Die Schweizer Berufslehre – auch international künftig ein Erfolgsmodell?

Die Schweizer Berufslehre hat sich über Jahrzehnte als Erfolgsmodell erwiesen, das inzwischen auch ins Ausland expandiert. Der Uzwiler Technologiekonzern Bühler bildet in seiner US-amerikanischen Dependance Lehrlinge auf der Grundlage von eidgenössischen Konzepten aus.

Das Beispiel Bühler kann als Fallstudie dafür dienen, wie andere Länder vom Schweizer Modell der Berufslehre profitieren können. Beispielsweise sind Experten seit Längerem der Ansicht, dass eine Renaissance der US-amerikanischen Wirtschaft nur gelingen wird, wenn dem dortigen Arbeitsmarkt künftig nicht nur ungelernte Arbeitskräfte und College- oder Uni-Absolventen, sondern auch ausgebildete Facharbeiter zur Verfügung stehen.

Qualifizierte Facharbeiter – für Schweizer Unternehmen unverzichtbar

In der Schweiz ist die Zukunft der Berufslehre durchaus umstritten. Viele Eltern und auch die Schulabgänger selbst betrachten eine Berufsausbildung theoretisch zwar als einen optimalen Start ins Arbeitsleben, in der Praxis herrscht jedoch die Meinung vor, dass aus einem Studium die besseren Karrierechancen resultieren. Dagegen haben die Unternehmen bereits seit einem knappen Jahrzehnt begriffen, dass sie ohne qualifizierte Facharbeiter langfristig auf der Verliererseite stehen, die Ausbildung von Lehrlingen hat seitdem – allerdings auch vor dem Hintergrund entsprechender Förderungsprogramme des Bundes und der Kantone – beträchtlich zugenommen.

In den USA, aber auch in vielen anderen Ländern, ist die duale Berufsausbildung dagegen völlig unbekannt. Schulabgänger, deren Leistungen und/oder finanzielle Mittel für den College-Besuch nicht reichen, sind darauf angewiesen, sich ihre beruflichen Fähigkeiten durch „Learning by doing“ anzueignen, sofern sie einen Job gefunden haben.

Die „Bühler Apprenticeship Academy“  – ein duales Ausbildungsprogramm in Minnesota

Das Schweizer Unternehmen Bühler hat in Minnesota einen anderen Weg beschritten. Um seinen Fachkräftebedarf langfristig zu decken, bildet der Konzern an seinem US-amerikanischen Standort Lehrlinge nach Schweizer Vorbild aus. Für seine „Apprenticeship Academy“ (Lehrlings- oder Berufsbildungsakademie) kooperiert Bühler mit dem Dunwoody College of Technology, einem privaten Berufsbildungs-College in Minneapolis. Dunwoody ist eines der wenigen nicht profitorientiert arbeitenden Technik-Colleges in den USA und die einzige Bildungseinrichtung dieser Art im gesamten oberen Mittleren Westen. Normalerweise bietet es Kurse an, die mit einem „Associate Degree“ (einem Zwei-Jahres-Abschluss), dem Bachelor oder einigen anderen College-Diplomen enden. Für die Bühler-Lehrlinge entwickelte Dunwoody ein massgeschneidertes Programm, das den Anforderungen der Firma auch in Details entgegenkam.



Eine weitere US-Expansion von Bühler ist ohne qualifiziertes Personal unmöglich

Die Bühler-Dependance in Minnesota gibt es bereits seit den 1950er Jahren. Minneapolis, die Hauptstadt des US-Bundesstaates, befindet sich an einer strategischen Position innerhalb des Weizengürtels der USA – so gut wie alle wichtigen Mühlenbetriebe der Vereinigten Staaten unterhalten hier einen Produktionsstandort. Für Bühler sind die US-amerikanischen Mehlerzeuger wichtige und lukrative Kunden, die ihrerseits die Maschinentechnik in Schweizer Qualität zu schätzen wissen. Mit seinen Anlagen zur Getreideverarbeitung und Lebensmittelproduktion ist der Uzwiler Konzern heute übrigens in der ganzen Welt vertreten: Rund 65 % der weltweiten Weizenernte werden auf Bühler-Mühlen gemahlen. Bei der Verarbeitung von Reis, aber auch der Herstellung von Schokolade oder Frühstücks-Cerealien ist der Anteil des Bühler-Maschinenparks vergleichbar hoch.

Die USA sind für das Unternehmen nach wie vor ein Wachstumsmarkt, in dem die Expansionsmöglichkeiten der Schweizer noch lange nicht erschöpft sind. Die Konzernleitung, vor allem aber die Unternehmenschefs vor Ort mussten jedoch erkennen, dass die Wachstumspläne ohne qualifiziertes Personal nicht realisierbar sind, das auf dem lokalen Arbeitsmarkt nicht zu finden war.

Berufslehre in Minneapolis versus Import von Schweizer Arbeitskräften

Seit dem Beginn seines Engagements in Minnesota hatte Bühler die Fachkräfte für bestimmte Schlüsselpositionen aus der Schweiz in die Vereinigten Staaten „importiert“. Als besonders sensibel erwies sich hier seit jeher der Aufgabenbereich der Servicetechniker im Aussendienst. Mit dem Verkauf einer Maschine oder Produktionsanlage ist das Geschäft des Schweizer Unternehmens noch lange nicht erledigt. Die Bühler-Servicetechniker stehen den Kunden des Konzerns während des gesamten Lebenszyklus einer Anlage für Wartungs- und Reparaturaufgaben zur Verfügung. In der „Apprenticeship Academy“ erwerben nun auch junge Amerikaner die Kenntnisse, die nach Schweizer Standards nötig sind, um die Anforderungen dieses Berufes zu erfüllen.


Die Bühler-Servicetechniker stehen während des gesamten Lebenszyklus einer Anlage für Wartungsaufgaben zur Verfügung. (Bild: © Goodluz – shutterstock.com)

Vorteile für die Auszubildenden und für das Unternehmen

Das Ausbildungsprojekt in Minnesota startete im Sommer 2012 mit sechs Auszubildenden, die ihre Berufslehre im Rahmen eines dualen Programms in Dunwoody sowie bei Bühler absolvieren. Im Vergleich zur Schweiz ist ihr Ausbildungsprogramm allerdings etwas anders aufgebaut: Jedes der drei Ausbildungsjahre beginnt mit einem 10-wöchigen Unterrichtsblock, in dem die College-Lehrer den Auszubildenden elektrisches, elektronisches und mechanisches Grundlagenwissen vermitteln. In der übrigen Zeit des Jahres lernen sie „on the job“ – sowohl bei Bühler selbst als auch in den Kundenunternehmen. Als Abschluss erhalten sie bisher „nur“ einen Gesellenbrief von Bühler. Das Unternehmen und das College hoffen, dass sie den Absolventen einer Bühler-Lehre in absehbarer Zeit auch einen „Associate Degree“ verleihen können, was die Attraktivität des Ausbildungsmodells weiter steigern dürfte.

Mit Vorteilen für die Auszubildenden ist eine Bühler-Lehre allemal verbunden. Zum einen erwartet sie danach ein sicherer Arbeitsplatz, ausserdem erwerben sie während ihrer Ausbildung bereits Berufserfahrung und müssen nach ihrem Abschluss keine Schulden zurückzahlen. Die Berufslehre bei Bühler erfolgt im Rahmen eines regulären Arbeitsvertrages, der auch die üblichen Sozialleistungen umfasst.


Mit Vorteilen für die Auszubildenden ist eine Bühler-Lehre allemal verbunden. (Bild: © racorn – shutterstock.com)

Zu Beginn ihrer Ausbildung erhalten die Lehrlinge den gesetzlichen Mindestlohn, der in Minnesota derzeit bei 8 US-Dollar pro Stunde liegt. Ihr Gesamteinkommen während der Ausbildung beläuft sich auf mindestens 16´000 US-Dollar. Auch die Ausbildungskosten in Dunwoody werden von Bühler in vollem Umfang übernommen. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Universitätsabsolvent in Minnesota startet seine Karriere mit einem Schuldenberg von etwa 33´000 US-Dollar und hat zunächst eine mehr oder weniger lange Zeit der Stellensuche vor sich.

Das Bühler-Modell macht in Minnesota Schule

In Minneapolis ist das Bühler-Modell inzwischen auch für weitere Firmen attraktiv. Das Dunwoody College übernimmt hier eine wichtige Multiplikatorenrolle. Derzeit interessieren sich zwei weitere Unternehmen für eine Teilnahme am College-Modul der Bühler-Leere. Auch der Staat Minnesota ist dabei, ein Berufsbildungsprogramm zu initiieren. Derzeit beschäftigen sich Vertreter von Behörden, Schulen sowie Unternehmen im Gemeinschaftsprojekt „Pipeline“ damit, Mindeststandards für die berufliche Bildung in der verarbeitenden Industrie sowie in den Bereichen IT, Landwirtschaft und Gesundheitsdienstleistungen zu entwickelt. Das Unternehmen Bühler ist vor Ort aktiv daran beteiligt.

Die Initiative für berufliche Bildung muss von den Unternehmen kommen

Bis in den USA oder in einzelnen Bundesstaaten ein flächendeckendes System der dualen beruflichen Bildung existiert, dürfte es allerdings noch lange dauern. Vertreter von Bühler und von Dunwoody meinen unisono, dass die Initiative dafür von den Unternehmen kommen müsste. Möglicherweise könnte auch eine öffentliche Förderung über Steuervergünstigungen in diesem Bereich einiges bewegen. Bisher schrecken die meisten Firmen vor derart langfristigen Investitionen in ihre Personalplanung eher zurück – in besonderem Masse gilt dies für börsennotierte Unternehmen, die gezwungen sind, mit jedem Quartalsabschluss Bilanzerfolge vorzuweisen. Auch in den Schulen sowie in den Familien ist in den USA noch viel Überzeugungsarbeit nötig, um Akzeptanz für eine Berufsausbildung als Alternative zu einer akademischen Ausbildung zu erzielen.


Bisher schrecken die meisten Firmen vor derart langfristigen Investitionen in ihre Personalplanung eher zurück (Bild: © LDprod – shutterstock.com)

Schweizer Firmen könnten in den USA in dieser Hinsicht durchaus etwas bewirken. Immerhin sind in den Vereinigten Staaten über 400´000 Mitarbeiter für einen Schweizer Arbeitgeber tätig. Grössere Resonanz hat die Idee des Imports der eidgenössischen Berufslehre in die USA bei den dort ansässigen Schweizer Unternehmen allerdings bisher nicht gefunden. Entsprechende Ausbildungsangebote planen derzeit nur die Versicherungsgesellschaft Zurich sowie die Stadler Rail AG, die für ein neues Werk in den USA derzeit verschiedene Standorte auch im Hinblick auf ihre Berufsbildungsangebote prüft.

Schweizer Auslandsschulen und Firmen-Dependancen: Künftig auch mit Berufsbildungsangeboten?

In der zweiten Juli-Woche haben die US-Handelsministerin Penny Pritzker und Bundesrat Johann Schneider-Ammann in Washington eine Absichtserklärung über eine engere Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten im Bereich der Berufsbildung unterzeichnet. Dass das Thema in beiden Ländern damit auch in der „grossen Politik“ auf der Agenda steht, ist unter anderem eine Folge des zukunftsweisenden Bühler-Projekts in Minnesota.



Auch in Südamerika, Europa und einigen Standorten in Asien könnte es demnächst Angebote für eine Berufslehre geben, die von den Schweizer Auslandsschulen sowie den lokalen Dependancen Schweizer Unternehmen getragen werden sollen. Die Schweizer Auslandsschulen, von denen es weltweit bisher nur 17 gibt, sollen hierbei eine Schlüsselrolle übernehmen. Ein neues Bundesgesetz ebnet den Weg dafür, gleichzeitig soll auch die Zahl der Auslandsschulen sukzessive steigen.

 

Oberstes Bild: © Goran Bogicevic – shutterstock.com

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