Digitales Recruiting: Unternehmen sind in der Netzwelt angekommen
VON Janine El-Saghir Organisation Selbstmanagement Web
Die Unternehmensberatung NetFederation untersucht seit 2003, wie sich die Internetauftritte von Firmen verändern. Für die Studie hat sie die Karriere-Webseiten der 100 grössten deutschen Arbeitgeber ausgewertet. Zu den insgesamt 90 analysierten Kriterien gehörten unter anderem die gezielte Ansprache verschiedener Bewerbergruppen, die generelle Übersichtlichkeit der Seiten sowie Möglichkeiten zur Direktbewerbung. Deutlich wurde, dass die meisten Unternehmen wissen, dass sie die passenden Bewerber am wahrscheinlichsten im Internet erreichen und Ressourcen in die Optimierung ihrer karriereorientierten Internetpräsenzen investieren. Zum Teil bleiben die kommunizierten Informationen jedoch unkonkret und an der Oberfläche.
Karriere-Seiten der Firmen werden zielgruppengerechter und informativer
Die Übersichtlichkeit der Seiten sowie die Ansprache der Zielgruppen (Schüler, Studenten, Young Professionals, berufserfahrene Bewerber) haben sich demnach klar verbessert – 69 Prozent der Portale bieten auf ihrer Startseite Zugänge für die unterschiedlichen Nutzergruppen. Bei Unternehmen mit verschiedenen Standorten gehört auch eine regionale Suchfunktion zum Standard. Konkrete Gründe, warum sich die Kandidaten ausgerechnet bei ihnen bewerben sollten, geben allerdings nur 18 Prozent der Firmen an. Zwar werben die meisten Unternehmen mit dem Hinweis, dass ihre Mitarbeiter eine ausgewogene Work-Life-Balance geniessen – was sich dahinter im Einzelnen verbirgt, wird jedoch häufig nicht gesagt. Auch konkrete Informationen zu Karrierewegen und Entwicklungsmöglichkeiten werden nur in Ausnahmefällen gegeben.
Eigene Mitarbeiter kommen auf 61 Prozent der Karriere-Seiten zu Wort. Sie berichten dort über ihre Tätigkeit, ihr Arbeitsumfeld sowie die Motivation für ihre Jobs. Solche „Testimonials“ werden von zahlreichen Bewerbern hoch geschätzt, sofern sie authentisch und nicht wie eine Image-Werbung wirken. In Umfragen geben Stellensuchende hierzu an, dass ihnen solche Berichte einen Eindruck von ihren künftigen Kollegen sowie der Kultur des Unternehmens geben. Videos, die Mitarbeiter als exemplarisch für bestimmte Positionen und Karrierewege präsentieren, werden jedoch nur von 36 Prozent der untersuchten Unternehmen für ihr Recruiting und Employer Branding eingesetzt.
Jede zweite Firma informiert auf ihren Seiten transparent über das Bewerbungsverfahren, also darüber, in welchen Schritten das Auswahl-Prozedere vor sich geht und ab wann Bewerber mit einer Antwort rechnen können. Beispielsweise werden bei der Deutschen Post Absagen sehr schnell verschickt – Wartezeiten bedeuten, dass ein Kandidat sehr wahrscheinlich bereits in der engeren Auswahl ist. Unilever publiziert auf seiner Webpräsenz ausführliche Erfahrungsberichte von Mitarbeitern zum durchlaufenen Bewerbungsverfahren. Auf vielen Seiten können registrierte Nutzer ausserdem den Status der eigenen Bewerbung überprüfen. Mit der Möglichkeit, ihre Stellenanzeigen für bestimmte Positionen zu abonnieren, arbeiten 45 Prozent der Unternehmen. 43 Prozent bieten Weiterleitungen für Stellenausschreibungen inklusive des Teilens auf Facebook, Google Plus und Twitter an.
Die Schwachstelle: Mobile Nutzbarkeit
Die grösste Schwachstelle der Karriere-Seiten liegt in ihrer mobilen Nutzbarkeit. Die Studie verdeutlicht, dass nur ein Drittel der Unternehmen ihre Recruiting-Angebote auch für mobile Endgeräte optimiert hat. Job-Apps sind in diesem Kontext sicher ein diffiziles Thema- wirklich lohnenswert sind sie bisher nur für einige Grosskonzerne mit sehr vielen Stellenangeboten. Dem Suchverhalten der Bewerber läuft dieses Faktum allerdings zuwider. Laut einer aktuellen Erhebung recherchiert ein knappes Drittel der Jobsucher Bewerbungsangebote vor allem auf dem Smartphone.
Ausserdem stellen die Researcher fest, dass viele Karriere-Seiten ihren Usern durchaus mehr Service bieten könnten. Auf der Navigationsebene erscheinen Bewerbungstipps nur auf 27 Prozent der untersuchten Webpräsenzen. Zeit- und kostensparende Tools zum „Vorsortieren“ eingehender Bewerbungen haben nur neun Prozent der Unternehmen in ihre Seiten integriert. Beispielsweise bietet die Münchner Rück ihren Bewerbern ein kleines Assessment-Center an, in dem sie herausfinden können, was sie über Rückversicherungen wirklich wissen. Bei der Lufthansa gibt es einen „Pilotentest“, durch den Interessenten lernen können, ob eine Bewerbung auf den Traum-Job wirklich Sinn macht.
Insgesamt macht die Studie deutlich: Die Digitalisierung des Recruiting ermöglicht und verdeutlicht den Wechsel von bisher vorherrschenden „Pull“-Verfahren, bei denen die Bewerber eigenständig nach Stellenanzeigen und anderen Job-Offerten suchen, zu „Push“-Strategien, bei denen die Unternehmen potentielle Mitarbeiter aktiv zu einer Bewerbung animieren. Gleichzeitig profilieren sich die Firmen damit explizit als Employer-Marke. Die Chancen, die besten Bewerber für ausgeschriebene Positionen zu erreichen, steigen hierdurch nachhaltig und beträchtlich. Schwachstellen ergeben sich daraus, dass viele Personalabteilungen bisher zu wenige Erfahrungen mit digitalem Recruiting haben und zum Teil durch den technologischen Wandel in der Personalarbeit auch überfordert sind. Zudem stehen in den meisten Firmen bisher nur begrenzte Ressourcen für die Entwicklung und Implementierung innovativer Methoden in der Personalarbeit zur Verfügung.
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