Kahlschlag bei den Geisteswissenschaften an Niederländischen Unis geplant

Professoren und Studierende protestieren an der Universität Amsterdam gegen einen geplanten Kahlschlag bei den Geisteswissenschaften. Sie sind ein Teil der globalen Bewegung, welche eine Ökonomisierung der Bildung durch Methoden des „New Public Management“ verhindern will.

Die Niederlande sind traditionell modernisierungsfreudig – im europäischen Kontext gelten ihre Konzepte vielerorts als Vorbild. Die Kehrseite der Medaille: Modernisierung bedeutet oft auch die Durchsetzung von rigiden Sparprogrammen. Im November 2014 hat die Universität Amsterdam den Rotstift angesetzt. Die Universitätsleitung will die bisher 28 geisteswissenschaftlichen Studiengänge –etwa ein Drittel des Lehrangebots – und einige Hundert Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter streichen. Zur Rettung der Geisteswissenschaften haben Studierende und Uni-Mitarbeiter die Bewegung „Humanities Rally“ gegründet, die nicht nur in den Niederlanden, sondern in globalem Massstab Unterstützung findet. Die „Modernisierung“ der Uni soll trotzdem weitergehen.

Beispiel Amsterdam – massive Reduktion geplant 

Über das Sparprogramm entschieden die Verwaltungschefs der Universität Ende letzten Jahres im Alleingang. An der Universität Amsterdam soll es demnach keine eigenständigen Fachbereiche und Bachelor-Abschlüsse für geisteswissenschaftliche Studiengänge mehr geben. Die bisherigen Abschlüsse in Geschichte, Philosophie oder Sprachwissenschaften werden nach US-amerikanischem Vorbild durch einen einzigen „Bachelor of Liberal Arts“ ersetzt. Gelehrt werden die jeweiligen Fächer künftig in frei wählbaren Einzelkursen. „Kleinere“ Sprachen sowie ein grosser Teil der geisteswissenschaftlichen Forschung sollen aus dem Universitätsbetrieb komplett verschwinden. Die Universitätsleitung verspricht sich davon eine Aufstockung staatlicher Subventionen, die pro Studiengang vergeben werden und sich nach der Anzahl der Studierenden richten. Auch die Studiengebühren an der Uni sollen steigen. Ausserdem plant die Regierung in Den Haag, die bisherige staatliche Unterstützung für Studierende durch Studienkredite zu ersetzen.

Wissenschaftler- und Studentenproteste gegen Rotstift-Politik

Die Proteste gegen die Umstrukturierungen begannen im Februar 2015, nachdem sich die Bewegungen „Humanities Rally“ und „Nieuwe Universiteit“ gegründet hatten. Gegen die Besetzung von zwei Hochschulgebäuden durch die Protestierenden gingen die Universitätsleitung und die Stadt Amsterdam rigide und gewaltsam vor. Bis zum Jahresende wollen die beiden Protestbewegungen eigene Vorschläge für die Reorganisation der Universität und deren Finanzierung präsentieren. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Studierenden ihre Ziele unterstützt. Fraglich ist allerdings, ob sie mit ihren Ideen auch die Universitätsleitung und das Bildungsministerium überzeugen können. Auch das Ausmass des Haushaltsdefizits der Uni ist bisher völlig unklar. Anfang 2014 war von notwendigen Einsparungen in Höhe von 200’000 Euro die Rede, inzwischen ist diese Summe auf 13 Millionen Euro angewachsen. Der emeritierte Professor und frühere Leiter des Politikwissenschaftlichen Instituts der Uni Amsterdam, Rob Hagendijk, merkt dazu an, dass sich angebliche Defizite seines Fachbereichs anhand interner Zahlen regelmässig als ein Budget-Plus erwiesen hätten.


An der Universität Amsterdam sind grössere Veränderungen geplant. (Bild: Guilhem Vellut – Flickr.com – CC BY 2.0)

Alle öffentlichen Dienste ökonomisiert durch „New Public Management“

Ableger der Protestbewegungen gibt es inzwischen an allen Hochschulen in den Niederlanden. Eine Online-Petition fand breite internationale und auch prominente Unterstützung. Unterzeichnet wurde sie unter anderem durch renommierte Wissenschaftler wie Judith Butler, Jean-Luc Nancy und Noam Chomsky. Die Probleme an den niederländischen Universitäten sind symptomatisch für einen Prozess, der weltweit vor sich geht, an den Hochschulen die Existenz angeblich unprofitabler Fachbereiche in Frage stellt und in Grossbritannien, Kanada und Chile bereits zu massiven Studentenprotesten führte. Die Ursachen für die um sich greifende Ökonomisierung der Bildung und generell undemokratische Strukturen im öffentlichen Sektor sieht Hagendijk im „New Public Management“. Der Begriff und entsprechende Methoden haben ihren Ursprung im Grossbritannien Margaret Thatchers, inzwischen verwalten so gut wie alle Industrienationen ihre öffentlichen Institutionen mit Managementtechniken aus der Privatwirtschaft. Benchmarking, Profit Center und Business Targets hielten nicht nur an den Hochschulen, im Gesundheitswesen und in vielen anderen öffentlichen Bereichen Einzug und bewirken dort einen schleichenden Prozess der Entfremdung zwischen Staat und Bürgern.

Bedeutungsverlust des akademischen Bereichs, sinkende Studienanforderungen

Hagendijk und andere Kritiker beschreiben, wie das „New Public Management“ den niederländischen Hochschulbetrieb verändert hat. Die Fakultäten erhalten für jeden Absolventen, der sein Studium in weniger als vier Jahren absolviert, einen Bonus in Höhe von 3’500 Euro – und damit einen finanziellen Anreiz, die Studienanforderungen zu senken. Bis 1995 gehörten die Universitätsgebäude der niederländischen Regierung. Den Hochschulen wurden sie überschrieben, um die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages zu erfüllen – ein Schritt, der unter anderem zu Immobilienspekulationen und kreditfinanzierten Baumassnahmen führte, die zur Grundlage heutiger Haushaltsdefizite wurden. Seit dem Ende der 1990er Jahre wurde die Hochschulorganisation den Strukturen privatwirtschaftlicher Unternehmen angeglichen. Finanz- und Immobilienverwaltung sowie Hochschul-PR haben heute oft Vorrang vor dem akademischen Bereich.

Geisteswissenschaften bleiben durch „New Public Management“ auf der Strecke

Die „natürlichen Opfer“ solcher Prozesse sind in den westlichen Ländern heute alle Studienfächer, die nicht der unmittelbaren Qualifizierung für die Berufswelt dienen. Der US-amerikanische Anthropologe David R. bezeichnet den möglichst nahtlosen Übergang „vom Lernen zum Profit“ respektive in „klassische bullshit jobs“ als das vorherrschende Ziel der modernen Hochschulbildung. Gleichzeitig haben die marktwirtschaftlichen Reformen an den Universitäten zu einer Flut von neuen bürokratischen Regelungen geführt. Angesichts von permanenten Evaluierungen, Anträgen, Berichten und Akquisen bleiben für die akademische Lehre und Forschung nur noch limitierte Zeit-Ressourcen übrig. Ausserdem verschlingt das bürokratische System beträchtliche finanzielle Mittel und trägt damit ebenfalls zu den Haushaltsdefiziten im Hochschulsektor bei. Die „Nieuwe Universiteit“ geht von einem anderen Auftrag öffentlich finanzierter Universitäten aus. Hagendijk formuliert diesen so, dass die akademischen Bildungseinrichtungen auch unliebsame Botschaften an die Gesellschaft übermitteln und auf der Grundlage langfristiger Interessen agieren müssen. Die Studierenden hätten ein Recht darauf, dass ihnen die Hochschulen nicht nur Fähigkeiten für den Job, sondern auch für den Umgang mit einer „sich rasant verändernden Welt“ vermitteln.


Statistik: Anteil der über- oder unterbeschäftigten Uni-Absolventen der Geistes- und Sozialwissenschaften in der Schweiz nach Examensstufe im Jahr 2013. (Bild: © Statista)

Kritik an „Dominanz“ der Geisteswissenschaften auch in der Schweiz

Von „niederländischen Verhältnissen“ sind die Universitäten der Schweiz sicherlich noch weit entfernt. Trotzdem ist die angebliche Dominanz der Sozial- und Geisteswissenschaften auch in der Eidgenossenschaft unter Kritik geraten. Anfang April 2015 forderten SVP-Präsident Toni Brunner und sein Fraktionschef Adrian Amstutz einen politischen Numerus Clausus für Studienfächer, die vor allem „Schmetterlingszähler“ produzieren. Ein grosser Teil der knapp 45’000 Studierenden der Sozial- und Geisteswissenschaften ist in ihren Augen für den Arbeitsmarkt der Schweiz völlig überflüssig. Auch die Economie Suisse wünscht sich eine umfassende Reform der Schweizer Hochschulbildung, die auf Methodensicherheit, mehr Empirie sowie eine engere Verzahnung von Lehre und Forschung mit der Wirtschaft abzielt. Dieser Punkt ist zweifelsohne wichtig – wettbewerbs- und zukunftsfähig ist eine Gesellschaft vor allem dann, wenn Innovationen sowohl durch universitäre Forschung als auch in den Unternehmen vorangetrieben werden. Das Silicon Valley liefert dafür ein eindrucksvolles Beispiel: Viele Gründer und Mitarbeiter seiner Start-ups haben an der Stanford University studiert, die in unmittelbarer Nähe liegt und zu den angesehensten Forschungsuniversitäten der Welt gehört.

Innovationskraft auf der Grenzlinie von Geistes- und Naturwissenschaften

Ebenso wichtig ist in diesem Kontext jedoch ein Ausspruch von Steve Jobs, der seinem Biografen Walter Isaacson erklärte, dass er sich als Jugendlicher als Geisteswissenschaftler – „a humanities person“ – gesehen habe, obwohl er Elektronik liebte. Seine Perspektive veränderte ein Text des US-amerikanischen Physikers und Polaroid-Gründers Edwin Land, in dem es darum ging, welche Bedeutung Menschen haben, die in der Lage sind, auf den Grenzlinien der Natur- und Geisteswissenschaften zu agieren. Jobs entschied, dass dies auch sein Weg sei, den er mit immenser Innovationskraft und spektakulärem Erfolg gegangen ist.

Möglich sind Berufsbiografien mit diesem Anspruch allerdings nur dann, wenn an den Universitäten auch die „Humanities“ mit Exzellenzstandards vermittelt und weiterentwickelt werden, die im Bereich der Natur- und Technikwissenschaften selbstverständlich ist. Die Schweizer Universitäten sind hier bisher auf einem guten Weg, der durch eine kluge Hochschulpolitik weiterhin gefördert werden sollte.

 

Oberstes Bild: Ian Barbour – Flickr-com – CC BY-SA 2.0

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