Fleischatlas 2014: Wie die industrielle Fleischproduktion die Welt verändert

Mit ihrem Fleischkonsum sind die Schweizerinnen und Schweizer zumindest in einem Punkt auf der sicheren Seite: Knapp 80 % der hierzulande konsumierten Fleischwaren stammen aus dem Inland, etwa 30 % kommen als sogenanntes Label-Fleisch aus Betrieben mit umweltfreundlicher und artgerechter Haltung.

Auf der „Insel der Seligen“ leben die Schweizer deshalb trotzdem nicht. Ein grösserer Teil der Fleischprodukte, die auf ihrem Teller landen, stammt von Tieren aus industriellen Mastanlagen, die – unter anderem durch entsprechende Medienberichte – immer wieder wegen „unhaltbarer Zustände“ und „Tierquälerei“ in die Kritik geraten. Diverse Fleischskandale haben sich auch in der Schweiz für viele Konsumenten, die ihrem Metzger zuvor vertrauten, als ein Schock erwiesen.

Deutlich dramatischer stellt sich die Entwicklung auf dem internationalen Fleischmarkt dar. Der „Fleischatlas 2014“ – eine Publikation der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung, des deutschen Bundes für Umwelt und Naturschutz sowie der Zeitung „Le Monde Diplomatique“ – beleuchtet die globale Dimension des Themas. Er ist in diesem Jahr zum zweiten Mal erschienen.


Die Statistik zeigt die Erzeugung von Fleisch weltweit in den Jahren 1961 bis 2015. (Quelle: © Statista)

Fleischkonsum in der Schweiz – wieder mit steigender Tendenz

Bleiben wir noch einen Moment lang in der Schweiz: Ein Statistiker hat ausgerechnet, dass der Durchschnittsschweizer in seinem Leben 4 Rinder, 3 Kälber sowie 31 Schweine und 1016 Hühner isst. Der Pro-Kopf-Verzehr an Fleisch lag im vergangenen Jahr bei 52,44 Kilogramm, im Vergleich zu 2013 hat er um rund 2 % zugenommen. Zu Beginn der 1980er-Jahre lag der Fleischverbrauch in der Eidgenossenschaft noch bei rund 64 Kilogramm pro Kopf. Seitdem haben sich die Essgewohnheiten eines Teils der Schweizerinnen und Schweizer stark verändert, für viele spielen auch die Themen Ökologie und Tierschutz eine immer grössere Rolle.

Im internationalen Vergleich liegt die Eidgenossenschaft mit ihrem Fleischkonsum im guten Mittelfeld. Im Jahr 2013 wurden in den entwickelten Ländern pro Kopf 79,3 Kilogramm Fleisch verzehrt, in den Entwicklungsländern waren es 33,3 Kilogramm. Eine schon etwas ältere Statistik aus dem Jahr 2010 weist aus, dass die weltweit stärksten Fleischesser mit 142 und 126,6 Kilogramm pro Kopf und Jahr in Luxemburg und in den USA zu Hause sind. Am geringsten war der Konsum in Bangladesch und Indien, deren Einwohner pro Kopf und Jahr nur 3,1 und 5,1 Kilogramm verzehrten. Insgesamt befindet sich Asien jedoch auf einer rasanten Aufholjagd – in China hat der jährliche Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch bereits die 60-Kilogramm-Marke überschritten.


Die Statistik zeigt das Ergebnis einer Befragung in der Schweiz zur Häufigkeit des Konsums von Fleisch. (Quelle: © Statista)

79,5 % des in der Schweiz verzehrten Fleischs stammen aus dem Inland

Für den Schweizer Fleischfachverband waren die aktuellen Zahlen durchaus ein Grund zur Freude. Bei einer Medienkonferenz Ende April 2015 befand Verbandspräsident Rolf Büttiker, dass die Zunahme des Fleischkonsums der Eidgenossen und ihre Abwehr von „diversen Aufrufen zum Fleischverzicht“ alles andere als selbstverständlich seien. Ebenso erfreulich sei, dass 79,5 % des in der Schweiz verzehrten Fleischs von Schweizer Produzenten stammten – 2,5 % mehr als im vergangenen Jahr.

Zumindest bei Rind und Schwein spielen Fleischimporte in die Schweiz nur eine geringe Rolle. Anders sieht es bei Geflügel aus. 50 % der Poulets, Enten oder Puten werden importiert – mit steigender Tendenz. Hinzu kommt, dass sich viele Schweizer aufgrund der hohen inländischen Lebensmittelpreise dafür entscheiden, einen Teil ihrer Lebensmittel im benachbarten Ausland einzukaufen – der Verband schätzt, dass es im letzten Jahr für Fleisch dabei um eine Summe von 1,3 Milliarden Franken ging.

Diese Konstellation macht ebenso wie die Fleischskandale des vergangenen Jahres – Stichworte: die Metzgerei Weiss in Hausen am Albis oder der Fleischhändler Carna Grischa – die Kehrseite der Medaille deutlich. Die Branche leidet unter der legalen und „illegalen“ internationalen Konkurrenz und immensem Margendruck. Anders als in vielen anderen Ländern konnten in der Schweiz bisher jedoch auch viele kleine Metzgereien überleben. Erzeuger, die ihr Fleisch unter einem Bio-Label vermarkten und entsprechend teuer sind, haben bei den Konsumenten ebenfalls ihren festen Platz.

Im Weltmassstab stellt sich die Lage völlig anders da. Auf dem globalen Fleischmarkt ist ein massiver Konzentrations- und Verdrängungswettbewerb im Gange. Durch wachsende Importe und den Einkaufstourismus ist auch die Schweiz in diese Prozesse integriert.


79,5 % des in der Schweiz verzehrten Fleischs stammen aus dem Inland. (Bild: photobank.ch – shutterstock.com)

Die Fleischnachfrage verschiebt sich in die Schwellenländer

Wie der „Fleischatlas 2014“ hervorhebt, entwickelt sich die Nachfrage nach Fleisch in den verschiedenen Weltregionen sehr unterschiedlich. In Europa und in den USA stagniert sie, dagegen erleben viele Schwellenländer einen Fleischboom. Schätzungen besagen, dass bis zum Jahr 2022 etwa 80 % des Wachstums im Fleischsektor auf China sowie das bisher in grossen Teilen vegetarische Indien entfallen werden, da die dortigen Mittelschichten in immer höherem Masse westliche Konsumgewohnheiten übernehmen. Fleisch bleibt ein Statussymbol, wird gleichzeitig jedoch vom Luxusprodukt zur Massenware.

Damit erreichen die technik- und kapitalintensiven Prozesse der industriellen Tierproduktion auch den „Süden“; im Gegenzug werden diese Märkte in die globalen Wertschöpfungsketten der Fleischwirtschaft integriert. Beispielsweise stammen bisher 50 % der in China verzehrten Schweine aus kleinbäuerlichen Betrieben, deren Tage allerdings mehrheitlich gezählt sein dürften. Eines der Probleme, die sich daraus ergeben, besteht darin, dass die industrielle Massenproduktion von Fleisch in Europa und den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter völlig anderen Voraussetzungen – günstigen Futter- und Energiepreisen sowie ausreichend vorhandenem und billigem Agrarland – begonnen hatte. Die industriellen Fleischproduzenten in den Schwellenländern treten dagegen zu einem Zeitpunkt wachsender Ressourcenknappheit in den Weltmarkt ein.

Global gesehen wächst aus diesen Gründen vor allem der Markt für Schweine und Geflügel, da beide Tierarten gute Futterverwerter sind und auf engstem Raum gehalten werden können. Diese Entwicklung ist unter anderem auf dem afrikanischen Kontinent zu sehen, dessen Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch mit 20 Kilogramm pro Jahr bisher deutlich unter dem globalen Durchschnitt von 43,1 Kilogramm liegt. In der letzten Dekade hat vor allem in bevölkerungsreichen Staaten wie Ägypten, Nigeria oder Äthiopien die Fleischproduktion jedoch deutlich angezogen. Auch Fleischimporte – häufig billige Geflügelteile aus Lateinamerika – haben in diesen Ländern zugenommen.


Der weltweite Markt für Schweine und Geflügel wächst kontinuierlich. (Bild: Kharkhan Oleg – shutterstock.com)

Hohe Risiken und forcierte Konzentrationsprozesse

Der weltweit grösste Erzeuger von Rindfleisch ist seit dem Beginn der 2000er-Jahre der brasilianische Konzern JBS. Seit einer Firmenübernahme im Jahr 2013 ist er auch zum weltgrössten Geflügelproduzenten aufgestiegen. Insgesamt übersteigen seine Umsätze inzwischen die Verkäufe von Branchengrössen wie Unilever oder Danone. Pro Tag verarbeitet das Unternehmen in seinen Schlachthäusern 85´000 Rinder, 75´000 Schweine sowie zwölf Millionen Stück Geflügel, anschliessend wird das JBS-Fleisch in 150 Länder exportiert.

Im „Fleischatlas 2014“ wird an diesem Beispiel eine „doppelte Konzentration“ beschrieben. Einerseits fusionieren die Fleischhersteller zu immer grösseren Unternehmen, um Margendruck sowie finanzielle Risiken durch Grössenvorteile zu kompensieren. Gleichzeitig wächst die Intensität der Produktion. Vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern haben kleine Produzenten vor diesem Hintergrund langfristig so gut wie keine Überlebenschancen – dieser Selektionsprozess trifft wiederum oft die ärmeren Schichten der Bevölkerung. Für die Verbraucher fallen unter Umständen zwar die Preise, gleichzeitig wird ihre Produktauswahl immer stärker eingeschränkt. Die Kehrseite solcher Konzentrationsprozesse besteht in der wachsenden Störanfälligkeit des Gesamtsystems – als Folge werden auch Versicherungsunternehmen zu wichtigen Playern im globalen Fleischgeschäft.


Die Fleischhersteller fusionieren zu immer grösseren Unternehmen. (Bild: polat – shutterstock.com)

TTIP könnte die europäischen Standards für die Fleischerzeugung senken

Seit 2013 verhandeln die USA und die Europäische Union über das transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP). Ob die Schweiz dem Abkommen zu einem späteren Zeitpunkt beitritt, ist bisher eine völlig offene Frage. Da die EU und die USA zu ihren wichtigsten Handelspartnern zählen, wird die Eidgenossenschaft von TTIP jedoch auf jeden Fall betroffen sein.

Auf dem europäischen Fleischmarkt könnte TTIP gravierende Veränderungen nach sich ziehen. Die EU-Vorschriften für die Erzeugung und den Import von Lebensmitteln sind deutlich stärker als die in den USA auf den Schutz der Verbraucher und der Umwelt fokussiert – importiert werden dürfen nur Produkte, deren Unbedenklichkeit wissenschaftlich und durch unabhängige Prüfer nachgewiesen ist. Für US-amerikanische Produkte und folglich auch Exporte gelten dagegen nur dann Restriktionen, wenn ein explizites Gefährdungspotenzial besteht. Dessen Bewertung erfolgt auf Basis einer Kosten-Nutzen-Analyse möglicher Risiken, die Daten dafür werden häufig direkt von der Industrie geliefert.

Zu den Zielen von TTIP gehört auch, bisher bestehende Handelsschranken für Agrarprodukte abzubauen. Wenn es in Kraft tritt, wird auf beiden Seiten sehr wahrscheinlich der jeweils niedrigste Standard gelten. In Europa könnten daraus drastische Änderungen für die Zulassung gentechnisch manipulierter Organismen, den Tierschutz und die Fleischerzeugung resultieren.


Auf dem europäischen Fleischmarkt könnte TTIP gravierende Veränderungen nach sich ziehen. (Bild: Picsfive – shutterstock.com)

Lobby-Interessen statt Verbraucher-, Tier- und Umweltschutz

Ein prominentes Beispiel für solche Veränderungen ist das Hormon Ractopamin, dessen Verwendung als Futterzusatz für Schlachttiere in 160 Ländern verboten ist, da es keine unabhängigen Studien zu seinen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit gibt. In den USA wird es dagegen eingesetzt, um die Produktion von besonders magerem Rind- und Schweinefleisch zu steigern. Aus europäischer Sicht ebenso umstritten ist die in den USA übliche Verwendung von Peroxysäure zur Desinfektion von Schlachtgeflügel. Die USA verbieten wegen des BSE-Risikos dagegen bisher den Import von Rindfleisch aus Europa sowie von Futtermittelzusätzen, die nachweislich an der Übertragung des „Rinderwahns“ beteiligt waren. Für diese will die EU ihre internen Standards gerade weiter lockern.

Auch der in Handelsverträgen übliche Mechanismus zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen dem Staat und Investoren könnte sich als Pferdefuss erweisen: Die Agrarkonzerne dringen darauf, dass der hierdurch gegebene Rechtsanspruch auf stabile Investitionsbedingungen im Rahmen von TTIP auch auf die Standards zur Nahrungsmittelsicherheit in uneingeschränkter Weise angewendet wird. Mit anderen Worten: Wenn die transatlantische Fleisch-Lobby sich bei den Vertragsverhandlungen durchsetzt, werden viele für die industrielle Fleischproduktion heute noch geltenden Schutzvorschriften bereits in naher Zukunft obsolet.

Industrielle Fleischprodukte und die Konzentration im Handel

Dass der kleine Laden um die Ecke sein Revival in Form von Bio- oder Feinkostgeschäften erlebt, ist allenfalls für einige wenige hochentwickelte Länder typisch – der weltweite Trend geht zu immer grösseren Supermärkten. Seit den frühen 1990er-Jahren haben sich die grossen Handelsketten auch in den Schwellenländern durchgesetzt. Im Jahr 2005 lag der Marktanteil von Supermärkten in Lateinamerika und Südostasien zwischen 30 und 50 %. Auch in China, Indien, Vietnam oder Pakistan expandieren sie in schnellem Tempo.

Gründe dafür sind unter anderem die Konzentration der Bevölkerung in Megametropolen und die Integration von immer mehr Frauen in den Arbeitsmarkt. Durch den Verkauf normierter Produkte – und eben auch industriell erzeugten Fleisches – gewinnen die Handelsketten immense Marktmacht gegenüber ihren Lieferanten; gleichzeitig wird auch der Konkurrenzkampf zwischen den Handelskonzernen immer härter. Kleinere Händler können diesen Preisstrukturen nichts entgegensetzen und verschwinden tendenziell vom Markt. Regionale Produkte fristen bestenfalls ein Nischendasein. Parallel zum Handel sorgen Fast-Food-Ketten und System-Gastronomie für einen vergleichbaren Verdrängungswettbewerb im Convenience-Bereich.

Die industrielle Produktion von Fleisch ist in diese Prozesse eingeordnet – mit den globalen Fleischkonzernen auf der Gewinnerseite. Allerdings erwartet der Supermarktkunde im Zweifelsfall vor allem billige Produkte. So mancher Fleischskandal hat im Preiskampf zwischen den Erzeugern und dem Handel sowie zwischen den Handelsunternehmen seine Wurzeln.



Arbeit auf dem Schlachthof – schlecht bezahlt und kulturell geächtet

Die Zahl der Schlachthöfe in den USA ist seit dem Ende der 1960er-Jahre von etwa 10´000 auf nur noch 3000 Betriebe zurückgegangen. Inzwischen schlachten dort 10 Konzerne knapp 90 % aller Schweine. Die Fleischkonzerne besetzen in der Regel die gesamte Wertschöpfungskette von der Tieraufzucht bis zur Vermarktung. Schlachthöfe in den Industrieländern und vielen Schwellenländern sind heute moderne Hochleistungsfabriken, die zumindest in den Industrieländern oft aus den Städten in ländliche Gebiete abgewandert sind, um die Verbraucher nicht mit der Grausamkeit des Schlachtens zu konfrontieren.

Durch das industrielle Schlachten wurde die Arbeit in den Schlachthöfen in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker dequalifiziert, zumindest in den westlichen Ländern ist sie heute nahezu kulturell geächtet. Viele Schlachthofarbeiter in den USA und Westeuropa sind Arbeitsmigranten aus ärmeren Ländern, die für die Unternehmen unter schlechtesten Bedingungen und zu Dumpinglöhnen tätig werden. Dass auch das Tierleid auf dem Transport zur Schlachtung und bei der weitgehend mechanisierten Schlachtung selbst immer wieder Gegenstand von Medienberichten und Tierrechts-Kampagnen ist, sei nur der Vollständigkeit halber hier erwähnt.



Die industrielle Fleischproduktion hebelt die natürliche Artenvielfalt aus

Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft hat über 8000 Nutztierrassen dokumentiert, die zu insgesamt 30 Tierarten gehören. Für die Fleischindustrie spielen fast ausschliesslich Rinder, Schweine, Hühner, Enten, Puten sowie Schafe und Kaninchen eine Rolle. Bestimmte Rassen dieser Tiere werden von den Fleischproduzenten so gekreuzt, dass besonders ertragreiche Zuchtstämme entstehen. Wichtig sind der Industrie dabei beispielsweise schnelles Wachstum, gute Futterverwertung und möglichst grosse Mengen Fleisch.

Das Ergebnis besteht oft in genetisch einheitlichen und besonders „leistungsstarken“ Rassen, deren Vertreter ohne Medikamente, spezielle Eiweissnahrung und ausserhalb klimatisierter Ställe gar nicht überleben könnten. Die ursprüngliche Artenvielfalt der Nutztiere bleibt dabei auf der Strecke – ungefähr ein Viertel der Nutztierrassen ist heute vom Aussterben bedroht.

Die genetische Selektion durch die Fleischindustrie gefährdet perspektivisch auch die Lebensmittelsicherheit. Beispielsweise könnten Nutztierrassen, die gegen extreme Hitze, Dürre, tropische Krankheiten und insgesamt karge Lebensbedingungen resistent sind, angesichts des globalen Klimawandels künftig eine wichtige Rolle zur Sicherung der Welternährung spielen – wenn ihr genetisches „Material“ für entsprechende Zuchtprogramme dann noch vorhanden ist. Die Erklärung von Interlaken zur Erhaltung der tiergenetischen Ressourcen wurde im Jahr 2007 von 109 Staaten unterzeichnet – die Fleischindustrie interessiert sich für die Erhaltung der Artenvielfalt jedoch nicht.

Antibiotika, Hormone und andere Pharmazeutika

Antibiotika werden in der Massentierhaltung standardmässig eingesetzt. Sie sollen die Tierbestände vor Krankheitserregern schützen, wirken durch die Reduktion der Darmbakterien und damit auch des Energieverbrauchs der Tiere jedoch auch als Mastbeschleuniger. Hormone greifen dagegen direkt in das Zellwachstum der Tiere ein. Die Milchleistung von Kühen lässt sich durch Hormongaben um 15 bis 30 %, das Fleischwachstum von Rindern oder Schweinen um 8 bis 38 % steigern. Bei den Tieren führen sie zum Teil zu starken Nebenwirkungen. Meist erhalten Tiere, die mit Hormonen behandelt werden, ausserdem grössere Mengen Antibiotika.

International umstritten ist vor allem der Einsatz von Wachstumshormonen, zu denen auch Ractopamin gehört. In den USA und 25 weiteren Ländern – unter anderem in Kanada, Brasilien und Mexiko – dürfen sie jedoch verwendet werden. Der EU-Markt ist für Hormonfleisch seit 1989 absolut verschlossen. In der Schweiz dürfen Hormone in der Tiermast zwar nicht verwendet werden, Importe von hormonbehandeltem Fleisch sind jedoch zugelassen, sofern im Handel eine entsprechende Kennzeichnung erfolgt.

Der Einsatz von Sexualhormonen ist dagegen auch in der EU erlaubt. Sie werden Sauen in der industriellen Zucht gespritzt, damit alle Tiere den gleichen Zyklus haben, zur gleichen Zeit gebären und bereits drei Wochen nach einem Wurf zum gleichen Zeitpunkt wieder tragend werden. Auch die Zahl der geborenen Ferkel lässt sich durch die Hormongaben erhöhen. Eine Kennzeichnungspflicht für Hormonfleisch, die in den TTIP-Verhandlungen seitens der Europäer zur Debatte steht, betrachten die Konzerne als ein „zentrales Handelshindernis“, das durch den Vertrag dauerhaft beseitigt werden soll.

Statistiken über die Belastung von Industriefleisch mit Antibiotika, Hormonen und anderen Pharmazeutika existieren bis heute in keinem Land der Welt. Auskunft geben könnten die Fleischkonzerne sowie die Pharmafirmen – diese aber halten sich naturgemäss bedeckt.



Drei Viertel der landwirtschaftlichen Nutzflächen dienen der Fütterung von Tieren

Rinder, Schafe oder Ziegen frassen ursprünglich vor allem Gras und Heu. In der industriellen Mast erhalten sie heute auch eiweisshaltiges Kraftfutter – vor allem Soja –, dessen Anteil bei Rindern zwischen 20 und 30 %, bei Schweinen 6 bis 20 % betragen kann. 57 % der weltweiten Ernten an Roggen, Gerste, Hafer, Mais und Hirse werden für die Tierfütterung verwendet. Insgesamt dienen knapp drei Viertel der landwirtschaftlichen Nutzflächen auf der Welt der Futtermittelproduktion oder als Weideland.

Besonders problematisch für die menschliche Ernährung ist vor diesem Hintergrund, dass die Produktion von Mais, Reis, Weizen und Soja in vielen Ländern der Welt stagniert. Eine Studie der University of Minnesota zeigt, dass ein Viertel bis ein Drittel der Ernteregionen davon betroffen sind. Eine Rolle könnten Bodenzerstörungen durch Grossmaschinen dabei spielen. Die Forscher konstatieren, dass sich die Landwirtschaft über Jahrzehnte auf die Futtermittelproduktion sowie die Kultivierung von Agrosprit-Pflanzen fokussiert habe, völlig unzureichend sei dagegen die Erforschung lokaler Nutzpflanzen für die Nahrungsmittelproduktion.


Dargestellt ist der Anteil der Ernte von Getreide und Soja, der für Tierfutter verwendet wurde. (Quelle: Statista)

Gefahren durch genmanipulierte Pflanzen und vor allem Glyphosat

Hinzu kommen in der industriellen Landwirtschaft Gefahren durch genmanipulierte Pflanzen sowie Herbizide. Das Monsanto-Monopol spielt hier eine besonders unheilvolle Rolle. Der US-Konzern stattet die Landwirte sowohl mit seinen „Roundup Ready“-Getreidesorten als auch mit Glyphosat als Pflanzenschutzmittel aus – das genetisch veränderte Getreide ist gegen das Unkrautvernichtungsmittel resistent. Inzwischen gibt es das „Roundup Ready“-Saatgut nicht nur für Mais und Weizen, sondern auch für Soja oder Zuckerrüben. Genmanipuliertes Soja wird in den USA und Lateinamerika auf einer Fläche von etwa 85 Millionen Hektar angebaut und als Futtermittel für Rinder, Schweine und Geflügel vor allem in die EU sowie nach China exportiert.

Die Pflanzen sind gegen das Glyphosat zwar resistent, nehmen den Wirkstoff jedoch auf. In Futter oder Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr bleiben seine Rückstände mindestens ein Jahr erhalten. Auch im Körper von Menschen oder Tieren wird das Herbizid gespeichert. Geringe Mengen Glyphosat wurden beispielsweise in Milch, Eiern sowie den Lebern und Nieren von Schlachttieren gefunden – und zwar auch, wenn die Tiere zuvor nur die zulässige Menge des Stoffes mit dem Futter aufgenommen hatten.

Wie schädlich Glyphosat auf den menschlichen Organismus wirken kann, lässt sich in landwirtschaftlichen Regionen beobachten, in denen das Herbizid als Sprühmittel verwendet wird. Glyphosat beeinflusst den menschlichen Hormonhaushalt, was in der Schwangerschaft zu schweren Schädigungen des ungeborenen Kindes führen kann. Es wirkt gen- und zellschädigend, durch den Kontakt mit grösseren Mengen erhöht sich auch das Risiko für eine Krebserkrankung. In den Soja-Regionen Argentiniens ist durch Glyphosat die Zahl der Fehlgeburten sowie Missbildungen bei Neugeborenen deutlich angestiegen. Über 30 % der Menschen in diesen Gebieten sterben an Krebs – gegenüber 19 % im Landesdurchschnitt. Studien über Krankheitsrisiken durch die Aufnahme von Glyphosat mit der Nahrung gibt es bisher nicht. Durch die breite Anwendung der Substanz sind ihr die weitaus meisten Menschen jedoch regelmässig ausgesetzt.



Woher soll das Fleisch für die neuen Mittelschichten kommen?

Die BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China sowie Südafrika – haben sich in den letzten 20 Jahren trotz verschiedener Rückschläge zu Boom-Ländern entwickelt. Sie stellen zusammen 40 % der Weltbevölkerung. Ihr Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch ist zwischen 2003 und 2012 um 6,3 % gestiegen und wird bis 2022 voraussichtlich um weitere 2,5 % wachsen. Das Bevölkerungswachstum, vor allem aber die rasante Urbanisierung treibt in diesen Ländern auch den Verzehr tierischer Lebensmittel in die Höhe. Wenn die Fleischnachfrage der neuen Mittelschichten unverändert bleibt, müsste die globale Fleischproduktion von heute 300 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2050 auf 470 Millionen Tonnen jährlich wachsen. Um die dafür erforderlichen Tiere zu ernähren, wären pro Jahr 515 Millionen Sojabohnen erforderlich – etwa doppelt so viel wie die heutige Ernte. Entsprechend stark müssten die Hektarerträge und auch die Agrarflächen für den Sojaanbau ausgeweitet werden.



Kleinbäuerliche Betriebe müssen erhalten bleiben

Realistisch sind solche Szenarien hoffentlich nicht; ihre Realisierung würde in beträchtlichem Mass zulasten der Umwelt und jenes Teils der Weltbevölkerung gehen, der darauf angewiesen ist, sich durch traditionelle Landwirtschaft oder Kleingewerbe zu ernähren. Eine der Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte wird darin bestehen, ihnen – sofern sie es wünschen – die Möglichkeit dafür zu erhalten. Vor allem in Entwicklungsländern produzieren Kleinbauern und Bauern-Nomaden grosse Mengen Lebensmittel, in vielen afrikanischen Staaten sind sie eine wichtige Säule des gesamten Wirtschaftslebens und tragen damit auch zum Umweltschutz und zum Erhalt der Artenvielfalt bei.

Eine der weltweit grössten Kleinbauernorganisationen ist „La Via Campesina“, die heute in 79 Ländern vertreten ist, etwa 200 Millionen Bauern vertritt und fordert, die kleinbäuerliche nachhaltige Landwirtschaft zu erhalten und zu fördern. „La Via Campesina“ betrachtet dies als einen Weg zu sozialer Gerechtigkeit und Würde, die Organisation wehrt sich grundsätzlich gegen industrielle Landwirtschaft und die Rolle, die transnationale Agrar- und Lebensmittelkonzerne heute spielen. In Europa und den USA wurden verschiedene Modelle der „solidarischen Landwirtschaft“ in die Praxis umgesetzt. Ihr Prinzip ist, das Landwirte und Verbraucher direkt miteinander agieren, die Bauern auf diese Weise feste Abnehmer für ihre Produkte finden und auch die Risiken natürlicher Prozesse – beispielsweise Wetterschäden oder schlechter Ernten – mit den Konsumenten teilen.


79,5 % des in der Schweiz verzehrten Fleischs stammen aus dem Inland. (Bild: Stefano Ember – shutterstock.com)

Die Umsätze für Bio-Lebensmittel steigen weltweit

Ein Umdenken im Hinblick auf die industrielle Fleischerzeugung und die industrielle Landwirtschaft im Ganzen findet in den Industrieländern bereits seit Jahren statt. Auch in den Schwellenländern steigt die Nachfrage nach hochwertigen, gesunden und im Idealfall biologisch produzierten Lebensmitteln. Allein in Indien wurden im Jahr 2012 rund 190 Millionen US-Dollar mit pflanzlichen und tierischen Bio-Lebensmitteln umgesetzt, aus Sicht der Marktforscher werden die Inder im laufenden Jahr entsprechende Produkte im Wert von einer Milliarde US-Dollar kaufen. Der chinesische Umsatz mit Bio-Lebensmitteln könnte sogar bei 3,4 bis 9,4 Milliarden US-Dollar liegen. Die chinesische Regierung hat vor drei Jahren Regelungen für die Bio-Produktion erlassen, die zu den strengsten der Welt gehören.

Allerdings stammen nur 2 % des in den Industrieländern verkauften Fleisches aus biologisch wirtschaftenden Betrieben – viele Verbraucher können sich das Bio-Fleisch schlicht nicht leisten. Es ist fast doppelt so teuer wie herkömmliches Fleisch, das unter anderem deshalb günstig ist, weil die tatsächlichen Kosten der industriellen Produktion – Natur- und Umweltschäden, Nachteile für die Verbraucher durch minderwertige Produkte, Steuervergünstigungen für die Konzerne – für die Öffentlichkeit nicht sichtbar werden. Der hohe Anteil von Label-Fleisch in der Schweiz ist in diesem Zusammenhang auch ein klarer Wohlstandsindikator.


Die Statistik zeigt die Einkaufshäufigkeit von Bioprodukten in der Schweiz in den Jahren 2009, 2013 und 2014. (Quelle: © Statista)

Veränderungen unserer „Fleischkultur“ – durch Verbraucherentscheidungen und die Politik

Für eine Veränderung unserer „Fleischkultur“ sind sowohl die Entscheidungen der einzelnen Verbraucher als auch politische Einflussnahmen unverzichtbar. Politische Themen in diesem Kontext reichen von einer Kennzeichnungspflicht für Fleisch im Hinblick auf seine Qualität, die Herkunft des Schlachttiers und mögliche Zusatzstoffe bis zur Standortförderung für nachhaltige Landwirtschaftsbetriebe. Wer Fleisch mag, sollte sein Steak oder sein Poulet natürlich trotzdem mit gutem Gewissen und Genuss verzehren dürfen. Bewusstes Einkaufen, die Entscheidung für hohe Qualität und eine gewisse Mässigung tun hier – wie auch bei vielem anderen – jedoch einerseits der eigenen Gesundheit und in einem grösseren Rahmen auch der Umwelt gut.

 

Oberstes Bild: © tukkata – shutterstock.com

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