Genie mit System oder Wahnsinn mit Methode: Entstehung und Bedeutung von Autonamen

Manche Autonamen strotzen vor Symbolkraft. Andere sind Teil eines Zahlensystems oder Fantasiewörter, die in jeder Sprache schön klingen sollen.

Jedes neue Modell muss für Markt und Strasse getauft werden, denn namenlose Fahrzeuge lassen sich nicht verkaufen.

Autonamen sind wichtig für Identität und Image der Modelle, Baureihen und Herstellermarken. Sie entscheiden darüber mit, ob das entsprechende Fahrzeug zum Erfolgsmodell wird oder bei der Zielgruppe floppt. Das macht die Namensgebung zu einer anspruchsvollen Aufgabe – vor allem für Hersteller, die mehr aufs Typenschild schreiben wollen als eine Zahlen- oder Buchstabenkombination.

Immer neue Autos brauchen immer neue Namen

Früher reichte der Name eines Autos oft für viele Jahre oder sogar Jahrzehnte. Ein Beispiel ist der Ford Mustang, eine Autolegende, in deren Namen alles mitschwingt, was man im Zeitalter der Dauerstaus und des schlechten Umweltgewissens gar nicht mehr anzubieten wagt: Wildheit, Grenzenlosigkeit, ungezähmte Kraft – und bloss kein Geiz mit dem Brennstoff und keine Kleinlichkeit bei Hubraum und Pferdestärken.

Ikonen wie diese sind heute schwer zu erschaffen. Die Zeit der charismatischen Autobauer wie Henry Ford oder Ettore Bugatti, deren Namen und Persönlichkeit jedes einzelne Fahrzeug prägten und ihm ein Gesicht verliehen, ist vorbei. Inzwischen bringen internationale Grosskonzerne, deren Verflechtung miteinander von einem Laien kaum zu durchschauen ist, fast jede Woche irgendein neues Auto auf den Markt – und längst nicht jede Neuerscheinung ist erfolgreich genug, um die zweite oder gar dritte Modellgeneration zu erreichen.

Es gibt nicht nur immer mehr neue Autos, sondern auch immer wieder neue Hersteller, die sich mit einem eigenen System oder neuen Ideen für ihre Autonamen von den Wettbewerbern abzuheben versuchen. Der Einsatz neuer Technologien fliesst in die Namensgebung mit ein, dazu kommen Lang-, Kurz-, Sport- und Familienversionen, Export- und Sondermodelle, Spezialeditionen, Derivate, Nischenautos und Konzeptstudien. Sie alle wollen benannt werden: um sich besser abzugrenzen oder besser zuordnen zu lassen, um den Vorgänger zu ehren oder ein würdiger Nachfolger zu sein – und nicht zuletzt, um in den Augen und unter Händen und Hintern der Insassen persönlich und lebendig zu werden.

Statistiker sagen voraus, dass die Anzahl der weltweit produzierten Autos im Jahr 2017 die 100-Millionen-Marke erreicht haben wird. Immer mehr Länder steigen ins Automobilgeschäft ein, ohne die Traditionalisten unter den Autobauern, die alten Marken und Autonamen damit verdrängen zu können. Der internationale Markt wird Jahr für Jahr mit Neuerscheinungen geflutet – zwischen 150 und 200 neue Autos sollen etwa im Autojahr 2015 auf den Verbraucher zurollen –, doch satt scheint er nicht zu werden.

Die Erfindung neuer Autonamen erfordert mehr als nur Kreativität

Wer einen neuen Opel Adam oder Karl nennt, kann mit diesen Autonamen kaum etwas falsch machen. Je ungewöhnlicher und kreativer der Name jedoch sein soll, desto grösser ist auch die Gefahr, unerwünschte Nebenbedeutungen oder Interpretationsmöglichkeiten zu übersehen. Daher muss jede Idee vor der Umsetzung auf Herz und Nieren geprüft werden.

Der neu erschaffene Name sollte möglichst in keiner Sprache der Welt bereits etwas bezeichnen, und auf keinen Fall darf er irgendwo eine negative Bedeutung haben – egal ob direkt durch seine Übersetzung oder indirekt durch seinen Klang bzw. die nächstliegende Aussprache. Wer hier nicht gut recherchiert, kann mit seinem Autonamen zum Gespött der halben Welt werden – und ist im schlimmsten Fall gezwungen, die Produktion des entsprechenden Modells mangels Nachfrage zu beenden oder dem Stiefkind schnell und in aller Scham einen neuen Namen zu verpassen.

Oft kommen Hunderte von Namensvorschlägen auf den Tisch, bevor sich die Hersteller und Marketingstrategen auf einen Autonamen festlegen. Mit umfassenden rechtlichen Prüfungen wird sichergestellt, dass durch den neuen Namen keine bereits bestehenden Lizenzen verletzt werden. Ausserdem muss gesichert sein, dass der Name nicht zu kulturell bedingten Problemen führt. Wer beispielsweise sein neues Modell auf dem wachsenden chinesischen Markt etablieren will, muss beim Prüfen seiner Autonamen ein halbes Dutzend chinesischer Dialekte berücksichtigen.

Gar nicht voraussehbar sind hingegen Ereignisse, die einem Autonamen erst im Nachhinein eine zweite Bedeutung verleihen. So gab es den Porsche 911 schon seit vielen Modellgenerationen, als die Zahlenfolge Nine-Eleven durch die Anschläge auf das World Trade Center plötzlich weltweit für den Terror zu stehen begann. Damals waren etliche dafür, den Porsche umzubenennen – der Klassiker sollte kein Katastrophenauto sein. Es zeigte sich jedoch, dass der Elferporsche gewissermassen über den Dingen stand: Die Terroranschläge vom 11. September wurden nicht mit seinem guten Autonamen in Verbindung gebracht und konnten sein langjähriges Renommee weder bei seinen Fans noch bei der Konkurrenz beschädigen.



Schon ein kleiner Fehler bei der Namensgebung neuer Autos kann zu bleibenden Imageverlusten führen und im schlimmsten Fall den wirtschaftlichen Totalschaden für das entsprechende Modell bedeuten. Und das kommt immer mal wieder vor: Mit unpassenden Autonamen sind schon einige Hersteller auf die Schnauze gefallen. Zu den bekanntesten Fällen missglückter Namensgebung gehört der Mitsubishi Pajero, dessen Name in Spanien „Wichser“ bedeutet: Darüber haben alle schon so oft gelacht, dass es mittlerweile kaum noch witzig ist.

Mitsubishi konnte damals nur erklären, man habe das Auto eigentlich nach der Raubkatze Leopardus pajeros benannt, einem geschmeidigen und eleganten Tier, das vor allem in Südamerika lebe. Klingt weit hergeholt, ist aber absolut glaubhaft: Was soll man schon machen, ausser in die Ferne zu schweifen, wenn ein Tier für einen Wagen Pate stehen soll, aber alle naheliegenden, international bekannten und eindeutigen Tiernamen schon vergeben sind?

Autos, die wie Tiere heissen: Ein Besuch im bunten Blechzoo

Viele Tierarten wurden auch als Autonamen weltberühmt. Je bekannter das Tier und damit die ihm zugeschriebenen Eigenschaften, desto weniger kann der Namensgeber damit falsch machen.

Im Wild- und Raubtiergehege des Blechzoos tummeln sich verschiedene Ford-Modelle, denn der US-amerikanische Hersteller fuhr nicht schlecht mit simplen, ungezähmten Tiernamen. Da sind der Mustang und der Bronco, beides Wildpferde, die Mustang-Edelvariante Mercury Cougar (= Puma) und der kleine Ford Puma, der zwischen 1997 und 2002 gebaut wurde und gegen seinen grossen Namensvetter kaum mehr als ein Hauskätzchen ist.

Der Buick Wildcat aus den 1960er- und 1970er-Jahren ist eigentlich zu gross und zu schwer für eine Wildkatze, und der Mercury Lynx, der in den frühen 1980er-Jahren auf den Markt kam, tarnt sich nur als Luchs: In Wirklichkeit ist er ein Ford Escort, der lediglich ein wenig umgemodelt und mit einem neuen Autonamen versehen wurde. Und die britische Nobelmarke Jaguar trug, als sie im Jahr 1922 gegründet wurde, noch einen anderen Tiernamen, der viel weniger nach Krallenzeigen, kraftvollem Ansprung und sehnigem Schleichen klang, nämlich Swallow (= Schwalbe).

Der Bagheera, ein Modell der französischen Marke Matra, hat seinen Autonamen von dem schwarzen Panther aus Rudyard Kiplings Dschungelbüchern. Bekannt wurde Bagheera (in der deutschen Übersetzung Baghira) vor allem als Moglis Freund in der Disney-Verfilmung. Den Autonamen und das entsprechende Modell kennt dagegen kaum jemand. Auch der Isuzu Panther steht am Zaun und guckt eher traurig: Mit diesem Modell verdiente der Hersteller trotz des schönen Namens wenig Geld.



Im Schlangen- und Insektenhaus sind etliche bissige, giftige und exotische Autonamen zu bewundern, darunter Cobra, Viper und Scorpio, die Spinne (Spider) sowie die beiden Hudson-Modelle Wasp (= Wespe) und Hornet (= Hornisse). Ein liebes und fleissiges Krabbeltier ist der Käfer bzw. Beetle, und mit der Honeybee (Honigbiene) steuert Hyundai, zu dessen zoologischen Autonamen auch das Pony gehört, ein weiteres nützliches Insekt bei.

Im Aquarium zieht der Opel Manta, der sexy Stachelrochen aus den wilden 1980er-Jahren, alle Blicke auf sich. Der Matra Murena (= Muräne), nicht halb so spektakulär, aber immerhin deutlich erkennbar ein Kind derselben Zeiten, schwimmt eher im Hintergrund umher, und der Mazda Luce durfte seinen Autonamen, der übersetzt „Hecht“ bedeutet, in Europa gar nicht erst tragen, sondern musste sich hierzulande mit der Zahl 929 zufriedengeben.

Besonders eindrucksvoll, dabei aber äusserst selten, ist der zehn Jahre ältere Monteverdi Hai mit seiner angriffslustigen Keilschnauze. Es ist leider höchst unwahrscheinlich, jemals eins der in den 1970ern gebauten Originalexemplare leibhaftig zu Gesicht zu bekommen: Der Hai, bemerkenswerterweise ein Schweizer Auto, wurde vom Hersteller Monteverdi nur zweimal gebaut. Zwar legte Monteverdi in den 1990er-Jahren mit zwei Werksrepliken nach, die an Oldtimerenthusiasten aus Fernost verkauft werden sollten, doch der Handel kam nicht zustande. Wer sich den Luxus gönnen will, kann die nachgefertigten Haie heute im Monteverdi-Automuseum in Binningen/Basel bestaunen.

Ein kleiner Umweg für Lamborghini und seine Stierweide

Jeder Lamborghini trägt einen wilden Stier im Wappen. Im Zoo der tierischen Autonamen unterhält die italienische Nobelmarke zudem ein eigenes Freigehege, auf dem sich verschiedene denkwürdige Rindviecher mit kraftvollen Namen tummeln: Aventador, Gallardo und Murciélago haben als Kampfstiere in der Arena Grosses geleistet.

Der Stier Murciélago, dessen Name eigentlich „Fledermaus“ bedeutet, ist eine regelrechte Tierlegende – im Jahr 1879 kämpfte er in Córdoba so tapfer, dass der Matador am Ende dem Verlangen des Publikums nachgab und auf den Todesstoss verzichtete. Natürlich durfte der begnadigte Stier danach nie wieder gegen einen Menschen antreten. Stattdessen schenkte man ihn dem Züchter Antonio Miura, auf dessen Land er ein gutes Leben hatte: Er begründete die Zuchtlinie der Miura-Stiere, denen Lamborghini ebenfalls einen Autonamen widmete und die als Kampfstiere bis heute besonders begehrt sind.


Lamborghini Murciélago (Bild: © Brian SnelsonCC BY-SA 2.0)

Tatsächlich gibt es nur drei Lamborghini-Sportwagen, die nicht nach berühmten Stieren oder Stiergeschlechtern benannt sind: den Silhouette, den Espada und den Countach. Espada heisst der Degen des Matadors, hier ist der Stier also thematisch immerhin ganz in der Nähe. Countach, ausgesprochen „Kungtatsch“, ist ein piemontesischer Ausruf der Bewunderung und bedeutet so viel wie „Donnerwetter!“ oder „Besser geht’s nicht!“.

Erfahrene Hersteller setzen auf Autonamen ohne Risiken und Nebenwirkungen

Manche Hersteller haben sich von Anfang an gegen „richtige“, also klingende, symbolträchtige oder anderswie bedeutsame Autonamen entschieden. Stattdessen bedienen sie sich bei der Namensgebung ihres eigenen, bewährten Zahlen- und Buchstabensystems – mit Erfolg, wie man am Beispiel BMW sehen kann. Der Münchner Edelhersteller gönnt selbst seinen ausgefallensten und luxuriösesten Modellen keine sprechenden Autonamen und geht mit Bezeichnungen wie 7er, 3er oder 5er sowohl sprachlich als auch in Bezug auf eventuell unerwünschte Assoziationen kein Risiko ein.

Eine solche Einheitsstrategie ist unverfänglich, und wenn sie wie bei BMW schon seit 40 Jahren besteht, müssen sich die Macher auch nicht mehr mit Gedanken über eine alternative oder aussagefähigere Benennung herumschlagen. Allerdings geriet das traditionelle Zahlensystem der Bayern an seine Grenzen, als im Jahr 2013/2014 ein grösserer Modellwechsel bevorstand: Weil das Eingliedern der neuen BMW-Modelle in die vorhandene Sortierung zu unübersichtlich gewesen wäre, entschloss sich BMW zur Neueinführung einer 2er- und einer 4er-Reihe.

Das Coupé und das Cabrio der 3er-Reihe wurden im Zuge der Überarbeitungen zu 4ern umgetauft, und die supersportlichen 1er-Modelle mit Hinterradantrieb wurden die ersten Autos der neuen 2er-Reihe. Seither sind in der Nummerierung der BMW-Palette alle Zahlen von 1 bis 7 vertreten, wobei lediglich die drei ursprünglichen Frontantriebs-Modelle noch mit einer 1 gekennzeichnet sind.

Ein BMW, so die Meinung der Hersteller und Kunden, muss keinen Namen tragen, den auch ein Mensch, eine Landschaft oder ein Sternbild tragen könnte. Folgerichtig ist es unter BMW-Fahrern wenig verbreitet, ihren vierrädrigen Sportskanonen oder Luxuscruisern weitere Spitz- oder Kosenamen anzuhängen. Auch den Trend, neue Elektroautos mit spektakulären Autonamen auf den Markt zu bringen, machten die Münchner nicht mit: Aufwand und Risiko schienen dem Bedarf nicht angemessen, darum hiessen die elektrischen BMW schliesslich i3 und i8, während andere Hersteller ihre Elektriker voll Hintersinn mit Namen wie Ampera oder Volt auf die Strasse brachten.

Der japanische Autobauer Mitsubishi hatte übrigens auch in diesem Bereich besonderes Pech mit der Namensgebung: Sein Elektroauto i-Miev verkaufte sich im deutschsprachigen Raum besonders schlecht, weil man mit einem Autonamen, der klanglichen Mief enthält, hierzulande kaum für ein leises, geruchs- und abgasfreies Umweltauto werben kann.

Auch Audi trat ins Fettnäpfchen: Als die Ingolstädter ihre Elektromodelle unter dem scheinbar rein technisch klingenden Gattungsnamen e-tron auf den Markt brachten, ernteten sie damit viel Kopfschütteln bei den Frankophilen dieser Welt – und jede Menge Spott von der anderen Seite des Rheins. Denn dass étron das französische Wort für Stuhlgang bzw. „Scheisshaufen“ ist, hätte wirklich schon vor der Markteinführung jemandem auffallen können.


Audi R8 e-tron (Bild: © RudolfSimonCC BY-SA 3.0)

Volkswagen setzt nicht auf Zahlen-Buchstaben-Kombis, um bei den Autonamen auf Nummer sicher zu gehen, sondern traditionell auf Wind und Wetter: Das geht alle Menschen an, aber keiner kann es persönlich nehmen. Der Golf, eines der erfolgreichsten Autos aller Zeiten, wurde nicht nach der Sportart, sondern nach der Meeresströmung benannt. Scirocco, Passat und Bora sind die Namen von Winden – der Scirocco etwa ist ein Wüstenwind, zu erleben in der Sahara, und die Bora ist ein kühler, starker Fallwind, der regelmässig an der Adria zu spüren ist. Zwei weitere berühmte Winde, der Khamsin und der Mistral, wurden vom italienischen Hersteller Maserati als Autonamen gewählt.

Das deutsche Automobil-Urgestein Mercedes glaubt auch bei der Vergabe von Autonamen an klare Strukturen – und vergibt mit schwäbischer Ordnungsliebe einige wenige Buchstaben, an denen jeder die Klassenzugehörigkeit des jeweiligen Modells ablesen und sich merken kann. Die alphabetische Ordnung entspricht der Modellhierarchie, und so liegt die komplette Palette fein säuberlich und sortiert auf dem Tisch: Am kleinsten ist die A-Klasse, gefolgt von B- und C-Klasse bis hin zu den Luxus-Mercedes der S-Klasse oder den Kleinbussen der V-Klasse. Das läuft schon seit Jahren prima, und niemand bei Mercedes käme auf die Idee, das funktionierende System zu verändern und auch nur einen Cent in das Erfinden oder Prüfen ausgefallener Autonamen zu investieren.

Wie hübsch, wie treu, wie niedlich: Autonamen fürs Herz

Anders verhält es sich bei Kleinwagen, betont praktischen Mittelklassemodellen und vielen modernen Kleinkombis: Die sind oft so gestaltet, dass sie weniger wie asphalthungrige Maschinen aussehen, sondern mehr wie Kinder, Kumpels, Kuscheltiere oder Spielzeuge – eben genau nach dem, was von leidenschaftlichen Automobilisten und sportlichen Fahrern oft als „Frauenauto“, „Einkaufskörbchen“ oder „Familienkutsche“ belächelt wird.

Solche Fahrzeuge brauchen schön klingende Autonamen, die zu ihrem Aussehen passen und emotional ausgerichtete Marketingstrategien unterstützen. Renault landete zum Beispiel einen Riesenhit mit dem Twingo: Dieses schnuckelige Auto sieht nicht nur aus, als könne es jeden Moment mit seinen runden Augen blinzeln, ein Stöckchen apportieren oder sich zum Schmusen ans Hosenbein des Besitzers kuscheln, sondern heisst auch so.

Gesamtqualität und Fahreigenschaften des Twingo entsprechen allenfalls dem Klassendurchschnitt, doch bei einem so gut gewählten Autonamen verzeihen die Fahrer gerne und können über vieles hinwegsehen. Nicht wenige sind sogar bereit, die Schwächen ihres automobilen Seelchens als Zeichen von dessen unverwechselbarer Persönlichkeit zu akzeptieren und liebzuhaben: „Heute will er nicht so, ich kann’s verstehen bei dem Wetter.“

Das Ersinnen klangvoller und treffender Namen für Autos, die auch Schatzi, Mäuschen oder Herzchen heissen könnten, ist dennoch kein Kinderspiel. Die Namensgeber gehen dafür regelrecht mit dem Modell in Klausur, um es von allen Seiten zu besehen und sich darauf einzustimmen und einzufühlen. Wie guckt das Auto? Wie wirken sein Blick, sein Gesicht, seine Figur? Was denkt es wohl gerade, wenn ich es ansehe, es berühre, mich hineinsetze, meine Finger um sein Lenkrad lege? Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Wie will es heissen? Über welchen Autonamen kann ich mich mit dem Wagen gemeinsam freuen?

Das klingt kitschig, aber jeder kann es nachvollziehen. Dinge zu vermenschlichen ist eine der besonderen Fähigkeiten des Menschen – und wie die Namensgebung selbst ein wichtiger Teil des kreativen Prozesses. Trotzdem sind der Kreativität der Autotäufer jede Menge Grenzen gesetzt: Längst nicht alles, was ihnen aus dem Herzen oder dem blauen Himmel heraus in den Sinn kommt, taugt zur Vermarktung. Zudem sind auch einige gängige Kosenamen bereits an Autos vergeben. Zu den bekannteren zählen der Fiat Topolino (= Mäuschen), dessen echter Name eigentlich nur 500 lautet, und der Fiat 126 mit dem Beinamen Bambino (= Kind).


Fiat 126 (Bild: © Art Konovalov – shutterstock.com)

Diesen letzteren, ein eher ratlos dreinschauendes Modell, das sein luftgekühltes Zwei-Zylinder-Maschinchen hinten trug und daher im Sommer oder nach langen Bergfahrten gern den Hitzetod starb, muss man auch wirklich liebhaben, um mit ihm glücklich zu werden. In ihrem Heimatland Italien wurden viele Bambini mit einem speziellen Abstandhalter nachgerüstet, der beim Fahren die Motorklappe ein wenig offen hielt. In Ländern mit strengeren Sicherheitsbestimmungen wie der Schweiz oder Deutschland war das Anbringen dieses Teils jedoch verboten: Hierzulande hat ein braves Auto beim Fahren seine Motorhaube geschlossen zu halten.

Die Zeit zeigt, wie neue Autonamen wirken

Ob eine neue Wortschöpfung bei der Zielgruppe im gewünschten Sinne ankommt, zeigt sich meist erst im Lauf der Zeit, und selten liegt es nur am Namen, wenn ein Modell floppt. Dass der Fiat Panda wie sein Namensvetter im Tierreich mit dem Aussterben kämpft, ist nicht die Schuld seiner Namensgeber – mit diesem tierischen Autonamen ist alles in Ordnung, aber die dazugehörige Blechkiste erwies sich sowohl von der Technik als auch vom Charakter her eher als Langweiler und Sorgenbringer.

Der Nissan Qashqai dagegen, dessen Name bei der Markteinführung im Jahr 2006 auf viel Unverständnis traf, hat sich zu einem echten Erfolgsmodell entwickelt. Das herzige SUV hat keinen Fantasienamen, sondern ist benannt nach einem Nomadenstamm, der im südwestlichen Iran am Rand des Zagros-Gebirges lebt. Fast zehn Jahre, nachdem Kritiker prophezeiten, Nissan werde mit einem derart kryptischen und in der Aussprache unklaren Namen auf dem Markt keinen Fuss an den Boden bekommen, freut sich der Hersteller über rund zwei Millionen verkaufte Qashqai – oder ist Qashqais der korrekte Plural?

Renault und der schwere Weg zum schönen Autonamen

Der französische Autobauer Renault wirft seit einiger Zeit regelmässig neue Autonamen auf den Markt, die zwar frei erfunden sind, aber irgendwie so frei dann doch wieder nicht. Dabei entstanden einige Namen, die zwar durchaus nobel klangen, auch keinen Anstoss erregten, aber trotzdem mitsamt den dazugehörigen Modellen baden gingen – etwa der Avantime oder der Vel Santis. Aktuell läuft eine Werbekampagne für ein kompaktes SUV namens Kadjar. Nicht lange zuvor lernten wir die Autonamen Koleos und Captur kennen – ebenfalls Neuschöpfungen, die jedoch laut den Namensgebern jede Menge Hintersinn mitbringen.


Renault Kadjar (Bild: © Norbert Aepli, SwitzerlandCC-BY 4.0)

Entstehung und Bedeutung des orientalisch-märchenhaft oder zumindest mystisch-wüstenmässig klingenden Autonamens Kadjar erklärt Renault ganz prosaisch: Kad, die erste Silbe, sei inspiriert von Quad, also von den kleinen, vierrädrigen Offroad-Rennern, die mittlerweile auch bei der Rallye Dakar mitfahren und Staub hinter sich lassen. In der zweiten Silbe, jar, sollen die französischen Wörter agile (= agil, behende) und jaillir (= emporschiessen, hervorsprudeln) mitklingen – was sie nicht einmal dann willig tun, wenn es einem vorher jemand erklärt hat. Alles zusammen soll jedenfalls abenteuerlich und exotisch klingen und dazu ermuntern, neue Horizonte zu erobern. Diese Assoziation könnte der wüstenmässige Klang auch von ganz alleine hervorrufen – jetzt bleibt nur noch abzuwarten, ob der Kadjar sich auch als gutes Auto erweist.

Den Opels ihr neuer Adam

Opel gehört ebenfalls zu den Autoherstellern mit langer Tradition. Bei ihren früheren Autonamen verwerteten die Rüsselsheimer einen grossen Teil der Marinehierarchie und nannten ihre Modelle Admiral, Kapitän, Kadett, Commodore und Diplomat. Als das zu altmodisch wurde, sattelte man um und erschuf Autonamen, die auf a endeten: Vectra, Corsa, Astra, Meriva, Insignia, Ampera, Tigra, Zafira …

Angeblich erzeugt ein a am Namensende positive Gefühle. Es erinnert zudem an Frauennamen und funktioniert daher bei beiden Geschlechtern. Werbeexperten haben schon vor langer Zeit herausgefunden, dass Frauen sich eher vorstellen, etwas zu sein, während Männer sich vorstellen, etwas zu haben. Daher läuft Weibliches in der Werbung grundsätzlich besser und birgt weniger Risiken, bei einem Geschlecht nicht ins Schwarze zu treffen oder ganz durchzufallen.

Auch der neue Trend bei Opel, mit kernigen Namen wie Karl und Adam an die Gründerväter der Marke zu erinnern, bleibt damit dem a im Autonamen treu. Und das ist wahrscheinlich auch besser so: Der Opel Signum, ein vokalmässiger Ausrutscher, konnte sich nicht durchsetzen und ist nahezu in Vergessenheit geraten.


Opel Signum (Bild: © Jdr – wiki.org)

Dass der Opel Adam in der Werbung englisch, also Ädäm, ausgesprochen wird, ärgert zwar so manchen, ist aber vor dem Hintergrund der Internationalität zumindest grob verständlich. Notwendig wäre es wahrscheinlich nicht gewesen, aber auch die Traditionalisten bei Opel wollen bei der Strassentaufe ihrer neuen Modelle modern sein – und immerhin gehört Opel inzwischen zu General Motors, ist also längst keine ausschliesslich deutsche Marke mehr.

Citroën, das Kürzel-Chamäleon

Es ist schon eine Weile her, dass Citroën sich in den Buchstaben X verliebte und mit Autonamen wie Xantia und Xsara daherkam. Inzwischen setzen die Franzosen, ähnlich wie Audi, auf eine alpha-numerische Sortierung (von C1 bis C8). Doch Citroën hat in früheren Zeiten die Welt der Autonamen um einige hübsche Spielereien bereichert, die sich aus simplen Buchstabenkombinationen ergaben.

Der Citroën DS ist eines der bekanntesten Film- und Gangsterautos aller Zeiten. Das Kürzel wird nicht nur von Franzosen so ausgesprochen, dass es genauso klingt wie das französische Wort für Göttin – Déesse. Mit dieser sinnigen Abkürzung begann bei Citroën eine längere Reihe von Autonamen, die meist aus zwei Buchstaben bestanden und durch das französische Aussprechen ein Name wurden oder als Wortspiel eine Bedeutung bekamen. Der Citroën LN klang nach Hélène, der LNA nach Héléna, der ID nach idée. Der Traction Avant wurde La Traction genannt, was klingt wie l’attraction, die Anziehungskraft, und Ami 6 klingt wie Missis, also Fräulein – ein Name, der tatsächlich sehr gut zu diesem Auto passt.

Eins der bekanntesten Autos von Citroën, der 2CV, wird schon längst nicht mehr gebaut, gilt aber als Kultauto. Sein Kose- oder Spitzname „Ente“ hat sich nicht nur im deutschsprachigen Raum durchgesetzt: In England und Amerika heisst das Auto umgangssprachlich „Duckling“. Neben diesem dominanten Spitznamen wird der 2CV auch mit einer Art Verballhornung seines zweibuchstabigen Kürzels gerufen. In der Schweiz kennen ihn viele als „Deux chevaux“, zwei Pferde, und in vielen Regionen wird der Name eingedeutscht geschrieben: „Döschewo“ oder „Döschwo“.



Lustig daran ist, dass die Ente zwar nur zwei Zylinder, aber doch ein paar mehr als nur zwei Pferdestärken hat. Trotzdem hat sich der Zwei-Pferde-Name durchgesetzt und ist in Italien zu „Due cavalli“ und in Spanien zu „Dos caballos“ geworden. Nur in Argentinien wurde dem 2CV ein weiteres Tier untergeschoben: Dort heisst er umgangssprachlich „El coche rana“, was so viel bedeutet wie Froschauto.

Prachtstrassen, Musik, Geister und der Glanz vergangener Tage

Die italienische Marke Lancia wurde, ebenso wie Alfa Romeo, schon vor Jahrzehnten vom Autoriesen Fiat geschluckt. Seit der Übernahme hat der Mutterkonzern seine Modellpalette grob eingeteilt: Alfa bediente den sportlichen Bereich, Lancia stand vor allem für Limousinen und luxuriösere Fahrzeuge, und die kleineren Autos und Nutzfahrzeuge kamen unter dem Namen Fiat auf den Markt. Bevor jeder Lancia ein Fiat war, brachte die alte Turiner Autoschmiede Fahrzeuge auf den Markt, die vor allem durch eine teils irrwitzig anmutende Detailverliebtheit auffielen. Etliche davon waren nach römischen Prachtstrassen oder Feldherren benannt, darunter die Modelle Appia, Aurelia, Flavia und Fulvia.

In der atemberaubend schönen Aurelia ist ein sich selbst entleerender Aschenbecher verbaut, der aus über 120 Einzelteilen besteht, und das Armaturenbrett des Beta Trevi hat einen festen Platz im New Yorker Museum of Modern Art: Es erinnert an ein Stück Käse mit präzise gebohrten Löchern, in denen die verschiedenen Lichter der Anzeigen sitzen – so eingepasst, dass sie nur vom Fahrer, von diesem jedoch alle gleichzeitig und ohne Anstrengung, gesehen werden können.


Lancia Aurelia (Bild: © ermess – shutterstock.com)

Ursprünglich hielt sich Lancia bei seinen Autonamen an das griechische Alphabet: Im Jahr 1908 kamen der Lancia Alpha und Dialpha auf den Markt, 1911 und 1912 folgten der erste Delta und der Didelta. Die Reihe setzte sich mit dem Kappa, Dikappa und Trikappa bis 1922 fort, bevor sie durch die Prachtstrassen- und Feldherrenphase zwischen 1931 und 1976 und die beiden Namensausreisser Stratos und 2000 unterbrochen wurde.

Unter Fiat kehrte man bei den Autonamen zum alten System der griechischen Buchstaben zurück und entwickelte den Lancia Beta, den zweiten Lancia Delta und schliesslich sogar einen Kleinwagen namens Epsilon. Zwei Autonamen sind aus dem Reich der schönen Künste entlehnt: Thema und Thesis können in einem Musikstück, im Aufbau einer Geschichte oder in einem geistreichen und regelrechten Wortgefecht aufeinanderfolgen.

Autonamen aus der Musik sind übrigens auch bei Honda beliebt: Hier gibt es den Prelude, den Accord und den Jazz, und tatsächlich handelt es sich hierbei um durchaus solide und bodenständige Autos. Unnahbar klingen dagegen die Namen des Autoriesen Rolls-Royce: Seit dem legendären Silver Ghost fischt dieser Hersteller bei der Namensgebung gern im Trüben – und lotet dabei das gesamte Farbspektrum zwischen Silber und Grau aus.

Phantom I, II und III, Silver Wraith, Silver Cloud, Silver Shadow, Silver Spirit, Silver Spur und Silver Dawn: Von der berühmten Marke sind ganz klar keine Kuscheltiere zu erwarten. Die Kühlerfigur, die seit 1911 die Haube jedes Rolls-Royce ziert und anmutig ihre Flügel in den Fahrtwind hält, wird vom frechen Volksmund am liebsten Emily genannt. Doch ihr wahrer Name, Spirit of Ecstasy, ist ähnlich nebulös wie die Autonamen der Rolls-Royce-Modelle.

Fazit

Über die Herkunft und Bedeutung von Autonamen liesse sich leicht ein ganzer Roman schreiben. Für Autohersteller, die ihre Modellpalette nicht nur durchnummerieren oder alphabetisch sortieren, ist das Erfinden immer neuer Namen eine wichtige Aufgabe, bei der auch einiges schiefgehen kann. Passt der Name aber richtig gut, kann er viel zum Verkaufserfolg des Modells beitragen und das Image der Marke aufwerten.

 

Oberstes Bild: © Rawpixel – fotolia.com

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Mehr zu Christine Praetorius

Christine Praetorius, Jahrgang 1971, spricht und schreibt über Neues, Altes, Schönes und Kurioses. Ich liebe Sprache und Musik als die grössten von Menschen für Menschen gemachten Freuden – und bleibe gerne länger wach, um ihnen noch etwas hinzuzufügen. Seit 2012 arbeite ich mit meinem Mann Christian als freie Texterin, Autorin und Lektorin.

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