitspanne von teilweise 200 Jahren? –, auch wird Piketty bezichtigt, einige Informationen für den eigenen Vorteil stärker gewichtet zu haben als andere. Seine Kernthese verliert dadurch aber kaum an Wirkung: Wenn die Rendite aus angelegtem Kapital jährlich 5 % beträgt, aber die Wirtschaftsleistung im gleichen Zeitraum nur um 2 % zulegt – wie sollen die „kleinen Leute“ dann jemals aus diesem Ungleichgewicht entkommen?


Eine steigende Gefahr der ungleichen Verteilung der Vermögen sieht Piketty vor allem seit 1980 gegeben. (Bild: hin255 / Shutterstock.com)
Eine steigende Gefahr der ungleichen Verteilung der Vermögen sieht Piketty vor allem seit 1980 gegeben. (Bild: hin255 / Shutterstock.com)


Problemfall Neuzeit
Eine steigende Gefahr der ungleichen Verteilung der Vermögen sieht Piketty vor allem seit 1980 gegeben. Entwarnung können wir immerhin für die Schweiz geben: Auch hier springt die Schere zwar auf, aber sie tut dies deutlich zaghafter als in einigen anderen Ländern. Ungleiche Einkommen bei einer stabilen Entwicklung der Vermögen – damit steht die Schweiz international noch gut da. Ein wenig ausser Acht lässt Piketty in seinen Beobachtungen, dass heute die Globalisierung einen wichtigen Anteil an der Verteilung der Vermögen trägt.

Wer in seiner eigenen Branche gut ist, kann seine Talente inzwischen durch das Internet einfach global vermarkten. Es spielt praktisch keine Rolle, ob Investoren direkt neben der Haustür warten oder auf der anderen Seite der Welt. Dadurch wird es findigen Geschäftsleuten erleichtert, ihr Kapital zu mehren. Gleichzeitig traben die „einfachen Arbeiter“ natürlich weiterhin auf der Stelle. Die Kluft zwischen den beiden Welten könnte also auch nicht unbedingt ein Fehler im System sein, sondern auch ganz einfach ein Teil der technischen Entwicklung im Allgemeinen.

Aber was ist die Lösung?
Pikettys eigene Lösung des Problems ist nur ein Wort: Steuern. So empfiehlt er beispielsweise, Vermögen und Erbschaften deutlich höher als jetzt zu besteuern. Auch sollen die Steuersätze für Grossverdiener drastisch erhöht werden – auf mehr als 80 %. Ob diese radikalen Ansätze umgesetzt werden, dürfte in der näheren Zukunft fraglich sein. Und auch die Frage danach, ob Piketty mit allen Dingen, die er behauptet, tatsächlich recht hat, ist noch nicht geklärt. Aber: Zumindest hat „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ dazu geführt, dass die Diskussion über die Vermögensverteilung nun von einigen Fakten untermauert wird – völlig unabhängig von der politischen Ausrichtung.

 

Oberstes Bild: © Sue Gardner – wikimedia.org

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