Avenir Suisse: Wirtschaft soll Zuwanderung freiwillig regulieren

Der Spagat zwischen Personenfreizügigkeit und Begrenzung der Zuwanderung wird Schweizer Politikern, Unternehmen und Experten in den kommenden Jahren sehr viel an Kreativität, Flexibilität sowie Konsensfähigkeit abverlangen. Bei der Umsetzung der SVP-Initiative steht nicht weniger auf dem Spiel als der bisherige Schweizer Sonderstatus gegenüber der EU und damit ein zentraler Wirtschaftsfaktor.

Der liberale Think-Tank Avenir Suisse hat jetzt einen Ausweg aus diesem Dilemma vorgeschlagen. Die Schweizer Wirtschaft soll die Einwanderung durch freiwillige Massnahmen limitieren. Kontingente sollen dagegen – wenn überhaupt – frühestens 2021 kommen.

Die Debatte um eine juristische Aufhebung der Personenfreizügigkeit wäre damit mindestens vertagt und könnte mittelfristig – bei einem Erfolg der freiwilligen Zuwanderungsbeschränkung – möglicherweise endgültig aufgegeben werden. Avenir Suisse plädiert in diesem Kontext für eine verbindliche Beschränkung des Migrationssaldos durch ein zehnjähriges Globalziel.

Mit ihrem Vorschlag möchte die Denkfabrik gleichzeitig Anstösse für eine „offene und tabufreie Diskussion“ über mögliche Lösungen geben. Mit etwas gutem Willen kann aus Sicht von Avenir-Suisse-Direktor Gerhard Schwarz daraus ein tragfähiger Kompromiss entstehen.

Freiwilliges Immigrations-„Globalziel“ – zukunftsfähiger als Kontingente

Auch Projektleiter Patrik Schellenbauer verbindet mit dem Ansatz von Avenir Suisse den Gedanken, die bilateralen Verträge zur Personenfreizügigkeit mindestens bis 2020 zu erhalten. Bis dahin sollten sowohl die Unternehmen als auch der Bund und die Kantone wirksame freiwillige Instrumente zur Drosselung der Zuwanderung entwickeln und auch in der Praxis etablieren.

Kontingente soll es ab 2021 nur im Rahmen von Szenarien geben, dass diese freiwilligen Massnahmen nachweislich nicht greifen. Die Akzeptanz der Wirtschaft für die Umsetzung eines solchen Vorschlags sieht Avenir Suisse vor allem dann gegeben, wenn nach einer Übergangsphase sehr rigide Kontingente drohen, welche zusammen mit der Aushebelung der Personenfreizügigkeit den Ressourcenzugang und damit die wirtschaftliche Leistungskraft der Firmen empfindlich treffen würden.

Zustimmung zur SVP-Initiative – vor allem durch Wachstumsmüdigkeit getragen

Avenir Suisse geht davon aus, dass hinter der Zustimmung zur SVP-Initiative weder „Ausländerfeindlichkeit“ noch ein grundsätzliches Nein zur Zuwanderung stehen. Die Gründe dafür fänden sich vielmehr in einer „gewissen Wachstumsmüdigkeit“: Durch die Personenfreizügigkeit ist die Schweizer Wohnbevölkerung zwischen 2002 und 2013 pro Jahr um durchschnittlich 70.000 Personen gewachsen.

Ab 2007 hat sich dieses Wachstum nochmals intensiviert, seitdem sind jährlich sogar 90’000 Personen zugezogen. Die Limitierung der Zuwanderung muss aus Sicht der Forscher daher vor allem dieser Befindlichkeit der Schweizer Rechnung tragen, mit der Beibehaltung der Personenfreizügigkeit lasse sie sich dann durchaus verbinden.

Die Schweiz könnte sich also zum Ziel setzen, ihre Wohnbevölkerung bis zum Jahr 2025 auf nicht mehr als 8,84 oder neun Millionen Menschen wachsen zu lassen. Bei einem mittleren Geburtenüberschuss von rund 17’000 Menschen ergibt sich daraus eine jährliche Nettozuwanderung von 40’000 bis 50’000 Personen.

Projektleiter Schellenbauer erläutert diese Werte auch anhand des Langzeit-Trends der vergangenen Dekade: Ein solches „Einwanderungsziel“ läge unter dem Mittelwert seit dem Beginn der Personenfreizügigkeit im Jahr 2002 und vor allem deutlich unter dem Mittel der vergangenen sechs Jahre, das ab 2007 bei 75’000 Personen jährlich lag.

Falls die Selbstbeschränkung der Wirtschaft diese Vorgabe nicht erfüllt, würden ab 2021 automatisch formal-restriktive Massnahmen greifen, deren Definition und Erarbeitung ebenfalls ab jetzt beginnen müsste. Avenir Suisse schlägt hierfür fixe Kontingente vor, die sicherstellen, dass das Zehn-Jahres-Ziel für die Nettoeinwanderung nicht überschritten wird. Sie könnten entweder zentral vergeben oder versteigert werden.


Neue Regelungen für Immigration sowie den Schweizer Arbeitsmarkt. (Bild: alphaspirit / Shutterstock.com)


Neue Regelungen für Immigration sowie den Schweizer Arbeitsmarkt

Durch das Globalziel könne die Schweiz – Politik und Wirtschaft, aber auch die Bürger – Zeit gewinnen, um sich an die neuen Verhältnisse nach dem Referendum anzupassen. Die Androhung einschneidender Massnahmen respektive strikter Kontingente schaffe in den Unternehmen zudem starke Anreize zur Selbstregulierung. Parallel dazu müsse die Politik in die Pflicht genommen werden, keinen künstlichen Zuwanderungsdruck zu erzeugen. Problematisch sei beispielsweise die bisherige Strategie, ausländische Unternehmen durch Steuervergünstigungen in die Schweiz zu ziehen, die dann natürlich auch Personal benötigen, das auf dem Schweizer Arbeitsmarkt nicht in ausreichender Zahl zu finden ist.

Als Alternative dazu schlägt Avenir Suisse eine Reihe von flankierenden Massnahmen vor. Auf gezielte Steuervergünstigungen für neu zuziehende Unternehmen sollten Bund und Kantone vollständig verzichten, eine öffentliche Standortförderung sollte es in Zukunft generell nur noch für sehr strukturschwache Regionen geben. Parallel dazu sei künftig Zurückhaltung bei der Neuerschliessung von Industrieflächen und Gewerbeland geboten. Für staatsnahe Betriebe sowie die öffentliche Verwaltung müsste eine „Stellenbremse“ gelten. Im Hinblick auf die direkte Regulierung der Immigration könnte die Schweiz die Kontingente für Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten reduzieren und für diesen Personenkreis ausserdem die Möglichkeiten für den Familiennachzug stärker beschränken als bisher. 

Die Projektgruppe von Avenir Suisse sieht ausserdem einige neue Regulierungen für den Schweizer Arbeitsmarkt als überfällig an. Hierzu gehöre die Reduktion von Teilzeitarbeit ebenso wie die Verbesserung der Job-Chancen älterer Arbeitnehmer durch die Abschaffung der altersabhängigen Beiträge zu den Pensionskassen. Durch eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf liessen sich auch noch mehr Frauen für einen Eintritt in den Arbeitsmarkt motivieren.

Neu aufgelegt hat der Think Tank einen Vorschlag, der bei der Erstpräsentation vor einem Jahr in der Wirtschaft kaum auf Gegenliebe stiess: Die Anstellung von neu zuziehenden Ausländern soll im Vergleich zur Beschäftigung von Inländern teurer werden. Für jede Personalakquise ausserhalb der Schweiz sollen die Unternehmen eine entsprechende Abgabe zahlen müssen. Die Umsetzung einer solchen Lösung regt Avenir Suisse nicht nur auf staatlicher Ebene, sondern auch im Rahmen der Branchenvertretungen und Verbände an. Mit diesen Geldern könne die Schweiz beispielsweise Mobilisierungsmassnahmen für inländische Arbeitnehmer finanzieren.

 

Oberstes Bild: © KieferPix – Shutterstock.com

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